Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wurde nur Einzelnes anders gewünscht oder als völlig unpraktisch ver¬
worfen.

Die heftigste und verbissenste Opposition erfuhr der große Reformplan von
Seiten der Feudalen, jener bevorrechteten Stände, die in ihrer engherzigen
Selbstsucht weder den Geist der Zeit noch die Verpflichtung, dem Vaterlande
Opfer zu bringen, anerkannten. Sie wollten von jeder Abgabe frei sein und
nicht das Mindeste Von ihren Privilegien aufgeben. Sie gingen von Ansichten
aus. die schon vor drei Jahrhunderten in preußischen Landen zu Irrthümern
geworden waren, von denselben Ansichten, die Polen zu Grunde gerichtet
haben. Es war ein lange verhaltener Groll, der nun zum Ausbruch kam,
eine Fortsetzung des einstigen Streites zwischen Fürst und Adel, der unter dem
strengen und festen Regiment der letzten Hohenzollern nur geruht zu haben,
nicht zum Frieden geworden zu sein schien. Noch immer bestand, so meinten
die Ritter, in der preußischen Monarchie jenes "alte Recht", nach welchem sie
zwar als Vasallen ihrem Landesherrn Treue, dem Vaterlande den Schutz ihres
Schwertes schuldig seien, im Uebrigen aber keinerlei Verpflichtungen hätten.
Jene mittelalterlichen Privilegien, welche dem Adel völlige Freiheit und Selbst¬
regierung auf seinem Grund und Voden zugestanden, waren nach den Wort¬
führern dieser Partei noch völlig in Kraft und nur unter der Herrschaft des¬
potischer Könige nicht mehr geachtet^ worden. Nun sollte ihr gutes altes Recht
noch mehr beschränkt, ihnen ganz entzogen, ihr Beutel wie der des niedern
Volkes in Anspruch genommen werden; ja ein Minister wagte sogar die Prin¬
cipien der Revolution, welche in Frankreich den Adel niedergeworfen, in Preu¬
ßen als heilsam zu empfehlen und zur Geltung zu bringen. Das war empörend,
und in der That glich denn auch bald die Haltung der Feudalen gegenüber
den königlichen Verordnungen eher einer offenen Empörung als dem Einstehen
für ein gutes Recht.

Die Mehrzahl dieser Gegner der hardenocrgischcn Reformen hätte sich gleich¬
wohl mit der Zeit in das Unabänderliche gefügt. Dagegen wurde die Ab¬
neigung von Männern wie Niebuhr, sich an dem Reformwerk zu betheiligen,
von nachtheiligen Folgen für das Wirten des Staatskanzlers. Gern hätte er
sich mit ihnen verständigt und in einzelnen Punkten nachgegeben. Sie aber
wiesen jede Annäherung von sich; vergebens mahnte Stein von seinem Exil
aus zum Anschluß an die guten Absichten des Staatskanzlers, seine Rathschläge
wurden nicht befolgt, Hardenberg sah sich genöthigt andere Mitarbeiter zu suchen,
und die Wahl, die er traf, war nicht immer eine glückliche. Doch fehlte es
ihm keineswegs an Anhängern von Tüchtigkeit der Gesinnung und Talent, und
manche derselben ersetzten seiner Partei durch ihren innern Gehalt, was ihr an
Zahl abging. Vor allem standen ihm Scharnhorst und Gneisenau treu zur
Seite, um Preußens Kraft für den Beginn besserer Tage zu erhöhen, und


wurde nur Einzelnes anders gewünscht oder als völlig unpraktisch ver¬
worfen.

Die heftigste und verbissenste Opposition erfuhr der große Reformplan von
Seiten der Feudalen, jener bevorrechteten Stände, die in ihrer engherzigen
Selbstsucht weder den Geist der Zeit noch die Verpflichtung, dem Vaterlande
Opfer zu bringen, anerkannten. Sie wollten von jeder Abgabe frei sein und
nicht das Mindeste Von ihren Privilegien aufgeben. Sie gingen von Ansichten
aus. die schon vor drei Jahrhunderten in preußischen Landen zu Irrthümern
geworden waren, von denselben Ansichten, die Polen zu Grunde gerichtet
haben. Es war ein lange verhaltener Groll, der nun zum Ausbruch kam,
eine Fortsetzung des einstigen Streites zwischen Fürst und Adel, der unter dem
strengen und festen Regiment der letzten Hohenzollern nur geruht zu haben,
nicht zum Frieden geworden zu sein schien. Noch immer bestand, so meinten
die Ritter, in der preußischen Monarchie jenes „alte Recht", nach welchem sie
zwar als Vasallen ihrem Landesherrn Treue, dem Vaterlande den Schutz ihres
Schwertes schuldig seien, im Uebrigen aber keinerlei Verpflichtungen hätten.
Jene mittelalterlichen Privilegien, welche dem Adel völlige Freiheit und Selbst¬
regierung auf seinem Grund und Voden zugestanden, waren nach den Wort¬
führern dieser Partei noch völlig in Kraft und nur unter der Herrschaft des¬
potischer Könige nicht mehr geachtet^ worden. Nun sollte ihr gutes altes Recht
noch mehr beschränkt, ihnen ganz entzogen, ihr Beutel wie der des niedern
Volkes in Anspruch genommen werden; ja ein Minister wagte sogar die Prin¬
cipien der Revolution, welche in Frankreich den Adel niedergeworfen, in Preu¬
ßen als heilsam zu empfehlen und zur Geltung zu bringen. Das war empörend,
und in der That glich denn auch bald die Haltung der Feudalen gegenüber
den königlichen Verordnungen eher einer offenen Empörung als dem Einstehen
für ein gutes Recht.

Die Mehrzahl dieser Gegner der hardenocrgischcn Reformen hätte sich gleich¬
wohl mit der Zeit in das Unabänderliche gefügt. Dagegen wurde die Ab¬
neigung von Männern wie Niebuhr, sich an dem Reformwerk zu betheiligen,
von nachtheiligen Folgen für das Wirten des Staatskanzlers. Gern hätte er
sich mit ihnen verständigt und in einzelnen Punkten nachgegeben. Sie aber
wiesen jede Annäherung von sich; vergebens mahnte Stein von seinem Exil
aus zum Anschluß an die guten Absichten des Staatskanzlers, seine Rathschläge
wurden nicht befolgt, Hardenberg sah sich genöthigt andere Mitarbeiter zu suchen,
und die Wahl, die er traf, war nicht immer eine glückliche. Doch fehlte es
ihm keineswegs an Anhängern von Tüchtigkeit der Gesinnung und Talent, und
manche derselben ersetzten seiner Partei durch ihren innern Gehalt, was ihr an
Zahl abging. Vor allem standen ihm Scharnhorst und Gneisenau treu zur
Seite, um Preußens Kraft für den Beginn besserer Tage zu erhöhen, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189508"/>
          <p xml:id="ID_1648" prev="#ID_1647"> wurde nur Einzelnes anders gewünscht oder als völlig unpraktisch ver¬<lb/>
worfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649"> Die heftigste und verbissenste Opposition erfuhr der große Reformplan von<lb/>
Seiten der Feudalen, jener bevorrechteten Stände, die in ihrer engherzigen<lb/>
Selbstsucht weder den Geist der Zeit noch die Verpflichtung, dem Vaterlande<lb/>
Opfer zu bringen, anerkannten.  Sie wollten von jeder Abgabe frei sein und<lb/>
nicht das Mindeste Von ihren Privilegien aufgeben. Sie gingen von Ansichten<lb/>
aus. die schon vor drei Jahrhunderten in preußischen Landen zu Irrthümern<lb/>
geworden waren, von denselben Ansichten, die Polen zu Grunde gerichtet<lb/>
haben.  Es war ein lange verhaltener Groll, der nun zum Ausbruch kam,<lb/>
eine Fortsetzung des einstigen Streites zwischen Fürst und Adel, der unter dem<lb/>
strengen und festen Regiment der letzten Hohenzollern nur geruht zu haben,<lb/>
nicht zum Frieden geworden zu sein schien.  Noch immer bestand, so meinten<lb/>
die Ritter, in der preußischen Monarchie jenes &#x201E;alte Recht", nach welchem sie<lb/>
zwar als Vasallen ihrem Landesherrn Treue, dem Vaterlande den Schutz ihres<lb/>
Schwertes schuldig seien, im Uebrigen aber keinerlei Verpflichtungen hätten.<lb/>
Jene mittelalterlichen Privilegien, welche dem Adel völlige Freiheit und Selbst¬<lb/>
regierung auf seinem Grund und Voden zugestanden, waren nach den Wort¬<lb/>
führern dieser Partei noch völlig in Kraft und nur unter der Herrschaft des¬<lb/>
potischer Könige nicht mehr geachtet^ worden.  Nun sollte ihr gutes altes Recht<lb/>
noch mehr beschränkt, ihnen ganz entzogen, ihr Beutel wie der des niedern<lb/>
Volkes in Anspruch genommen werden; ja ein Minister wagte sogar die Prin¬<lb/>
cipien der Revolution, welche in Frankreich den Adel niedergeworfen, in Preu¬<lb/>
ßen als heilsam zu empfehlen und zur Geltung zu bringen. Das war empörend,<lb/>
und in der That glich denn auch bald die Haltung der Feudalen gegenüber<lb/>
den königlichen Verordnungen eher einer offenen Empörung als dem Einstehen<lb/>
für ein gutes Recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1650" next="#ID_1651"> Die Mehrzahl dieser Gegner der hardenocrgischcn Reformen hätte sich gleich¬<lb/>
wohl mit der Zeit in das Unabänderliche gefügt. Dagegen wurde die Ab¬<lb/>
neigung von Männern wie Niebuhr, sich an dem Reformwerk zu betheiligen,<lb/>
von nachtheiligen Folgen für das Wirten des Staatskanzlers. Gern hätte er<lb/>
sich mit ihnen verständigt und in einzelnen Punkten nachgegeben. Sie aber<lb/>
wiesen jede Annäherung von sich; vergebens mahnte Stein von seinem Exil<lb/>
aus zum Anschluß an die guten Absichten des Staatskanzlers, seine Rathschläge<lb/>
wurden nicht befolgt, Hardenberg sah sich genöthigt andere Mitarbeiter zu suchen,<lb/>
und die Wahl, die er traf, war nicht immer eine glückliche. Doch fehlte es<lb/>
ihm keineswegs an Anhängern von Tüchtigkeit der Gesinnung und Talent, und<lb/>
manche derselben ersetzten seiner Partei durch ihren innern Gehalt, was ihr an<lb/>
Zahl abging. Vor allem standen ihm Scharnhorst und Gneisenau treu zur<lb/>
Seite, um Preußens Kraft für den Beginn besserer Tage zu erhöhen, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0413] wurde nur Einzelnes anders gewünscht oder als völlig unpraktisch ver¬ worfen. Die heftigste und verbissenste Opposition erfuhr der große Reformplan von Seiten der Feudalen, jener bevorrechteten Stände, die in ihrer engherzigen Selbstsucht weder den Geist der Zeit noch die Verpflichtung, dem Vaterlande Opfer zu bringen, anerkannten. Sie wollten von jeder Abgabe frei sein und nicht das Mindeste Von ihren Privilegien aufgeben. Sie gingen von Ansichten aus. die schon vor drei Jahrhunderten in preußischen Landen zu Irrthümern geworden waren, von denselben Ansichten, die Polen zu Grunde gerichtet haben. Es war ein lange verhaltener Groll, der nun zum Ausbruch kam, eine Fortsetzung des einstigen Streites zwischen Fürst und Adel, der unter dem strengen und festen Regiment der letzten Hohenzollern nur geruht zu haben, nicht zum Frieden geworden zu sein schien. Noch immer bestand, so meinten die Ritter, in der preußischen Monarchie jenes „alte Recht", nach welchem sie zwar als Vasallen ihrem Landesherrn Treue, dem Vaterlande den Schutz ihres Schwertes schuldig seien, im Uebrigen aber keinerlei Verpflichtungen hätten. Jene mittelalterlichen Privilegien, welche dem Adel völlige Freiheit und Selbst¬ regierung auf seinem Grund und Voden zugestanden, waren nach den Wort¬ führern dieser Partei noch völlig in Kraft und nur unter der Herrschaft des¬ potischer Könige nicht mehr geachtet^ worden. Nun sollte ihr gutes altes Recht noch mehr beschränkt, ihnen ganz entzogen, ihr Beutel wie der des niedern Volkes in Anspruch genommen werden; ja ein Minister wagte sogar die Prin¬ cipien der Revolution, welche in Frankreich den Adel niedergeworfen, in Preu¬ ßen als heilsam zu empfehlen und zur Geltung zu bringen. Das war empörend, und in der That glich denn auch bald die Haltung der Feudalen gegenüber den königlichen Verordnungen eher einer offenen Empörung als dem Einstehen für ein gutes Recht. Die Mehrzahl dieser Gegner der hardenocrgischcn Reformen hätte sich gleich¬ wohl mit der Zeit in das Unabänderliche gefügt. Dagegen wurde die Ab¬ neigung von Männern wie Niebuhr, sich an dem Reformwerk zu betheiligen, von nachtheiligen Folgen für das Wirten des Staatskanzlers. Gern hätte er sich mit ihnen verständigt und in einzelnen Punkten nachgegeben. Sie aber wiesen jede Annäherung von sich; vergebens mahnte Stein von seinem Exil aus zum Anschluß an die guten Absichten des Staatskanzlers, seine Rathschläge wurden nicht befolgt, Hardenberg sah sich genöthigt andere Mitarbeiter zu suchen, und die Wahl, die er traf, war nicht immer eine glückliche. Doch fehlte es ihm keineswegs an Anhängern von Tüchtigkeit der Gesinnung und Talent, und manche derselben ersetzten seiner Partei durch ihren innern Gehalt, was ihr an Zahl abging. Vor allem standen ihm Scharnhorst und Gneisenau treu zur Seite, um Preußens Kraft für den Beginn besserer Tage zu erhöhen, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/413
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/413>, abgerufen am 28.09.2024.