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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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ziehung der geistlichen nicht mit frommen Stiftungen verbundenen oder zur
Unterhaltung von Schulen und Pfarreien bestimmten Güter zur Deckung der
Staatsschulden. Da indeß bei den ungünstigen Zeitverhältnissen die schleunige
Verwerthung dieser Güter unausführbar war, so sollte eine Zwangsanleihe auf
sie ausgeschrieben und zu gleicher Zeit eine Anleihe im Auslande gemacht wer¬
den. Ferner verhieß das Edict pünktliche Verzinsung der Staatsschulden und
Zahlung aller Besoldungsnickstände. Am Schlüsse versprach der König mög¬
lichste Förderung des Wohles der Unterthanen durch polizeiliche und finanzielle
Einrichtungen und behielt sich zu dem Ende vor, "der Nation eine zweckmäßig
eingerichtete Repräsentation, sowohl in den Provinzen als für das Ganze zu
geben, deren Rath wir gern benutzen werden." Hardenberg hatte bereits die
Grundlagen entworfen, auf welchen diese Repräsentation ruhen sollte. Sre
sollte eine blos berathende sein, weil "sonst die in diesem Momente noth¬
wendige monarchische Form leiden würde." Ferner stellte er die Behauptung
auf, daß eine consultirende Landesvertretung keines Oberhauses bedürfe, und
fügte hinzu: "unser Adel ist i" seiner jetzigen Gestalt unfähig, ein solches zu
bilden," worauf es weiter hieß: "die innere Berechtigung, an einer Repräsen¬
tation teilzunehmen, beruht auf drei Grundlagen: Besitz, Einsicht, Sitten.
Je mehr dieselbe auf alle drei Grundlagen basirt ist, desto vollkommner er¬
scheint sie. Das Recht, an den ersten Wahlversammlungen theilzunehmen, darf
nicht von einem großen Vermögen abhängig gemacht werden, sonst wirken die
Einrichtungen nicht auf die Gemüther des Volkes und arten i" aristokratische
Einseitigkeit aus."

Gewiß mußte der Staatskanzler erwarte", bei so durchgreifenden, völlig
von dem Bisherigen abweichenden Maßregeln auf heftigen Widerstand zu stoßen.
Auf die stürmische und fast allgemeine Opposition, die sich gegen dieselben erhob,
war er nicht vorbereitet. Die verschiedensten Parteien eiferten gegen ihn. Den
Franzvscnfreunden. welchen er stets verhaßt gewesen, war er jetzt als vertrau¬
tester Rath des Königs, als fast uneingeschränkter Lenker des Staates doppelt
zuwider, und so verunglimpften sie, in der Hoffnung, ihn dadurch vielleicht be¬
seitigen zu tonnen, seine Reformen nach allen Kräften. Anderen, die in der
französischen Revolution nur die Raubgier der untern Classen sahen, deren
Hebung und Befreiung die Maßregeln Hardenbergs im Auge hatten, erschien
er als Demokrat und Jakobiner. Wieder Andere ziehen ihn der Unbeständig¬
keit, indem sie ihm vorwarfen, früher mehr den Grundsätzen der englischen
Verfassung gehuldigt zu haben, während ihm jetzt die Beschlüsse der fran¬
zösischen Nationalversammlung zum Vorbild gedient zu haben schienen. Auch
in den Schichten des Volkes, welchen die Verordnungen am unmittelbarsten
zu Gute kamen, regte sich Unzufriedenheit, indeß größtenteils aus Beschränkt-
heit des Urtheils, wie z. B. in Betreff der Gewerbefreiheit. Mit Recht


ziehung der geistlichen nicht mit frommen Stiftungen verbundenen oder zur
Unterhaltung von Schulen und Pfarreien bestimmten Güter zur Deckung der
Staatsschulden. Da indeß bei den ungünstigen Zeitverhältnissen die schleunige
Verwerthung dieser Güter unausführbar war, so sollte eine Zwangsanleihe auf
sie ausgeschrieben und zu gleicher Zeit eine Anleihe im Auslande gemacht wer¬
den. Ferner verhieß das Edict pünktliche Verzinsung der Staatsschulden und
Zahlung aller Besoldungsnickstände. Am Schlüsse versprach der König mög¬
lichste Förderung des Wohles der Unterthanen durch polizeiliche und finanzielle
Einrichtungen und behielt sich zu dem Ende vor, „der Nation eine zweckmäßig
eingerichtete Repräsentation, sowohl in den Provinzen als für das Ganze zu
geben, deren Rath wir gern benutzen werden." Hardenberg hatte bereits die
Grundlagen entworfen, auf welchen diese Repräsentation ruhen sollte. Sre
sollte eine blos berathende sein, weil „sonst die in diesem Momente noth¬
wendige monarchische Form leiden würde." Ferner stellte er die Behauptung
auf, daß eine consultirende Landesvertretung keines Oberhauses bedürfe, und
fügte hinzu: „unser Adel ist i» seiner jetzigen Gestalt unfähig, ein solches zu
bilden," worauf es weiter hieß: „die innere Berechtigung, an einer Repräsen¬
tation teilzunehmen, beruht auf drei Grundlagen: Besitz, Einsicht, Sitten.
Je mehr dieselbe auf alle drei Grundlagen basirt ist, desto vollkommner er¬
scheint sie. Das Recht, an den ersten Wahlversammlungen theilzunehmen, darf
nicht von einem großen Vermögen abhängig gemacht werden, sonst wirken die
Einrichtungen nicht auf die Gemüther des Volkes und arten i» aristokratische
Einseitigkeit aus."

Gewiß mußte der Staatskanzler erwarte», bei so durchgreifenden, völlig
von dem Bisherigen abweichenden Maßregeln auf heftigen Widerstand zu stoßen.
Auf die stürmische und fast allgemeine Opposition, die sich gegen dieselben erhob,
war er nicht vorbereitet. Die verschiedensten Parteien eiferten gegen ihn. Den
Franzvscnfreunden. welchen er stets verhaßt gewesen, war er jetzt als vertrau¬
tester Rath des Königs, als fast uneingeschränkter Lenker des Staates doppelt
zuwider, und so verunglimpften sie, in der Hoffnung, ihn dadurch vielleicht be¬
seitigen zu tonnen, seine Reformen nach allen Kräften. Anderen, die in der
französischen Revolution nur die Raubgier der untern Classen sahen, deren
Hebung und Befreiung die Maßregeln Hardenbergs im Auge hatten, erschien
er als Demokrat und Jakobiner. Wieder Andere ziehen ihn der Unbeständig¬
keit, indem sie ihm vorwarfen, früher mehr den Grundsätzen der englischen
Verfassung gehuldigt zu haben, während ihm jetzt die Beschlüsse der fran¬
zösischen Nationalversammlung zum Vorbild gedient zu haben schienen. Auch
in den Schichten des Volkes, welchen die Verordnungen am unmittelbarsten
zu Gute kamen, regte sich Unzufriedenheit, indeß größtenteils aus Beschränkt-
heit des Urtheils, wie z. B. in Betreff der Gewerbefreiheit. Mit Recht


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[0412] ziehung der geistlichen nicht mit frommen Stiftungen verbundenen oder zur Unterhaltung von Schulen und Pfarreien bestimmten Güter zur Deckung der Staatsschulden. Da indeß bei den ungünstigen Zeitverhältnissen die schleunige Verwerthung dieser Güter unausführbar war, so sollte eine Zwangsanleihe auf sie ausgeschrieben und zu gleicher Zeit eine Anleihe im Auslande gemacht wer¬ den. Ferner verhieß das Edict pünktliche Verzinsung der Staatsschulden und Zahlung aller Besoldungsnickstände. Am Schlüsse versprach der König mög¬ lichste Förderung des Wohles der Unterthanen durch polizeiliche und finanzielle Einrichtungen und behielt sich zu dem Ende vor, „der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Repräsentation, sowohl in den Provinzen als für das Ganze zu geben, deren Rath wir gern benutzen werden." Hardenberg hatte bereits die Grundlagen entworfen, auf welchen diese Repräsentation ruhen sollte. Sre sollte eine blos berathende sein, weil „sonst die in diesem Momente noth¬ wendige monarchische Form leiden würde." Ferner stellte er die Behauptung auf, daß eine consultirende Landesvertretung keines Oberhauses bedürfe, und fügte hinzu: „unser Adel ist i» seiner jetzigen Gestalt unfähig, ein solches zu bilden," worauf es weiter hieß: „die innere Berechtigung, an einer Repräsen¬ tation teilzunehmen, beruht auf drei Grundlagen: Besitz, Einsicht, Sitten. Je mehr dieselbe auf alle drei Grundlagen basirt ist, desto vollkommner er¬ scheint sie. Das Recht, an den ersten Wahlversammlungen theilzunehmen, darf nicht von einem großen Vermögen abhängig gemacht werden, sonst wirken die Einrichtungen nicht auf die Gemüther des Volkes und arten i» aristokratische Einseitigkeit aus." Gewiß mußte der Staatskanzler erwarte», bei so durchgreifenden, völlig von dem Bisherigen abweichenden Maßregeln auf heftigen Widerstand zu stoßen. Auf die stürmische und fast allgemeine Opposition, die sich gegen dieselben erhob, war er nicht vorbereitet. Die verschiedensten Parteien eiferten gegen ihn. Den Franzvscnfreunden. welchen er stets verhaßt gewesen, war er jetzt als vertrau¬ tester Rath des Königs, als fast uneingeschränkter Lenker des Staates doppelt zuwider, und so verunglimpften sie, in der Hoffnung, ihn dadurch vielleicht be¬ seitigen zu tonnen, seine Reformen nach allen Kräften. Anderen, die in der französischen Revolution nur die Raubgier der untern Classen sahen, deren Hebung und Befreiung die Maßregeln Hardenbergs im Auge hatten, erschien er als Demokrat und Jakobiner. Wieder Andere ziehen ihn der Unbeständig¬ keit, indem sie ihm vorwarfen, früher mehr den Grundsätzen der englischen Verfassung gehuldigt zu haben, während ihm jetzt die Beschlüsse der fran¬ zösischen Nationalversammlung zum Vorbild gedient zu haben schienen. Auch in den Schichten des Volkes, welchen die Verordnungen am unmittelbarsten zu Gute kamen, regte sich Unzufriedenheit, indeß größtenteils aus Beschränkt- heit des Urtheils, wie z. B. in Betreff der Gewerbefreiheit. Mit Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/412>, abgerufen am 28.09.2024.