Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Umstände, unter denen Hardenberg nach dem tilsiter Frieden zurück¬
getreten war, umgaben ihn mit dem Nimbus des Patrioten, aber eben deshalb
hatte ihn der König bei seiner völligen Abhängigkeit von Frankreich nicht ohne
die Einwilligung Napoleons wieder an seine Seite rufen können. Diese mußte
durch manchen peinlichen Schritt erkauft werden, und erst als Hardenberg das
Opfer nicht scheute, ein demüthiges Schreiben an den Kaiser zu richten und
dadurch dessen Stolze zu schmeicheln, erfolgte sie. "Schon seit langer Zeit."
hieß es in der Antwort Napoleons, "habe der Kaiser die Ansichten, welche er
von dem Herrn v. Hardenberg gehegt, berichtigt. S. M. habe durchaus nichts
gegen die Wahl desselben einzuwenden und würde es selbst mit Vergnügen
sehen, wenn ihm auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen
würde."

Eine andere Bedingung für seinen Wiedereintritt in den preußischen Staats¬
dienst hatte Hardenberg selbst gestellt. Er verlangte größere Vollmachten. Der
König bewilligte ihm diese, und so trat er als Staatskanzler die oberste Lei
tung sämmtlicher Angelegenheiten an. Er war seinen früheren Ansichten über
Staatsverwaltung treu geblieben, und so waren auch die Rathschläge, die er
dem König ertheilte, im Wesentlichen die früheren. Er hatte vor seinem Amts¬
antritt eine Denkschrift verfaßt, in der er darlegte, in welcher Weise bisher ge¬
fehlt worden und nach welchen Grundsätzen er seinerseits zu Verfahren gedenke.
Vor allem tadelte er die bisherige Inconsequenz, nur aus einem festen poli¬
tischen System könne Sicherheit des Staates, Credit un Auslande und Ver¬
trauen im Innern hervorgehen. Dann erklärte er sich gegen zwei Ansichten,
die damals in den leitenden Kreisen Preußens herrschten. Die eine, welche
behauptete, daß große Opfer im Innern eine Unmöglichkeit seien, bezeichnete
er als ein Aufgeben des Staates, die andere, welche Reformen für nicht an
der Zeit hielt, erschien ihm als Irrthum. In Bezug auf jene wollte er nicht
nur, daß für Zahlung der Kriegssteuern, sondern auch, daß für Verzinsung der
Staatsschulden Sorge getragen würde. "Der große Mann," sagt er. "kann
zu großen Zwecken große Anstrengungen verlangen und erhalten, während der
Aengstliche zu verborgenem Ausflicken nicht das Mindeste erschwingen kann.
Es ist im Innern des Landes auch noch nicht Eine große Maßregel unternommen,
viel weniger durchgeführt worden, noch dauern die entsetzlichen Uebelstände fort,
welche die Kräfte der Nation lähmen, noch hat man keinen Schritt gethan,
ein buntscheckiges, verkehrtes Abgabcnsystem zu berichtigen, und doch wagt man
zu behaupten, das Maximum sei bereits erreicht." In Betreff der Reformen
im Allgemeinen war er überzeugt, daß das Bedürfniß und der Wunsch der
Bevölkerung darnach ein dringender, der Augenblick dazu ein günstiger gewesen
sei. Scharf rügte er das heimliche Thun und sagte in Bezug hierauf in der
Denkschrift wörtlich: "So wie die Bürger der Regierung von ihrem Thun


Die Umstände, unter denen Hardenberg nach dem tilsiter Frieden zurück¬
getreten war, umgaben ihn mit dem Nimbus des Patrioten, aber eben deshalb
hatte ihn der König bei seiner völligen Abhängigkeit von Frankreich nicht ohne
die Einwilligung Napoleons wieder an seine Seite rufen können. Diese mußte
durch manchen peinlichen Schritt erkauft werden, und erst als Hardenberg das
Opfer nicht scheute, ein demüthiges Schreiben an den Kaiser zu richten und
dadurch dessen Stolze zu schmeicheln, erfolgte sie. „Schon seit langer Zeit."
hieß es in der Antwort Napoleons, „habe der Kaiser die Ansichten, welche er
von dem Herrn v. Hardenberg gehegt, berichtigt. S. M. habe durchaus nichts
gegen die Wahl desselben einzuwenden und würde es selbst mit Vergnügen
sehen, wenn ihm auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen
würde."

Eine andere Bedingung für seinen Wiedereintritt in den preußischen Staats¬
dienst hatte Hardenberg selbst gestellt. Er verlangte größere Vollmachten. Der
König bewilligte ihm diese, und so trat er als Staatskanzler die oberste Lei
tung sämmtlicher Angelegenheiten an. Er war seinen früheren Ansichten über
Staatsverwaltung treu geblieben, und so waren auch die Rathschläge, die er
dem König ertheilte, im Wesentlichen die früheren. Er hatte vor seinem Amts¬
antritt eine Denkschrift verfaßt, in der er darlegte, in welcher Weise bisher ge¬
fehlt worden und nach welchen Grundsätzen er seinerseits zu Verfahren gedenke.
Vor allem tadelte er die bisherige Inconsequenz, nur aus einem festen poli¬
tischen System könne Sicherheit des Staates, Credit un Auslande und Ver¬
trauen im Innern hervorgehen. Dann erklärte er sich gegen zwei Ansichten,
die damals in den leitenden Kreisen Preußens herrschten. Die eine, welche
behauptete, daß große Opfer im Innern eine Unmöglichkeit seien, bezeichnete
er als ein Aufgeben des Staates, die andere, welche Reformen für nicht an
der Zeit hielt, erschien ihm als Irrthum. In Bezug auf jene wollte er nicht
nur, daß für Zahlung der Kriegssteuern, sondern auch, daß für Verzinsung der
Staatsschulden Sorge getragen würde. „Der große Mann," sagt er. „kann
zu großen Zwecken große Anstrengungen verlangen und erhalten, während der
Aengstliche zu verborgenem Ausflicken nicht das Mindeste erschwingen kann.
Es ist im Innern des Landes auch noch nicht Eine große Maßregel unternommen,
viel weniger durchgeführt worden, noch dauern die entsetzlichen Uebelstände fort,
welche die Kräfte der Nation lähmen, noch hat man keinen Schritt gethan,
ein buntscheckiges, verkehrtes Abgabcnsystem zu berichtigen, und doch wagt man
zu behaupten, das Maximum sei bereits erreicht." In Betreff der Reformen
im Allgemeinen war er überzeugt, daß das Bedürfniß und der Wunsch der
Bevölkerung darnach ein dringender, der Augenblick dazu ein günstiger gewesen
sei. Scharf rügte er das heimliche Thun und sagte in Bezug hierauf in der
Denkschrift wörtlich: „So wie die Bürger der Regierung von ihrem Thun


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189505"/>
          <p xml:id="ID_1641"> Die Umstände, unter denen Hardenberg nach dem tilsiter Frieden zurück¬<lb/>
getreten war, umgaben ihn mit dem Nimbus des Patrioten, aber eben deshalb<lb/>
hatte ihn der König bei seiner völligen Abhängigkeit von Frankreich nicht ohne<lb/>
die Einwilligung Napoleons wieder an seine Seite rufen können. Diese mußte<lb/>
durch manchen peinlichen Schritt erkauft werden, und erst als Hardenberg das<lb/>
Opfer nicht scheute, ein demüthiges Schreiben an den Kaiser zu richten und<lb/>
dadurch dessen Stolze zu schmeicheln, erfolgte sie. &#x201E;Schon seit langer Zeit."<lb/>
hieß es in der Antwort Napoleons, &#x201E;habe der Kaiser die Ansichten, welche er<lb/>
von dem Herrn v. Hardenberg gehegt, berichtigt. S. M. habe durchaus nichts<lb/>
gegen die Wahl desselben einzuwenden und würde es selbst mit Vergnügen<lb/>
sehen, wenn ihm auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen<lb/>
würde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1642" next="#ID_1643"> Eine andere Bedingung für seinen Wiedereintritt in den preußischen Staats¬<lb/>
dienst hatte Hardenberg selbst gestellt. Er verlangte größere Vollmachten. Der<lb/>
König bewilligte ihm diese, und so trat er als Staatskanzler die oberste Lei<lb/>
tung sämmtlicher Angelegenheiten an. Er war seinen früheren Ansichten über<lb/>
Staatsverwaltung treu geblieben, und so waren auch die Rathschläge, die er<lb/>
dem König ertheilte, im Wesentlichen die früheren. Er hatte vor seinem Amts¬<lb/>
antritt eine Denkschrift verfaßt, in der er darlegte, in welcher Weise bisher ge¬<lb/>
fehlt worden und nach welchen Grundsätzen er seinerseits zu Verfahren gedenke.<lb/>
Vor allem tadelte er die bisherige Inconsequenz, nur aus einem festen poli¬<lb/>
tischen System könne Sicherheit des Staates, Credit un Auslande und Ver¬<lb/>
trauen im Innern hervorgehen. Dann erklärte er sich gegen zwei Ansichten,<lb/>
die damals in den leitenden Kreisen Preußens herrschten. Die eine, welche<lb/>
behauptete, daß große Opfer im Innern eine Unmöglichkeit seien, bezeichnete<lb/>
er als ein Aufgeben des Staates, die andere, welche Reformen für nicht an<lb/>
der Zeit hielt, erschien ihm als Irrthum. In Bezug auf jene wollte er nicht<lb/>
nur, daß für Zahlung der Kriegssteuern, sondern auch, daß für Verzinsung der<lb/>
Staatsschulden Sorge getragen würde. &#x201E;Der große Mann," sagt er. &#x201E;kann<lb/>
zu großen Zwecken große Anstrengungen verlangen und erhalten, während der<lb/>
Aengstliche zu verborgenem Ausflicken nicht das Mindeste erschwingen kann.<lb/>
Es ist im Innern des Landes auch noch nicht Eine große Maßregel unternommen,<lb/>
viel weniger durchgeführt worden, noch dauern die entsetzlichen Uebelstände fort,<lb/>
welche die Kräfte der Nation lähmen, noch hat man keinen Schritt gethan,<lb/>
ein buntscheckiges, verkehrtes Abgabcnsystem zu berichtigen, und doch wagt man<lb/>
zu behaupten, das Maximum sei bereits erreicht." In Betreff der Reformen<lb/>
im Allgemeinen war er überzeugt, daß das Bedürfniß und der Wunsch der<lb/>
Bevölkerung darnach ein dringender, der Augenblick dazu ein günstiger gewesen<lb/>
sei. Scharf rügte er das heimliche Thun und sagte in Bezug hierauf in der<lb/>
Denkschrift wörtlich: &#x201E;So wie die Bürger der Regierung von ihrem Thun</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0410] Die Umstände, unter denen Hardenberg nach dem tilsiter Frieden zurück¬ getreten war, umgaben ihn mit dem Nimbus des Patrioten, aber eben deshalb hatte ihn der König bei seiner völligen Abhängigkeit von Frankreich nicht ohne die Einwilligung Napoleons wieder an seine Seite rufen können. Diese mußte durch manchen peinlichen Schritt erkauft werden, und erst als Hardenberg das Opfer nicht scheute, ein demüthiges Schreiben an den Kaiser zu richten und dadurch dessen Stolze zu schmeicheln, erfolgte sie. „Schon seit langer Zeit." hieß es in der Antwort Napoleons, „habe der Kaiser die Ansichten, welche er von dem Herrn v. Hardenberg gehegt, berichtigt. S. M. habe durchaus nichts gegen die Wahl desselben einzuwenden und würde es selbst mit Vergnügen sehen, wenn ihm auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertragen würde." Eine andere Bedingung für seinen Wiedereintritt in den preußischen Staats¬ dienst hatte Hardenberg selbst gestellt. Er verlangte größere Vollmachten. Der König bewilligte ihm diese, und so trat er als Staatskanzler die oberste Lei tung sämmtlicher Angelegenheiten an. Er war seinen früheren Ansichten über Staatsverwaltung treu geblieben, und so waren auch die Rathschläge, die er dem König ertheilte, im Wesentlichen die früheren. Er hatte vor seinem Amts¬ antritt eine Denkschrift verfaßt, in der er darlegte, in welcher Weise bisher ge¬ fehlt worden und nach welchen Grundsätzen er seinerseits zu Verfahren gedenke. Vor allem tadelte er die bisherige Inconsequenz, nur aus einem festen poli¬ tischen System könne Sicherheit des Staates, Credit un Auslande und Ver¬ trauen im Innern hervorgehen. Dann erklärte er sich gegen zwei Ansichten, die damals in den leitenden Kreisen Preußens herrschten. Die eine, welche behauptete, daß große Opfer im Innern eine Unmöglichkeit seien, bezeichnete er als ein Aufgeben des Staates, die andere, welche Reformen für nicht an der Zeit hielt, erschien ihm als Irrthum. In Bezug auf jene wollte er nicht nur, daß für Zahlung der Kriegssteuern, sondern auch, daß für Verzinsung der Staatsschulden Sorge getragen würde. „Der große Mann," sagt er. „kann zu großen Zwecken große Anstrengungen verlangen und erhalten, während der Aengstliche zu verborgenem Ausflicken nicht das Mindeste erschwingen kann. Es ist im Innern des Landes auch noch nicht Eine große Maßregel unternommen, viel weniger durchgeführt worden, noch dauern die entsetzlichen Uebelstände fort, welche die Kräfte der Nation lähmen, noch hat man keinen Schritt gethan, ein buntscheckiges, verkehrtes Abgabcnsystem zu berichtigen, und doch wagt man zu behaupten, das Maximum sei bereits erreicht." In Betreff der Reformen im Allgemeinen war er überzeugt, daß das Bedürfniß und der Wunsch der Bevölkerung darnach ein dringender, der Augenblick dazu ein günstiger gewesen sei. Scharf rügte er das heimliche Thun und sagte in Bezug hierauf in der Denkschrift wörtlich: „So wie die Bürger der Regierung von ihrem Thun

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/410
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/410>, abgerufen am 28.09.2024.