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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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suchten, wie früher viele. Verdienst als Seeleute auf der niederländischen Handels¬
marine. Kopenhagen und Flensburg dagegen beschäftigten nur noch sehr wenige
Jnselfriesen auf ihren Schiffen.

Im Jahre 1820 waren wieder 36 Föhringer als Capitaine von größern
Schiffen auf der Fahrt, darunter 4 als Commandeure von Grönlandsfahrern.
Von Sylt fuhren damals nur 16 als Schiffscapitäne, im Jahre 1840 aber be¬
reits wieder 30. Zu Ende des ersten Viertels unsres Jahrhunderts hatte die
Insel Sylt (das jüdische Nordende List eingerechnet) 2,671 Einwohner und
darunter 370 Seefahrer. Föhr 4,247 Einwohner und darunter nur 506 See¬
fahrer. Beide Inseln hatten -- und zwar Föhr am meisten -- an Menschen und
Hauserzahl seit 1770 beträchtlich verloren. Im Jahre 1830 war dieselbe wieder
gewachsen. Sylt hatte damals 1,355 Einwohner weiblichen und 1,209 männ¬
lichen Geschlechts. Unter letzteren befanden sich 300 Seefahrer, von denen
136 Capitäne und Steuermänner waren. Die Zahl der Wittwer betrug 56,
die der Wittwen -- 172, also mehr als das Dreifache. Föhr hatte circa 5,400
Einwohner, darunter nahe an 700 Seeleute, die meist beim Robbenfang in
Grönland beschäftigt waren. Die Wiedergeburt Schleswig-Holsteins, dessen An¬
schluß an Deutschland, die Ausführung des norddeutschen Kanals, die Ver¬
größerung der deutschen Marine werden jedenfalls dazu beitragen, daß die alte
Blüthe wiederkehrt, wie andrerseits alle diese Dinge in dem Schiffervolk dieser
Inseln ein wesentliches Element ihres Gedeihens finden werden.

Zum Schluß geben wir einige Auszüge aus Julius Rodenbergs Mitthei¬
lungen über Sylt, der diese am wenigsten in Deutschland bekannte Frieseninsel
im Jahr 1859 besuchtes.

Die Insel Sylt, die größte der Gruppe, hat eine Länge von 4Vs Meilen
und eine Breite von bis IV2 Meilen. Fruchtbaren Landes giebt es nur
wenig. Das Meiste ist Haide und aufgethürmter Dünensand, wo nur Schafe
ihr kümmerliches Futter finden. Die lange schmale Südspitze Hörnum ist durch¬
aus öde und beinahe ganz unbewohnt. Die Mehrzahl der Bedürfnisse muß
vom Festlande her bezogen werden. Im Feld und auf der Wiese sieht man
fast nur Frauen, namentlich sind sie es, die das Vieh auf die Weide und wieder
zurückführen. Die niedere Feldarbeit wird von eingewanderten Juden verrichtet.
Diese -- meist plumpe Burschen und an ihren nichtssagenden Gesichtern, stumpfen
Blicken und ihrem unbeholfenen Betragen leicht von den stolzen Friesen zu
unterscheiden -- stehen zu diesen in einem untergeordneten Verhältniß. Sie
werden vorzugsweise als "Knechte" bezeichnet und behandelt, und der Name "Jude"
gilt auf Sylt geradezu als Schimpfwort, so daß diese Einwandrer selbst ihn ungern



-) Verschollene Inseln. Berlin, Springer, 1861.

suchten, wie früher viele. Verdienst als Seeleute auf der niederländischen Handels¬
marine. Kopenhagen und Flensburg dagegen beschäftigten nur noch sehr wenige
Jnselfriesen auf ihren Schiffen.

Im Jahre 1820 waren wieder 36 Föhringer als Capitaine von größern
Schiffen auf der Fahrt, darunter 4 als Commandeure von Grönlandsfahrern.
Von Sylt fuhren damals nur 16 als Schiffscapitäne, im Jahre 1840 aber be¬
reits wieder 30. Zu Ende des ersten Viertels unsres Jahrhunderts hatte die
Insel Sylt (das jüdische Nordende List eingerechnet) 2,671 Einwohner und
darunter 370 Seefahrer. Föhr 4,247 Einwohner und darunter nur 506 See¬
fahrer. Beide Inseln hatten — und zwar Föhr am meisten — an Menschen und
Hauserzahl seit 1770 beträchtlich verloren. Im Jahre 1830 war dieselbe wieder
gewachsen. Sylt hatte damals 1,355 Einwohner weiblichen und 1,209 männ¬
lichen Geschlechts. Unter letzteren befanden sich 300 Seefahrer, von denen
136 Capitäne und Steuermänner waren. Die Zahl der Wittwer betrug 56,
die der Wittwen — 172, also mehr als das Dreifache. Föhr hatte circa 5,400
Einwohner, darunter nahe an 700 Seeleute, die meist beim Robbenfang in
Grönland beschäftigt waren. Die Wiedergeburt Schleswig-Holsteins, dessen An¬
schluß an Deutschland, die Ausführung des norddeutschen Kanals, die Ver¬
größerung der deutschen Marine werden jedenfalls dazu beitragen, daß die alte
Blüthe wiederkehrt, wie andrerseits alle diese Dinge in dem Schiffervolk dieser
Inseln ein wesentliches Element ihres Gedeihens finden werden.

Zum Schluß geben wir einige Auszüge aus Julius Rodenbergs Mitthei¬
lungen über Sylt, der diese am wenigsten in Deutschland bekannte Frieseninsel
im Jahr 1859 besuchtes.

Die Insel Sylt, die größte der Gruppe, hat eine Länge von 4Vs Meilen
und eine Breite von bis IV2 Meilen. Fruchtbaren Landes giebt es nur
wenig. Das Meiste ist Haide und aufgethürmter Dünensand, wo nur Schafe
ihr kümmerliches Futter finden. Die lange schmale Südspitze Hörnum ist durch¬
aus öde und beinahe ganz unbewohnt. Die Mehrzahl der Bedürfnisse muß
vom Festlande her bezogen werden. Im Feld und auf der Wiese sieht man
fast nur Frauen, namentlich sind sie es, die das Vieh auf die Weide und wieder
zurückführen. Die niedere Feldarbeit wird von eingewanderten Juden verrichtet.
Diese — meist plumpe Burschen und an ihren nichtssagenden Gesichtern, stumpfen
Blicken und ihrem unbeholfenen Betragen leicht von den stolzen Friesen zu
unterscheiden — stehen zu diesen in einem untergeordneten Verhältniß. Sie
werden vorzugsweise als „Knechte" bezeichnet und behandelt, und der Name „Jude"
gilt auf Sylt geradezu als Schimpfwort, so daß diese Einwandrer selbst ihn ungern



-) Verschollene Inseln. Berlin, Springer, 1861.
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[0040] suchten, wie früher viele. Verdienst als Seeleute auf der niederländischen Handels¬ marine. Kopenhagen und Flensburg dagegen beschäftigten nur noch sehr wenige Jnselfriesen auf ihren Schiffen. Im Jahre 1820 waren wieder 36 Föhringer als Capitaine von größern Schiffen auf der Fahrt, darunter 4 als Commandeure von Grönlandsfahrern. Von Sylt fuhren damals nur 16 als Schiffscapitäne, im Jahre 1840 aber be¬ reits wieder 30. Zu Ende des ersten Viertels unsres Jahrhunderts hatte die Insel Sylt (das jüdische Nordende List eingerechnet) 2,671 Einwohner und darunter 370 Seefahrer. Föhr 4,247 Einwohner und darunter nur 506 See¬ fahrer. Beide Inseln hatten — und zwar Föhr am meisten — an Menschen und Hauserzahl seit 1770 beträchtlich verloren. Im Jahre 1830 war dieselbe wieder gewachsen. Sylt hatte damals 1,355 Einwohner weiblichen und 1,209 männ¬ lichen Geschlechts. Unter letzteren befanden sich 300 Seefahrer, von denen 136 Capitäne und Steuermänner waren. Die Zahl der Wittwer betrug 56, die der Wittwen — 172, also mehr als das Dreifache. Föhr hatte circa 5,400 Einwohner, darunter nahe an 700 Seeleute, die meist beim Robbenfang in Grönland beschäftigt waren. Die Wiedergeburt Schleswig-Holsteins, dessen An¬ schluß an Deutschland, die Ausführung des norddeutschen Kanals, die Ver¬ größerung der deutschen Marine werden jedenfalls dazu beitragen, daß die alte Blüthe wiederkehrt, wie andrerseits alle diese Dinge in dem Schiffervolk dieser Inseln ein wesentliches Element ihres Gedeihens finden werden. Zum Schluß geben wir einige Auszüge aus Julius Rodenbergs Mitthei¬ lungen über Sylt, der diese am wenigsten in Deutschland bekannte Frieseninsel im Jahr 1859 besuchtes. Die Insel Sylt, die größte der Gruppe, hat eine Länge von 4Vs Meilen und eine Breite von bis IV2 Meilen. Fruchtbaren Landes giebt es nur wenig. Das Meiste ist Haide und aufgethürmter Dünensand, wo nur Schafe ihr kümmerliches Futter finden. Die lange schmale Südspitze Hörnum ist durch¬ aus öde und beinahe ganz unbewohnt. Die Mehrzahl der Bedürfnisse muß vom Festlande her bezogen werden. Im Feld und auf der Wiese sieht man fast nur Frauen, namentlich sind sie es, die das Vieh auf die Weide und wieder zurückführen. Die niedere Feldarbeit wird von eingewanderten Juden verrichtet. Diese — meist plumpe Burschen und an ihren nichtssagenden Gesichtern, stumpfen Blicken und ihrem unbeholfenen Betragen leicht von den stolzen Friesen zu unterscheiden — stehen zu diesen in einem untergeordneten Verhältniß. Sie werden vorzugsweise als „Knechte" bezeichnet und behandelt, und der Name „Jude" gilt auf Sylt geradezu als Schimpfwort, so daß diese Einwandrer selbst ihn ungern -) Verschollene Inseln. Berlin, Springer, 1861.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/40>, abgerufen am 28.09.2024.