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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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aber Hering mit Aepfelsalat. Dastehen darf mein in dieser Zeit seine Suppe,
weil sonst das Jahr hindurch die Nase tropft, und keine Erbsen essen, weil man
dann Schwären bekommt. Das Vieh muß um Weihnachten besonders reichlich
gefüttert werden, die Kühe mit "dreierlei Fleisch": allerlei Gewürz, Wurzeln
und Kräutern, mit Näucherlerzchenasche, Salz und Nußkern, die Ziegen mit He¬
ringsmilch und Heringstöpscn, die Hühner mit Hirse. Die Obstbäume werden
in einer der heiligen Nächte "beschenkt", d. h. der Hausvater bindet ihnen mit
einem Segensspruch ein Strohseil um. Tropfe es in den Jnnernäckten nicht
von den Dächern, so geben die Kühe wenig Milch, tragen die Bäume in den¬
selben viel Schnee, so wird viel Obst, geht starker Wind, so bedeutet es Krieg
oder große Feuersbrünste. Was man in diesen Nächten träumt, geht in Er¬
füllung, doch darf man die Träume nie andern erzählen. Läßt man am Syl¬
vester das Feuer im Ofen ausgehen, so geht im Laufe des Jahres das Geld
aus. Wird an diesem Tage am letzten Brote gegessen, so wird in den nächsten
zwölf Monaten nur ein Brot im Hause sein. An jedem der drei heiligen Abende
schneide man ein neues Brot an. auf dem Christbaum brenne man keine un¬
gerade Zahl von Lichtern. Ferner lasse man in den Zwölften die Neste des
Abendessens oder wenigstens das Brot die Nacht über auf dem Tische liegen,
"damit die Todten davon genießen können," auch reinige man die Tenne sorgfäl¬
tig, "weil die Todten um Mitternacht dort tanzen." Alle zwölf Nächte empfehlen
sich zur Erforschung der Zukunft durch Blcigießen, Setzen von Salzhäufchen.
Werfen von Pantoffeln oder Aepfelschalen, Schauen in die Esse, Horchen auf
das Summen des Ofenkessels u. s. w.

Sehr ähnlicher Brauch knüpft sich an die Fastnacht, um die sich, wie um
die Weihnachtszeit Neste des heidnischen Mittwinterfestes, verdunkelte Erin¬
nerungen einer alten Frühlingsfeier gruppirt haben. Man wäscht und scheuere
Tags vorher mit besondrer Sorgfalt, man zieht, wenn man Abends zu Tanze
geht, ein neues Kleidungsstück, wenigstens weiße Wäsche an, man genießt be¬
stimmte Speisen. Die Pferde und Rinder bekommen Brot mit Salz und
Bockauer Pulver bestreut. Die Hühner werden vor Sonnenaufgang innerhalb
eines Reifens gefüttert oder man flicht aus Stroh ein Hühnernest und steckt es
dreimal zwischen den Beinen hindurch, wozu man sagt: "Bleib beim Haus wie's
Bein am Leib", dann verlegen die Hühner nicht. Damit der Flachs gerathe,
bindet man zu den Arbeiten am Tage eine blaue Schürze um, versteckt am
Abend die Spinnräder und geht zum Tanz, wozu die Hausfrau eine weiße
Schürze umbindet. Beim Tanzen muß man den "Foßentsprung" thun. d. h.
die Tänzer heben die Tänzerinnen in die Höhe und rufen: "nett wahr, so lang
muß der Flachs wär'"?" Wenn zu Fastnacht die Sonne scheint, sagt man in Mil-
dcnau, so gedeiht der Flachs, während es in Schina und Raschau am Tage Sonnen¬
schein geben, Abends aber "vom Zaune tropfen", d. h. thauen oder regnen muß.


aber Hering mit Aepfelsalat. Dastehen darf mein in dieser Zeit seine Suppe,
weil sonst das Jahr hindurch die Nase tropft, und keine Erbsen essen, weil man
dann Schwären bekommt. Das Vieh muß um Weihnachten besonders reichlich
gefüttert werden, die Kühe mit „dreierlei Fleisch": allerlei Gewürz, Wurzeln
und Kräutern, mit Näucherlerzchenasche, Salz und Nußkern, die Ziegen mit He¬
ringsmilch und Heringstöpscn, die Hühner mit Hirse. Die Obstbäume werden
in einer der heiligen Nächte „beschenkt", d. h. der Hausvater bindet ihnen mit
einem Segensspruch ein Strohseil um. Tropfe es in den Jnnernäckten nicht
von den Dächern, so geben die Kühe wenig Milch, tragen die Bäume in den¬
selben viel Schnee, so wird viel Obst, geht starker Wind, so bedeutet es Krieg
oder große Feuersbrünste. Was man in diesen Nächten träumt, geht in Er¬
füllung, doch darf man die Träume nie andern erzählen. Läßt man am Syl¬
vester das Feuer im Ofen ausgehen, so geht im Laufe des Jahres das Geld
aus. Wird an diesem Tage am letzten Brote gegessen, so wird in den nächsten
zwölf Monaten nur ein Brot im Hause sein. An jedem der drei heiligen Abende
schneide man ein neues Brot an. auf dem Christbaum brenne man keine un¬
gerade Zahl von Lichtern. Ferner lasse man in den Zwölften die Neste des
Abendessens oder wenigstens das Brot die Nacht über auf dem Tische liegen,
„damit die Todten davon genießen können," auch reinige man die Tenne sorgfäl¬
tig, „weil die Todten um Mitternacht dort tanzen." Alle zwölf Nächte empfehlen
sich zur Erforschung der Zukunft durch Blcigießen, Setzen von Salzhäufchen.
Werfen von Pantoffeln oder Aepfelschalen, Schauen in die Esse, Horchen auf
das Summen des Ofenkessels u. s. w.

Sehr ähnlicher Brauch knüpft sich an die Fastnacht, um die sich, wie um
die Weihnachtszeit Neste des heidnischen Mittwinterfestes, verdunkelte Erin¬
nerungen einer alten Frühlingsfeier gruppirt haben. Man wäscht und scheuere
Tags vorher mit besondrer Sorgfalt, man zieht, wenn man Abends zu Tanze
geht, ein neues Kleidungsstück, wenigstens weiße Wäsche an, man genießt be¬
stimmte Speisen. Die Pferde und Rinder bekommen Brot mit Salz und
Bockauer Pulver bestreut. Die Hühner werden vor Sonnenaufgang innerhalb
eines Reifens gefüttert oder man flicht aus Stroh ein Hühnernest und steckt es
dreimal zwischen den Beinen hindurch, wozu man sagt: „Bleib beim Haus wie's
Bein am Leib", dann verlegen die Hühner nicht. Damit der Flachs gerathe,
bindet man zu den Arbeiten am Tage eine blaue Schürze um, versteckt am
Abend die Spinnräder und geht zum Tanz, wozu die Hausfrau eine weiße
Schürze umbindet. Beim Tanzen muß man den „Foßentsprung" thun. d. h.
die Tänzer heben die Tänzerinnen in die Höhe und rufen: „nett wahr, so lang
muß der Flachs wär'»?" Wenn zu Fastnacht die Sonne scheint, sagt man in Mil-
dcnau, so gedeiht der Flachs, während es in Schina und Raschau am Tage Sonnen¬
schein geben, Abends aber „vom Zaune tropfen", d. h. thauen oder regnen muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/398>, abgerufen am 28.09.2024.