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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Ein Königshof im innern Afrika.

Die Entdeckung der Nilquellen. Neisetagcbuch von John Hanning Speke. Aus dem
Englischen übersetzt. Autvnfirte deutsche Ausgabe. Mit zwei Karten, zwei
Stahlstichen und zahlreichen Holzschnitten. 2 Theile. Leipzig, Brockhaus. 1864.

Noch immer herrscht Streit darüber, ob Capitän Speke berechtigt sei, sich
als den Entdecker der Nilquellcn zu betrachte", und in der That ist, von an¬
dern Ausstellungen an seinem Bericht abgesehen, in seinen Angaben eine Lücke,
die es wenigstens zweifelhaft lässt, ob der große Fluß, den er aus dem Nyanza-
see strömen sah, als der Hauptstrom oder nur als ein Nebenfluß des weißen
Nil zu betrachten ist. Und wäre jenes erwiesen, so würde sich immer noch fra¬
gen, ob der Nyanza nicht blos ein Reservoir gewisser großer Flüsse, die von
Osten in ihn münden, die eigentliche Nilquelle also an dem Entstehungsort deö
größten von diesen, etwa in den Schneeregionen des jlilimandscharo oder des
Kenia zu suchen ist. Ueberhaupt besitzt Speke nicht die nöthige wissenschaftliche
Vorbildung zu vollkommen zuverlässigen geographischen Untersuchungen, seine
Mittheilungen sind oft ziemlich verworren, seine ethnographischen Hypothesen
kühner als billig, und wenn er wiederholt die Meinung ausspricht, die alten
Inder seien die ersten Nichtafrikcmer gewesen, welche von den Nilquellcn Kennt¬
niß gehabt, von diesen sei letztere den Aegyptern geworden, und von diesen
wieder hätte Ptolemäus sie erhalten, so muß man lächeln. Speke fußt mit dieser
Ansicht, die er in einer dem ersten Bande seines Buches beigegebnen wunder¬
samen Karte ("der Lauf des Flusses Kali oder Great Krischna nach den Pu-
rana") versinnlicht, aus gewissen Aufsätzen Francis Wilfords. die ihrerseits auf
einer Täuschung ihres Verfassers durch indische Pundits beruhen. Die Sache
ist längst bekannt und von Wilford selbst eingestanden. Speke aber hat davon
keine Ahnung, und so giebt er uns getrost eine Phantasickarte.

Indeß soll hiermit dem kühnen Reisenden und seinem Buche sein Verdienst
nich,t abgesprochen werden. Speke und sein Gefährte Grant haben mit Uner-
schrockenheit und Ausdauer den praktischen Beweis geführt, daß die Region der
Nilqucllen für die europäische Forschung nicht unnahbar ist, sie haben die Lö¬
sung des großen Problems beträchtlich gefördert, und möglicherweise dasselbe
wirklich schon gelöst. Das Werk Spekcs aber enthält neben manchem zweifel¬
haften Bericht und einigen offenbar falschen Angaben auch sehr vieles, was
unsre Kunde von Jnnerafrika. namentlich von dessen Völkerschaften wesentlich
bereichert, und so dürfen wir es nach der vorausgeschickten Warnung immer-


Ein Königshof im innern Afrika.

Die Entdeckung der Nilquellen. Neisetagcbuch von John Hanning Speke. Aus dem
Englischen übersetzt. Autvnfirte deutsche Ausgabe. Mit zwei Karten, zwei
Stahlstichen und zahlreichen Holzschnitten. 2 Theile. Leipzig, Brockhaus. 1864.

Noch immer herrscht Streit darüber, ob Capitän Speke berechtigt sei, sich
als den Entdecker der Nilquellcn zu betrachte», und in der That ist, von an¬
dern Ausstellungen an seinem Bericht abgesehen, in seinen Angaben eine Lücke,
die es wenigstens zweifelhaft lässt, ob der große Fluß, den er aus dem Nyanza-
see strömen sah, als der Hauptstrom oder nur als ein Nebenfluß des weißen
Nil zu betrachten ist. Und wäre jenes erwiesen, so würde sich immer noch fra¬
gen, ob der Nyanza nicht blos ein Reservoir gewisser großer Flüsse, die von
Osten in ihn münden, die eigentliche Nilquelle also an dem Entstehungsort deö
größten von diesen, etwa in den Schneeregionen des jlilimandscharo oder des
Kenia zu suchen ist. Ueberhaupt besitzt Speke nicht die nöthige wissenschaftliche
Vorbildung zu vollkommen zuverlässigen geographischen Untersuchungen, seine
Mittheilungen sind oft ziemlich verworren, seine ethnographischen Hypothesen
kühner als billig, und wenn er wiederholt die Meinung ausspricht, die alten
Inder seien die ersten Nichtafrikcmer gewesen, welche von den Nilquellcn Kennt¬
niß gehabt, von diesen sei letztere den Aegyptern geworden, und von diesen
wieder hätte Ptolemäus sie erhalten, so muß man lächeln. Speke fußt mit dieser
Ansicht, die er in einer dem ersten Bande seines Buches beigegebnen wunder¬
samen Karte („der Lauf des Flusses Kali oder Great Krischna nach den Pu-
rana") versinnlicht, aus gewissen Aufsätzen Francis Wilfords. die ihrerseits auf
einer Täuschung ihres Verfassers durch indische Pundits beruhen. Die Sache
ist längst bekannt und von Wilford selbst eingestanden. Speke aber hat davon
keine Ahnung, und so giebt er uns getrost eine Phantasickarte.

Indeß soll hiermit dem kühnen Reisenden und seinem Buche sein Verdienst
nich,t abgesprochen werden. Speke und sein Gefährte Grant haben mit Uner-
schrockenheit und Ausdauer den praktischen Beweis geführt, daß die Region der
Nilqucllen für die europäische Forschung nicht unnahbar ist, sie haben die Lö¬
sung des großen Problems beträchtlich gefördert, und möglicherweise dasselbe
wirklich schon gelöst. Das Werk Spekcs aber enthält neben manchem zweifel¬
haften Bericht und einigen offenbar falschen Angaben auch sehr vieles, was
unsre Kunde von Jnnerafrika. namentlich von dessen Völkerschaften wesentlich
bereichert, und so dürfen wir es nach der vorausgeschickten Warnung immer-


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[0380] Ein Königshof im innern Afrika. Die Entdeckung der Nilquellen. Neisetagcbuch von John Hanning Speke. Aus dem Englischen übersetzt. Autvnfirte deutsche Ausgabe. Mit zwei Karten, zwei Stahlstichen und zahlreichen Holzschnitten. 2 Theile. Leipzig, Brockhaus. 1864. Noch immer herrscht Streit darüber, ob Capitän Speke berechtigt sei, sich als den Entdecker der Nilquellcn zu betrachte», und in der That ist, von an¬ dern Ausstellungen an seinem Bericht abgesehen, in seinen Angaben eine Lücke, die es wenigstens zweifelhaft lässt, ob der große Fluß, den er aus dem Nyanza- see strömen sah, als der Hauptstrom oder nur als ein Nebenfluß des weißen Nil zu betrachten ist. Und wäre jenes erwiesen, so würde sich immer noch fra¬ gen, ob der Nyanza nicht blos ein Reservoir gewisser großer Flüsse, die von Osten in ihn münden, die eigentliche Nilquelle also an dem Entstehungsort deö größten von diesen, etwa in den Schneeregionen des jlilimandscharo oder des Kenia zu suchen ist. Ueberhaupt besitzt Speke nicht die nöthige wissenschaftliche Vorbildung zu vollkommen zuverlässigen geographischen Untersuchungen, seine Mittheilungen sind oft ziemlich verworren, seine ethnographischen Hypothesen kühner als billig, und wenn er wiederholt die Meinung ausspricht, die alten Inder seien die ersten Nichtafrikcmer gewesen, welche von den Nilquellcn Kennt¬ niß gehabt, von diesen sei letztere den Aegyptern geworden, und von diesen wieder hätte Ptolemäus sie erhalten, so muß man lächeln. Speke fußt mit dieser Ansicht, die er in einer dem ersten Bande seines Buches beigegebnen wunder¬ samen Karte („der Lauf des Flusses Kali oder Great Krischna nach den Pu- rana") versinnlicht, aus gewissen Aufsätzen Francis Wilfords. die ihrerseits auf einer Täuschung ihres Verfassers durch indische Pundits beruhen. Die Sache ist längst bekannt und von Wilford selbst eingestanden. Speke aber hat davon keine Ahnung, und so giebt er uns getrost eine Phantasickarte. Indeß soll hiermit dem kühnen Reisenden und seinem Buche sein Verdienst nich,t abgesprochen werden. Speke und sein Gefährte Grant haben mit Uner- schrockenheit und Ausdauer den praktischen Beweis geführt, daß die Region der Nilqucllen für die europäische Forschung nicht unnahbar ist, sie haben die Lö¬ sung des großen Problems beträchtlich gefördert, und möglicherweise dasselbe wirklich schon gelöst. Das Werk Spekcs aber enthält neben manchem zweifel¬ haften Bericht und einigen offenbar falschen Angaben auch sehr vieles, was unsre Kunde von Jnnerafrika. namentlich von dessen Völkerschaften wesentlich bereichert, und so dürfen wir es nach der vorausgeschickten Warnung immer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/380>, abgerufen am 28.09.2024.