Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Preußische Politik in den Herzogthümern.

Wer im October des vorigen Jahres den Deutschen gesagt hätte: in wenigen
Monaten wird die Herrschaft der Dänen über die Herzogthümer zu Ende sein,
deutsche Truppen werden das Land dio zur Königsau besetzen, die Dänen werden
durch wackere preußische Waffenthat zum Frieden gezwungen werden, die schleswig¬
holsteinischen Farben sollen lustrg am Belt und auf den friesischen Inseln
wehen, die brutalen Beamten werden verjagt, die deutsche Sprache in Kirche
und Schule wieder eingesetzt, und eine Landesregierung, an welcher patriotische
Männer Schleswig-Holsteins Theil haben, wird die Geschäfte des Landes leiten;
ja noch mehr, die londoner Verträge werden zerrissen sein, England, Frankreich,
Rußland werden die Thatsachen anerkennen, und der Friede Europas wird
durch diese nationale Frage nicht gestört werden -- wer das im October 1863 be-
hauptet hätte, gegen den hätte der bescheidene Sinn des Deutschen mit dem Haupte
geschüttelt, und wäre einem Propheten gelungen, vertrauende Gläubige zu
finden, so wäre diesen solcher Erfolg als ein Glück erschienen, der höchsten
Begeisterung werth und des innigsten Dankes gegen die Macht, welches die
Geschicke unseres Vaterlandes lenkt. Und siehe, das alles ist geschehen, und
die Freude darüber findet keinen Ausdruck. Selbst da in den Herzogthümern,
wo man der Dänennoth ledig wurde, herrscht Unsicherheit und bange Erwartung.
Dies alles ist geschehen durch die Tapferkeit der Preußen, und niemand äußert
seine Dankbarkeit darüber. Wahrlich, wer einmal in der Zukunft die Ge¬
schichte dieser Jahre schreiben und die öffentliche Stimmung in der Tagespresse
und den Versammlungen patriotischer Männer, oder in den Verhandlungen der
Landeskammern suchen wird, der wird erschrecke" vor der Zerfahrenheit und
der tiefen Verstimmung, welche alles entzweit. Die große Angelegenheit,
welche, da sie verzweifelt schien, durch einige Wochen fast alle Parteien ver-
einigte, den Egoismus der Cabinete zu Rücksichten zwang, dem Ausland eine
widerwillige Anerkennung deutscher Berserkerwuth abnöthigte. sie hat jetzt, wo
sie zu einem vorläufigen Abschluß gebracht ist, der in der Hauptsache das gün¬
stigste Ende erwarten läßt, nur verstört, entzweit, und wenn man dem Anschein
trauen darf, gedemüthigt. Ueberall drängen sich locale Stimmungen und oft
kleinliches Urtheil in den Vordergrund, zwischen Nord- und Süddeutschen, zwi¬
schen Preußen und Schwaben ist der Gegensatz größer geworden, als er seit
vielen Jahren war. Auch in den liberalen Blättern läuft die Auffassung der
Sachlage immer mehr auseinander, die unabhängige Presse Preußens, ohnedies
ermattet und niedergedrückt durch Confiscationen und Verurteilungen, steht im


Die Preußische Politik in den Herzogthümern.

Wer im October des vorigen Jahres den Deutschen gesagt hätte: in wenigen
Monaten wird die Herrschaft der Dänen über die Herzogthümer zu Ende sein,
deutsche Truppen werden das Land dio zur Königsau besetzen, die Dänen werden
durch wackere preußische Waffenthat zum Frieden gezwungen werden, die schleswig¬
holsteinischen Farben sollen lustrg am Belt und auf den friesischen Inseln
wehen, die brutalen Beamten werden verjagt, die deutsche Sprache in Kirche
und Schule wieder eingesetzt, und eine Landesregierung, an welcher patriotische
Männer Schleswig-Holsteins Theil haben, wird die Geschäfte des Landes leiten;
ja noch mehr, die londoner Verträge werden zerrissen sein, England, Frankreich,
Rußland werden die Thatsachen anerkennen, und der Friede Europas wird
durch diese nationale Frage nicht gestört werden — wer das im October 1863 be-
hauptet hätte, gegen den hätte der bescheidene Sinn des Deutschen mit dem Haupte
geschüttelt, und wäre einem Propheten gelungen, vertrauende Gläubige zu
finden, so wäre diesen solcher Erfolg als ein Glück erschienen, der höchsten
Begeisterung werth und des innigsten Dankes gegen die Macht, welches die
Geschicke unseres Vaterlandes lenkt. Und siehe, das alles ist geschehen, und
die Freude darüber findet keinen Ausdruck. Selbst da in den Herzogthümern,
wo man der Dänennoth ledig wurde, herrscht Unsicherheit und bange Erwartung.
Dies alles ist geschehen durch die Tapferkeit der Preußen, und niemand äußert
seine Dankbarkeit darüber. Wahrlich, wer einmal in der Zukunft die Ge¬
schichte dieser Jahre schreiben und die öffentliche Stimmung in der Tagespresse
und den Versammlungen patriotischer Männer, oder in den Verhandlungen der
Landeskammern suchen wird, der wird erschrecke» vor der Zerfahrenheit und
der tiefen Verstimmung, welche alles entzweit. Die große Angelegenheit,
welche, da sie verzweifelt schien, durch einige Wochen fast alle Parteien ver-
einigte, den Egoismus der Cabinete zu Rücksichten zwang, dem Ausland eine
widerwillige Anerkennung deutscher Berserkerwuth abnöthigte. sie hat jetzt, wo
sie zu einem vorläufigen Abschluß gebracht ist, der in der Hauptsache das gün¬
stigste Ende erwarten läßt, nur verstört, entzweit, und wenn man dem Anschein
trauen darf, gedemüthigt. Ueberall drängen sich locale Stimmungen und oft
kleinliches Urtheil in den Vordergrund, zwischen Nord- und Süddeutschen, zwi¬
schen Preußen und Schwaben ist der Gegensatz größer geworden, als er seit
vielen Jahren war. Auch in den liberalen Blättern läuft die Auffassung der
Sachlage immer mehr auseinander, die unabhängige Presse Preußens, ohnedies
ermattet und niedergedrückt durch Confiscationen und Verurteilungen, steht im


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189471"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Preußische Politik in den Herzogthümern.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1529" next="#ID_1530"> Wer im October des vorigen Jahres den Deutschen gesagt hätte: in wenigen<lb/>
Monaten wird die Herrschaft der Dänen über die Herzogthümer zu Ende sein,<lb/>
deutsche Truppen werden das Land dio zur Königsau besetzen, die Dänen werden<lb/>
durch wackere preußische Waffenthat zum Frieden gezwungen werden, die schleswig¬<lb/>
holsteinischen Farben sollen lustrg am Belt und auf den friesischen Inseln<lb/>
wehen, die brutalen Beamten werden verjagt, die deutsche Sprache in Kirche<lb/>
und Schule wieder eingesetzt, und eine Landesregierung, an welcher patriotische<lb/>
Männer Schleswig-Holsteins Theil haben, wird die Geschäfte des Landes leiten;<lb/>
ja noch mehr, die londoner Verträge werden zerrissen sein, England, Frankreich,<lb/>
Rußland werden die Thatsachen anerkennen, und der Friede Europas wird<lb/>
durch diese nationale Frage nicht gestört werden &#x2014; wer das im October 1863 be-<lb/>
hauptet hätte, gegen den hätte der bescheidene Sinn des Deutschen mit dem Haupte<lb/>
geschüttelt, und wäre einem Propheten gelungen, vertrauende Gläubige zu<lb/>
finden, so wäre diesen solcher Erfolg als ein Glück erschienen, der höchsten<lb/>
Begeisterung werth und des innigsten Dankes gegen die Macht, welches die<lb/>
Geschicke unseres Vaterlandes lenkt. Und siehe, das alles ist geschehen, und<lb/>
die Freude darüber findet keinen Ausdruck. Selbst da in den Herzogthümern,<lb/>
wo man der Dänennoth ledig wurde, herrscht Unsicherheit und bange Erwartung.<lb/>
Dies alles ist geschehen durch die Tapferkeit der Preußen, und niemand äußert<lb/>
seine Dankbarkeit darüber. Wahrlich, wer einmal in der Zukunft die Ge¬<lb/>
schichte dieser Jahre schreiben und die öffentliche Stimmung in der Tagespresse<lb/>
und den Versammlungen patriotischer Männer, oder in den Verhandlungen der<lb/>
Landeskammern suchen wird, der wird erschrecke» vor der Zerfahrenheit und<lb/>
der tiefen Verstimmung, welche alles entzweit. Die große Angelegenheit,<lb/>
welche, da sie verzweifelt schien, durch einige Wochen fast alle Parteien ver-<lb/>
einigte, den Egoismus der Cabinete zu Rücksichten zwang, dem Ausland eine<lb/>
widerwillige Anerkennung deutscher Berserkerwuth abnöthigte. sie hat jetzt, wo<lb/>
sie zu einem vorläufigen Abschluß gebracht ist, der in der Hauptsache das gün¬<lb/>
stigste Ende erwarten läßt, nur verstört, entzweit, und wenn man dem Anschein<lb/>
trauen darf, gedemüthigt. Ueberall drängen sich locale Stimmungen und oft<lb/>
kleinliches Urtheil in den Vordergrund, zwischen Nord- und Süddeutschen, zwi¬<lb/>
schen Preußen und Schwaben ist der Gegensatz größer geworden, als er seit<lb/>
vielen Jahren war. Auch in den liberalen Blättern läuft die Auffassung der<lb/>
Sachlage immer mehr auseinander, die unabhängige Presse Preußens, ohnedies<lb/>
ermattet und niedergedrückt durch Confiscationen und Verurteilungen, steht im</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] Die Preußische Politik in den Herzogthümern. Wer im October des vorigen Jahres den Deutschen gesagt hätte: in wenigen Monaten wird die Herrschaft der Dänen über die Herzogthümer zu Ende sein, deutsche Truppen werden das Land dio zur Königsau besetzen, die Dänen werden durch wackere preußische Waffenthat zum Frieden gezwungen werden, die schleswig¬ holsteinischen Farben sollen lustrg am Belt und auf den friesischen Inseln wehen, die brutalen Beamten werden verjagt, die deutsche Sprache in Kirche und Schule wieder eingesetzt, und eine Landesregierung, an welcher patriotische Männer Schleswig-Holsteins Theil haben, wird die Geschäfte des Landes leiten; ja noch mehr, die londoner Verträge werden zerrissen sein, England, Frankreich, Rußland werden die Thatsachen anerkennen, und der Friede Europas wird durch diese nationale Frage nicht gestört werden — wer das im October 1863 be- hauptet hätte, gegen den hätte der bescheidene Sinn des Deutschen mit dem Haupte geschüttelt, und wäre einem Propheten gelungen, vertrauende Gläubige zu finden, so wäre diesen solcher Erfolg als ein Glück erschienen, der höchsten Begeisterung werth und des innigsten Dankes gegen die Macht, welches die Geschicke unseres Vaterlandes lenkt. Und siehe, das alles ist geschehen, und die Freude darüber findet keinen Ausdruck. Selbst da in den Herzogthümern, wo man der Dänennoth ledig wurde, herrscht Unsicherheit und bange Erwartung. Dies alles ist geschehen durch die Tapferkeit der Preußen, und niemand äußert seine Dankbarkeit darüber. Wahrlich, wer einmal in der Zukunft die Ge¬ schichte dieser Jahre schreiben und die öffentliche Stimmung in der Tagespresse und den Versammlungen patriotischer Männer, oder in den Verhandlungen der Landeskammern suchen wird, der wird erschrecke» vor der Zerfahrenheit und der tiefen Verstimmung, welche alles entzweit. Die große Angelegenheit, welche, da sie verzweifelt schien, durch einige Wochen fast alle Parteien ver- einigte, den Egoismus der Cabinete zu Rücksichten zwang, dem Ausland eine widerwillige Anerkennung deutscher Berserkerwuth abnöthigte. sie hat jetzt, wo sie zu einem vorläufigen Abschluß gebracht ist, der in der Hauptsache das gün¬ stigste Ende erwarten läßt, nur verstört, entzweit, und wenn man dem Anschein trauen darf, gedemüthigt. Ueberall drängen sich locale Stimmungen und oft kleinliches Urtheil in den Vordergrund, zwischen Nord- und Süddeutschen, zwi¬ schen Preußen und Schwaben ist der Gegensatz größer geworden, als er seit vielen Jahren war. Auch in den liberalen Blättern läuft die Auffassung der Sachlage immer mehr auseinander, die unabhängige Presse Preußens, ohnedies ermattet und niedergedrückt durch Confiscationen und Verurteilungen, steht im

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/376>, abgerufen am 28.09.2024.