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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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allen Schlachtfeldern Europas zu vergießen und ihre Menschenkraft in der
Aufrechterhaltung einer allgemeinen Knechtschaft der Nachbarvölker zu erschöpfen,
bemächtigt sich die französische Nation wieder einmal mit Lust und Energie
ihrer eigensten Interessen, und wunderbar bewährt sich ihre alte Spannkraft.
Auf allen geistigen Gebieten ein freudiges Schaffen, Arbeiten und Ringen nach
neuen Zielen, besonders energisch auf dem künstlerischen. Die literarische Be¬
wegung jener Geburtszeit der Romantik beschäftigt uns hier nicht; die Archi¬
tektur und Plastik erheben sich zu keinen eigentlich originalen neuen Ent¬
wickelungen; die Malerei tritt vor allem in den Vordergrund als die nationale
Kunst par exesllenee, in der sich die heißen Kämpfe der Gesellschaft, das Sturm¬
lausen gegen herrschendes Dogma und tyrannische Autoritäten und gleichzeitig
auch die romantischen und volkstümlichen Neigungen jener reflektiren. Die
künstlerischen Thaten der jungen Meister Delacroix und Horace Lernet, werden von
der begeisterten Theilnahme des Volks begleitet, die Erfolge als ebensoviel!
Siege der oppositionellen französischen Gesellschaft gefeiert. Und wie diese ge¬
langt denn auch die Malerei, in welcher sie ihren eigenen Abglanz fand, mit
der Julirevolution zur vollen anerkannten Herrschaft.

Ohne persönlich irgend mit künstlerischem Sinn und Geschmack, noch mit
der Lust und dem Bedürfniß königlicher Prachtentfaltung ausgestattet zu sein,
hat Louis Philipp und seine Regierung auf die Entwicklung der französischen
Kunst segensreich genug gewirkt. Gerade dadurch, daß er nicht, wie so mancher
Fürst vor und neben ihm, die Kunst nach seinem eignen persönlichen Willen,
seinen inviduellen Neigungen und Liebhabereien, nach bestimmten oft so verschro¬
benen und falschen Zielen zu lenken bestrebt war, daß er sein "laisser taire und
laisser aller" auch hier im Allgemeinen zur Anwendung brachte, während er
es an praktischer Förderung durch königliche Aufträge und Unternehmungen
durchaus nicht fehlen ließ, ist er ihrem Gedeihen nützlich geworden. Wir
haben bei uns in nächster Nähe täglich die traurigen Resultate vor Augen,
die bei der entgegengesetzten Weise der Kunstfördcrung herausgekommen sind.
In Stein und Farbe verkörperte Liebhabereien und "geistreiche Ideen" könig¬
licher Dilettanten sind fürchterlich. Die bürgerliche Gesellschaft Frankreichs
während der dreißiger und vierziger Jahre wurde in jenen Friedenszeiten
reich und behaglich: das half den kleineren Gattungen der Malerei, dem Genre,
dem Bildniß, der Landschaft zu einer fröhlichen Blüthe. Die malerische Tech¬
nik steigerte sich zu einer außerordentlich kunstreichen Ausbildung. Die Erin¬
nerungen der größten geschichtlichen Thaten des Volks lagen nahe, das poli¬
tische Leben desselben war bewegt genug, um auch der historischen Malerei
Gunst, Neigung und Verständniß zu erhalten. Die dauernden Bedürfnisse des
katholischen Cultus sorgten für bedeutende Aufgaben der kirchlich-religiösen Kunst.
Der König bot beiden höhern Gattungen der Malerei Gelegenheit in Fülle,


allen Schlachtfeldern Europas zu vergießen und ihre Menschenkraft in der
Aufrechterhaltung einer allgemeinen Knechtschaft der Nachbarvölker zu erschöpfen,
bemächtigt sich die französische Nation wieder einmal mit Lust und Energie
ihrer eigensten Interessen, und wunderbar bewährt sich ihre alte Spannkraft.
Auf allen geistigen Gebieten ein freudiges Schaffen, Arbeiten und Ringen nach
neuen Zielen, besonders energisch auf dem künstlerischen. Die literarische Be¬
wegung jener Geburtszeit der Romantik beschäftigt uns hier nicht; die Archi¬
tektur und Plastik erheben sich zu keinen eigentlich originalen neuen Ent¬
wickelungen; die Malerei tritt vor allem in den Vordergrund als die nationale
Kunst par exesllenee, in der sich die heißen Kämpfe der Gesellschaft, das Sturm¬
lausen gegen herrschendes Dogma und tyrannische Autoritäten und gleichzeitig
auch die romantischen und volkstümlichen Neigungen jener reflektiren. Die
künstlerischen Thaten der jungen Meister Delacroix und Horace Lernet, werden von
der begeisterten Theilnahme des Volks begleitet, die Erfolge als ebensoviel!
Siege der oppositionellen französischen Gesellschaft gefeiert. Und wie diese ge¬
langt denn auch die Malerei, in welcher sie ihren eigenen Abglanz fand, mit
der Julirevolution zur vollen anerkannten Herrschaft.

Ohne persönlich irgend mit künstlerischem Sinn und Geschmack, noch mit
der Lust und dem Bedürfniß königlicher Prachtentfaltung ausgestattet zu sein,
hat Louis Philipp und seine Regierung auf die Entwicklung der französischen
Kunst segensreich genug gewirkt. Gerade dadurch, daß er nicht, wie so mancher
Fürst vor und neben ihm, die Kunst nach seinem eignen persönlichen Willen,
seinen inviduellen Neigungen und Liebhabereien, nach bestimmten oft so verschro¬
benen und falschen Zielen zu lenken bestrebt war, daß er sein „laisser taire und
laisser aller" auch hier im Allgemeinen zur Anwendung brachte, während er
es an praktischer Förderung durch königliche Aufträge und Unternehmungen
durchaus nicht fehlen ließ, ist er ihrem Gedeihen nützlich geworden. Wir
haben bei uns in nächster Nähe täglich die traurigen Resultate vor Augen,
die bei der entgegengesetzten Weise der Kunstfördcrung herausgekommen sind.
In Stein und Farbe verkörperte Liebhabereien und „geistreiche Ideen" könig¬
licher Dilettanten sind fürchterlich. Die bürgerliche Gesellschaft Frankreichs
während der dreißiger und vierziger Jahre wurde in jenen Friedenszeiten
reich und behaglich: das half den kleineren Gattungen der Malerei, dem Genre,
dem Bildniß, der Landschaft zu einer fröhlichen Blüthe. Die malerische Tech¬
nik steigerte sich zu einer außerordentlich kunstreichen Ausbildung. Die Erin¬
nerungen der größten geschichtlichen Thaten des Volks lagen nahe, das poli¬
tische Leben desselben war bewegt genug, um auch der historischen Malerei
Gunst, Neigung und Verständniß zu erhalten. Die dauernden Bedürfnisse des
katholischen Cultus sorgten für bedeutende Aufgaben der kirchlich-religiösen Kunst.
Der König bot beiden höhern Gattungen der Malerei Gelegenheit in Fülle,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/372>, abgerufen am 28.09.2024.