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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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solche minds desto weniger kaum die geringste Einwirkung geübt. Die befehdeten
Zustände bestehen und entwickeln sich in üppigem Gedeihen, ob man sie preise
oder Verdamme, mit einer Art von Naturnotwendigkeit, der sie darum nicht
weniger unterworfen sind, weil bei ihrer Erzeugung der bewußte Wille eines
Einzelnen ein Hauptfactor war.

In wiefern und in welchem Grade der politische und gesellschaftliche
Zustand der Nationen auf die Entwicklung der Künste und speciell der
bildenden bei ihnen einwirke -- diese Frage ist immer ein beliebtes und
viel behandeltes Thema kunsthistvnscher und geschichtsphilosophischcr Unter¬
suchung gewesen. Der Schluß liegt nahe, daß ein energisches nationales
Leben, daß eine glänzende politische Bethätigung desselben mit einer nicht ge¬
ringeren des dadurch zu großen Aufgaben berufnen künstlerischen Volksgeistes
zusammenfallen müsse. Das herrliche Beispiel des pcrikleischen Athen und
der Niederlande des siebzehnten Jahrhunderts schien dieser Ansicht eine mäch¬
tige Unterstützung zu geben. Und doch zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle
das Gegentheil. Ebensowenig schließt der tiefste staatliche Verfall die Möglich¬
keit und Fähigkeit aus. die größten künstlerischen Genieen und unsterbliche
Schöpfungen der redenden wie der bildenden Kunst zu erzeugen, wie etwa
andrerseits der großartigste politische Aufschwung das Erwachsen derselben zur
nothwendigen Folge hätte. Das geheimnißvolle Gesetz, nach welchem der schöpfe¬
rische Kunstgeist bei den Völkern einmal zu mächtiger Bethätigung hervorbricht, zu¬
sammensinkt, spurlos zu schwinden scheint, wieder zu neuem Leben sich aufrafft,
wähnt sich wohl mancher Philosoph erkannt zu habe", aber mit wie geringem
Recht! Der ganz enge und genaue Zusammenhang der politischen Entwickelung mit
der künstlerischen im Leben der Völker war noch in den vierziger Jahren das
feste und allgemein nachgebetete Dogma unsrer fortschrittlichen Weltweisen.
Ich entsinne mich z.B., daß 1843 Heinrich Laube als das einzig wahre Mittel,
um zu einer großartigen Entfaltung der deutschen Malerei zu verhelfen die
Verleihung einer "Constitution" durch den König von Preußen erklärte. Damit
aber, daß wir eine derartige enge Wechselbeziehung zwischen der Politik und der
Kunst eines Volks entschieden bestreik'", soll nicht der tiefe Einfluß geläugnet
werden, welchen die die bürgerliche Gesellschaft bewegenden und beherrschenden
geistigen und sittlichen Anschauungen und Tendenzen auf die bildenden Künste
in jeder geschichtlichen Epoche geübt haben und üben werden. Blühende oder
kränkelnde, lebenskräftig gesunde oder armselig dahinsiechende Kinder der Ge¬
sellschaft, werden sie immer die wesentlichen und charakteristischen Züge der Er¬
zeugerin trage". Bei den Franzosen der letzten zwei bis drei Jahrhunderte
ist nun die gesellschaftliche Physiognomie ganz vorzugsweise scharf und charak-
teristisch ausgesprochen. Ebenso alt ungefähr ist ihre nationale Malerei, und
bis auf die jüngste Gegenwart tritt denn auch jene Verwandtschaft oder selbst


solche minds desto weniger kaum die geringste Einwirkung geübt. Die befehdeten
Zustände bestehen und entwickeln sich in üppigem Gedeihen, ob man sie preise
oder Verdamme, mit einer Art von Naturnotwendigkeit, der sie darum nicht
weniger unterworfen sind, weil bei ihrer Erzeugung der bewußte Wille eines
Einzelnen ein Hauptfactor war.

In wiefern und in welchem Grade der politische und gesellschaftliche
Zustand der Nationen auf die Entwicklung der Künste und speciell der
bildenden bei ihnen einwirke — diese Frage ist immer ein beliebtes und
viel behandeltes Thema kunsthistvnscher und geschichtsphilosophischcr Unter¬
suchung gewesen. Der Schluß liegt nahe, daß ein energisches nationales
Leben, daß eine glänzende politische Bethätigung desselben mit einer nicht ge¬
ringeren des dadurch zu großen Aufgaben berufnen künstlerischen Volksgeistes
zusammenfallen müsse. Das herrliche Beispiel des pcrikleischen Athen und
der Niederlande des siebzehnten Jahrhunderts schien dieser Ansicht eine mäch¬
tige Unterstützung zu geben. Und doch zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle
das Gegentheil. Ebensowenig schließt der tiefste staatliche Verfall die Möglich¬
keit und Fähigkeit aus. die größten künstlerischen Genieen und unsterbliche
Schöpfungen der redenden wie der bildenden Kunst zu erzeugen, wie etwa
andrerseits der großartigste politische Aufschwung das Erwachsen derselben zur
nothwendigen Folge hätte. Das geheimnißvolle Gesetz, nach welchem der schöpfe¬
rische Kunstgeist bei den Völkern einmal zu mächtiger Bethätigung hervorbricht, zu¬
sammensinkt, spurlos zu schwinden scheint, wieder zu neuem Leben sich aufrafft,
wähnt sich wohl mancher Philosoph erkannt zu habe», aber mit wie geringem
Recht! Der ganz enge und genaue Zusammenhang der politischen Entwickelung mit
der künstlerischen im Leben der Völker war noch in den vierziger Jahren das
feste und allgemein nachgebetete Dogma unsrer fortschrittlichen Weltweisen.
Ich entsinne mich z.B., daß 1843 Heinrich Laube als das einzig wahre Mittel,
um zu einer großartigen Entfaltung der deutschen Malerei zu verhelfen die
Verleihung einer „Constitution" durch den König von Preußen erklärte. Damit
aber, daß wir eine derartige enge Wechselbeziehung zwischen der Politik und der
Kunst eines Volks entschieden bestreik'», soll nicht der tiefe Einfluß geläugnet
werden, welchen die die bürgerliche Gesellschaft bewegenden und beherrschenden
geistigen und sittlichen Anschauungen und Tendenzen auf die bildenden Künste
in jeder geschichtlichen Epoche geübt haben und üben werden. Blühende oder
kränkelnde, lebenskräftig gesunde oder armselig dahinsiechende Kinder der Ge¬
sellschaft, werden sie immer die wesentlichen und charakteristischen Züge der Er¬
zeugerin trage». Bei den Franzosen der letzten zwei bis drei Jahrhunderte
ist nun die gesellschaftliche Physiognomie ganz vorzugsweise scharf und charak-
teristisch ausgesprochen. Ebenso alt ungefähr ist ihre nationale Malerei, und
bis auf die jüngste Gegenwart tritt denn auch jene Verwandtschaft oder selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/370>, abgerufen am 28.09.2024.