Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wie Brod und Bier waren Seltenheiten. Das Volk war ebenso arm an Wissen
als roh von Sitten. Strandraub galt für erlaubt. Allerlei andere Gewaltthat
war an der Tagesordnung. Dies besserte sich im 17. Jahrhundert, wo man sich
auf Föhr und Sylt dem Walfischfang zuwendete, welchen die Hamburger und
Holländer mit großen Schiffen bei Grönland und Spitzbergen trieben. Man
hatte hierbei mehr Verdienst als bei dem bisherigen Treiben, sah ein
Stück Welt, lernte in den Seestädten civilisirtes Leben kennen und wurde da¬
durch vielfach gehoben. Als im Jahre 1775 der nvrdamerikamsche Freiheitskrieg
ausbrach, begann eine dritte und die glänzendste Periode in der Entwickelung
der Jnselfriesen. Während derselbe die Hauptseemächte von damals in Anspruch
nahm, blühte die Nhedcrei und der überseeische Handel der neutralen Staaten
mächtig empor, und Hamburg, Altona. Flensburg und Kopenhagen hoben sich
in dieser Hinsicht und besonders durch die Frachtsahrt auf und vo" Westindien
außerordentlich. Die Spider traten jetzt ohne Ausnahme von der Grvnlands-
fahrt zu der weniger beschwerlichen und besser lohnenden Handelsfahrt über,
und andere Jnselfriesen folgten ihrem Beispiel und betheiligten sich bei langen
Reisen nach Nord- und Südamerika, Afrika und Ostindien als Matrosen und
bald auch als Capitäne. Die nautischen Kenntnisse mehrten sich auf den Inseln,
gute Navigationsschulen entstanden, die Friesen wurden für die Posten von
Schiffsführern immer gesuchter, sie erwarben sich ein reichliches Auskommen,
und bald zog'in die Dörfer von Sylt und Föhr Wohlstand und Behagen
ein. Es gab jetzt auf den Inseln Familien, welche unter ihren Gliedern sechs
bis acht Schiffscapitäne zählten, die über alle Theile der Erde zerstreut waren.
Auf Föhr gab es im Jahre 1780 nicht weniger als 1500, auf Sylt beinahe
600 Seefahrer, und unter letzteren waren 104, die als Capitäne und 164. die
als Steuermänner auf großen Kauffahrteischiffen dienten.

Der berühmteste dieser Capitäne. von denen mehre ihre Memoiren hinter¬
lassen haben, war Jens Mannis de Jung von Kennen auf Sylt, aus dessen
Leben wir im Folgenden Einiges als typisch sür dieses Geschlecht friesischer
Seefahrer mittheilen wollen. Im Jahre 1745 geboren und dem alten Geschlecht
Moghel Teycn angehörig, war er einer der kühnsten und erfahrensten seines
Berufs. Er machte seine erste Seereise, zwölf Jahre alt, mit zweien seiner
Brüder, von welchen der ältere Capitän, der jüngere Bootsmann war, von
Amsterdam nach Curacao. Von hier schiffte" sie nach San Domingo ab,
wurden aber von amerikanischen Kapern angehalten und gezwungen nach Neu-
york zu segeln. Unterwegs ereilte sie ein Orkan, der ihnen sämmtliche Masten
wegnahm. In Neuyork wurden sie durch das Prisengcricht sammt ihrem Schiffe
freigegeben, worauf sie wieder nach San Domingo in See gingen und glücklich
dort anlangten. Auf der Rückkehr von da nach Curacao wurden sie von einem
Piraten angefallen und nach Antigva geschleppt, wo sich die Brüder trennen


wie Brod und Bier waren Seltenheiten. Das Volk war ebenso arm an Wissen
als roh von Sitten. Strandraub galt für erlaubt. Allerlei andere Gewaltthat
war an der Tagesordnung. Dies besserte sich im 17. Jahrhundert, wo man sich
auf Föhr und Sylt dem Walfischfang zuwendete, welchen die Hamburger und
Holländer mit großen Schiffen bei Grönland und Spitzbergen trieben. Man
hatte hierbei mehr Verdienst als bei dem bisherigen Treiben, sah ein
Stück Welt, lernte in den Seestädten civilisirtes Leben kennen und wurde da¬
durch vielfach gehoben. Als im Jahre 1775 der nvrdamerikamsche Freiheitskrieg
ausbrach, begann eine dritte und die glänzendste Periode in der Entwickelung
der Jnselfriesen. Während derselbe die Hauptseemächte von damals in Anspruch
nahm, blühte die Nhedcrei und der überseeische Handel der neutralen Staaten
mächtig empor, und Hamburg, Altona. Flensburg und Kopenhagen hoben sich
in dieser Hinsicht und besonders durch die Frachtsahrt auf und vo» Westindien
außerordentlich. Die Spider traten jetzt ohne Ausnahme von der Grvnlands-
fahrt zu der weniger beschwerlichen und besser lohnenden Handelsfahrt über,
und andere Jnselfriesen folgten ihrem Beispiel und betheiligten sich bei langen
Reisen nach Nord- und Südamerika, Afrika und Ostindien als Matrosen und
bald auch als Capitäne. Die nautischen Kenntnisse mehrten sich auf den Inseln,
gute Navigationsschulen entstanden, die Friesen wurden für die Posten von
Schiffsführern immer gesuchter, sie erwarben sich ein reichliches Auskommen,
und bald zog'in die Dörfer von Sylt und Föhr Wohlstand und Behagen
ein. Es gab jetzt auf den Inseln Familien, welche unter ihren Gliedern sechs
bis acht Schiffscapitäne zählten, die über alle Theile der Erde zerstreut waren.
Auf Föhr gab es im Jahre 1780 nicht weniger als 1500, auf Sylt beinahe
600 Seefahrer, und unter letzteren waren 104, die als Capitäne und 164. die
als Steuermänner auf großen Kauffahrteischiffen dienten.

Der berühmteste dieser Capitäne. von denen mehre ihre Memoiren hinter¬
lassen haben, war Jens Mannis de Jung von Kennen auf Sylt, aus dessen
Leben wir im Folgenden Einiges als typisch sür dieses Geschlecht friesischer
Seefahrer mittheilen wollen. Im Jahre 1745 geboren und dem alten Geschlecht
Moghel Teycn angehörig, war er einer der kühnsten und erfahrensten seines
Berufs. Er machte seine erste Seereise, zwölf Jahre alt, mit zweien seiner
Brüder, von welchen der ältere Capitän, der jüngere Bootsmann war, von
Amsterdam nach Curacao. Von hier schiffte» sie nach San Domingo ab,
wurden aber von amerikanischen Kapern angehalten und gezwungen nach Neu-
york zu segeln. Unterwegs ereilte sie ein Orkan, der ihnen sämmtliche Masten
wegnahm. In Neuyork wurden sie durch das Prisengcricht sammt ihrem Schiffe
freigegeben, worauf sie wieder nach San Domingo in See gingen und glücklich
dort anlangten. Auf der Rückkehr von da nach Curacao wurden sie von einem
Piraten angefallen und nach Antigva geschleppt, wo sich die Brüder trennen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189129"/>
          <p xml:id="ID_74" prev="#ID_73"> wie Brod und Bier waren Seltenheiten. Das Volk war ebenso arm an Wissen<lb/>
als roh von Sitten. Strandraub galt für erlaubt. Allerlei andere Gewaltthat<lb/>
war an der Tagesordnung. Dies besserte sich im 17. Jahrhundert, wo man sich<lb/>
auf Föhr und Sylt dem Walfischfang zuwendete, welchen die Hamburger und<lb/>
Holländer mit großen Schiffen bei Grönland und Spitzbergen trieben. Man<lb/>
hatte hierbei mehr Verdienst als bei dem bisherigen Treiben, sah ein<lb/>
Stück Welt, lernte in den Seestädten civilisirtes Leben kennen und wurde da¬<lb/>
durch vielfach gehoben. Als im Jahre 1775 der nvrdamerikamsche Freiheitskrieg<lb/>
ausbrach, begann eine dritte und die glänzendste Periode in der Entwickelung<lb/>
der Jnselfriesen. Während derselbe die Hauptseemächte von damals in Anspruch<lb/>
nahm, blühte die Nhedcrei und der überseeische Handel der neutralen Staaten<lb/>
mächtig empor, und Hamburg, Altona. Flensburg und Kopenhagen hoben sich<lb/>
in dieser Hinsicht und besonders durch die Frachtsahrt auf und vo» Westindien<lb/>
außerordentlich. Die Spider traten jetzt ohne Ausnahme von der Grvnlands-<lb/>
fahrt zu der weniger beschwerlichen und besser lohnenden Handelsfahrt über,<lb/>
und andere Jnselfriesen folgten ihrem Beispiel und betheiligten sich bei langen<lb/>
Reisen nach Nord- und Südamerika, Afrika und Ostindien als Matrosen und<lb/>
bald auch als Capitäne. Die nautischen Kenntnisse mehrten sich auf den Inseln,<lb/>
gute Navigationsschulen entstanden, die Friesen wurden für die Posten von<lb/>
Schiffsführern immer gesuchter, sie erwarben sich ein reichliches Auskommen,<lb/>
und bald zog'in die Dörfer von Sylt und Föhr Wohlstand und Behagen<lb/>
ein. Es gab jetzt auf den Inseln Familien, welche unter ihren Gliedern sechs<lb/>
bis acht Schiffscapitäne zählten, die über alle Theile der Erde zerstreut waren.<lb/>
Auf Föhr gab es im Jahre 1780 nicht weniger als 1500, auf Sylt beinahe<lb/>
600 Seefahrer, und unter letzteren waren 104, die als Capitäne und 164. die<lb/>
als Steuermänner auf großen Kauffahrteischiffen dienten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_75" next="#ID_76"> Der berühmteste dieser Capitäne. von denen mehre ihre Memoiren hinter¬<lb/>
lassen haben, war Jens Mannis de Jung von Kennen auf Sylt, aus dessen<lb/>
Leben wir im Folgenden Einiges als typisch sür dieses Geschlecht friesischer<lb/>
Seefahrer mittheilen wollen. Im Jahre 1745 geboren und dem alten Geschlecht<lb/>
Moghel Teycn angehörig, war er einer der kühnsten und erfahrensten seines<lb/>
Berufs. Er machte seine erste Seereise, zwölf Jahre alt, mit zweien seiner<lb/>
Brüder, von welchen der ältere Capitän, der jüngere Bootsmann war, von<lb/>
Amsterdam nach Curacao. Von hier schiffte» sie nach San Domingo ab,<lb/>
wurden aber von amerikanischen Kapern angehalten und gezwungen nach Neu-<lb/>
york zu segeln. Unterwegs ereilte sie ein Orkan, der ihnen sämmtliche Masten<lb/>
wegnahm. In Neuyork wurden sie durch das Prisengcricht sammt ihrem Schiffe<lb/>
freigegeben, worauf sie wieder nach San Domingo in See gingen und glücklich<lb/>
dort anlangten. Auf der Rückkehr von da nach Curacao wurden sie von einem<lb/>
Piraten angefallen und nach Antigva geschleppt, wo sich die Brüder trennen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] wie Brod und Bier waren Seltenheiten. Das Volk war ebenso arm an Wissen als roh von Sitten. Strandraub galt für erlaubt. Allerlei andere Gewaltthat war an der Tagesordnung. Dies besserte sich im 17. Jahrhundert, wo man sich auf Föhr und Sylt dem Walfischfang zuwendete, welchen die Hamburger und Holländer mit großen Schiffen bei Grönland und Spitzbergen trieben. Man hatte hierbei mehr Verdienst als bei dem bisherigen Treiben, sah ein Stück Welt, lernte in den Seestädten civilisirtes Leben kennen und wurde da¬ durch vielfach gehoben. Als im Jahre 1775 der nvrdamerikamsche Freiheitskrieg ausbrach, begann eine dritte und die glänzendste Periode in der Entwickelung der Jnselfriesen. Während derselbe die Hauptseemächte von damals in Anspruch nahm, blühte die Nhedcrei und der überseeische Handel der neutralen Staaten mächtig empor, und Hamburg, Altona. Flensburg und Kopenhagen hoben sich in dieser Hinsicht und besonders durch die Frachtsahrt auf und vo» Westindien außerordentlich. Die Spider traten jetzt ohne Ausnahme von der Grvnlands- fahrt zu der weniger beschwerlichen und besser lohnenden Handelsfahrt über, und andere Jnselfriesen folgten ihrem Beispiel und betheiligten sich bei langen Reisen nach Nord- und Südamerika, Afrika und Ostindien als Matrosen und bald auch als Capitäne. Die nautischen Kenntnisse mehrten sich auf den Inseln, gute Navigationsschulen entstanden, die Friesen wurden für die Posten von Schiffsführern immer gesuchter, sie erwarben sich ein reichliches Auskommen, und bald zog'in die Dörfer von Sylt und Föhr Wohlstand und Behagen ein. Es gab jetzt auf den Inseln Familien, welche unter ihren Gliedern sechs bis acht Schiffscapitäne zählten, die über alle Theile der Erde zerstreut waren. Auf Föhr gab es im Jahre 1780 nicht weniger als 1500, auf Sylt beinahe 600 Seefahrer, und unter letzteren waren 104, die als Capitäne und 164. die als Steuermänner auf großen Kauffahrteischiffen dienten. Der berühmteste dieser Capitäne. von denen mehre ihre Memoiren hinter¬ lassen haben, war Jens Mannis de Jung von Kennen auf Sylt, aus dessen Leben wir im Folgenden Einiges als typisch sür dieses Geschlecht friesischer Seefahrer mittheilen wollen. Im Jahre 1745 geboren und dem alten Geschlecht Moghel Teycn angehörig, war er einer der kühnsten und erfahrensten seines Berufs. Er machte seine erste Seereise, zwölf Jahre alt, mit zweien seiner Brüder, von welchen der ältere Capitän, der jüngere Bootsmann war, von Amsterdam nach Curacao. Von hier schiffte» sie nach San Domingo ab, wurden aber von amerikanischen Kapern angehalten und gezwungen nach Neu- york zu segeln. Unterwegs ereilte sie ein Orkan, der ihnen sämmtliche Masten wegnahm. In Neuyork wurden sie durch das Prisengcricht sammt ihrem Schiffe freigegeben, worauf sie wieder nach San Domingo in See gingen und glücklich dort anlangten. Auf der Rückkehr von da nach Curacao wurden sie von einem Piraten angefallen und nach Antigva geschleppt, wo sich die Brüder trennen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/34>, abgerufen am 28.09.2024.