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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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eine gewöhnliche Inschrift der berlineri-Kaffeehausgärten unteren Ranges. Eine
von einem Marketender in der Nähe einer Mörserbatterie errichtete Bretcrbude,
in der Schnaps, Knackwürste und derartige Lebensmittel verkauft werden, wird
von den Soldaten "Zum stillen Vergnügen" genannt. "Line sehr schmuzige,
kaum mit dem nothdürftigsten versehene, auch schon halbzerstörte Dorfschenke
hat den stolzen Titel "Der große Iagvs" (bekannte vornehme berliner Restau¬
ration) erhalten; eine andere Schnapswirthschaft heißt zum "Vater Rhein".
Dann giebt es Orte "Zum Paradiese" und "Was das Herz nur wünscht und
der Magen begehrt". Auch lustige und ernste Kriegslieder entstehen bei den
Truppen in Menge, und fast jedes Regiment hat seinen besonderen Feldpoeten,
dessen Lieder, wenn sie dem Geschmack seiner Kameraden zusagen, gar bald von
zahlreichen Sangerchören gesungen werden. So hat besonders auch ein im
60. Linienregiment augenblicklich dienender Volksschullehrer aus Berlin mehre
selbst höhere Ansprüche befriedigende Lieder gedichtet, die von allen Truppen
vielfach gesungen werden und vielleicht noch nach Jahrzehnten in den Regimen¬
tern, welche jetzt diesen Kcldzug mitmachen, verbleiben. Eine reiche Sammlung
von komischen Anekdoten, humoristischen Einfällen und witzigen Bemerkungen
läuft dabei in allen Regimentern von Mund zu Munde, und besonders gute
derartige Erzählungen gehen mitunter durch das ganze Corps und werden von
Offizieren wie Soldaten gleichmäßig belacht.

So fehlt es den Truppen nicht an den verschiedensten Mitteln, sich die
Langeweile der schlechten, überfüllten Quartiere zu verscheuchen, und was die
Soldaten zu diesem Zwecke nur irgendwie ersinnen können, wird von ihnen auf
das Aeußerste benutzt. Hast jede Compagnie, Batterie oder Schwadron hat
außerdem ein paar privilegirte Spaßmacher und Hauptcrzähler, deren lustigen
Geschichten, Spukerzählungen, Volksmärchen, auf den Märschen oder bei den
Bivouaksseuern. bei schlechtem Wetter auch in den Ställen und Scheuern, die
als Quartiere dienen, mit lauter Stimme vorgetragen und von einem zahlreichen
Kreis unifornnrtcr Zuhörer andächtig vernommen werden.

Plötzlich jedoch kommt eine Nachricht, welche die verschiedenen friedlichen
Beschäftigungen und Belustigungen der Soldaten wie mit einem Zauberschlag
unterbricht. Die Köche werfen ihr Kochgeschirr, die Schreiber ihre Federn und
Papierbogen eiligst bei Seite, die Schuster und Schneider springen in möglich¬
ster Schnelligkeit auf. der Tanzbär entpuppt sich mit einer Geschwindigkeit, wie
solche auf dem besten Theater nicht größer sein kann, in einen stämmigen Mus¬
ketier, der wie ein Pfeil in sein Quartier schießt, um Wehr und Waffen zu er¬
greifen, und der Erzähler bricht mitten in der spannendsten Schilderung oder
bei dem drolligsten Witze ab. Auf schaumbedecktem Rosse ist ein Adjutant
angesprengt, um dem Baiaillvnscvmmandeur die Nachricht zu bringen, das
Bataillon möge augenblicklich antreten und nach dem und dem Punkte hin-


eine gewöhnliche Inschrift der berlineri-Kaffeehausgärten unteren Ranges. Eine
von einem Marketender in der Nähe einer Mörserbatterie errichtete Bretcrbude,
in der Schnaps, Knackwürste und derartige Lebensmittel verkauft werden, wird
von den Soldaten „Zum stillen Vergnügen" genannt. «Line sehr schmuzige,
kaum mit dem nothdürftigsten versehene, auch schon halbzerstörte Dorfschenke
hat den stolzen Titel „Der große Iagvs" (bekannte vornehme berliner Restau¬
ration) erhalten; eine andere Schnapswirthschaft heißt zum „Vater Rhein".
Dann giebt es Orte „Zum Paradiese" und „Was das Herz nur wünscht und
der Magen begehrt". Auch lustige und ernste Kriegslieder entstehen bei den
Truppen in Menge, und fast jedes Regiment hat seinen besonderen Feldpoeten,
dessen Lieder, wenn sie dem Geschmack seiner Kameraden zusagen, gar bald von
zahlreichen Sangerchören gesungen werden. So hat besonders auch ein im
60. Linienregiment augenblicklich dienender Volksschullehrer aus Berlin mehre
selbst höhere Ansprüche befriedigende Lieder gedichtet, die von allen Truppen
vielfach gesungen werden und vielleicht noch nach Jahrzehnten in den Regimen¬
tern, welche jetzt diesen Kcldzug mitmachen, verbleiben. Eine reiche Sammlung
von komischen Anekdoten, humoristischen Einfällen und witzigen Bemerkungen
läuft dabei in allen Regimentern von Mund zu Munde, und besonders gute
derartige Erzählungen gehen mitunter durch das ganze Corps und werden von
Offizieren wie Soldaten gleichmäßig belacht.

So fehlt es den Truppen nicht an den verschiedensten Mitteln, sich die
Langeweile der schlechten, überfüllten Quartiere zu verscheuchen, und was die
Soldaten zu diesem Zwecke nur irgendwie ersinnen können, wird von ihnen auf
das Aeußerste benutzt. Hast jede Compagnie, Batterie oder Schwadron hat
außerdem ein paar privilegirte Spaßmacher und Hauptcrzähler, deren lustigen
Geschichten, Spukerzählungen, Volksmärchen, auf den Märschen oder bei den
Bivouaksseuern. bei schlechtem Wetter auch in den Ställen und Scheuern, die
als Quartiere dienen, mit lauter Stimme vorgetragen und von einem zahlreichen
Kreis unifornnrtcr Zuhörer andächtig vernommen werden.

Plötzlich jedoch kommt eine Nachricht, welche die verschiedenen friedlichen
Beschäftigungen und Belustigungen der Soldaten wie mit einem Zauberschlag
unterbricht. Die Köche werfen ihr Kochgeschirr, die Schreiber ihre Federn und
Papierbogen eiligst bei Seite, die Schuster und Schneider springen in möglich¬
ster Schnelligkeit auf. der Tanzbär entpuppt sich mit einer Geschwindigkeit, wie
solche auf dem besten Theater nicht größer sein kann, in einen stämmigen Mus¬
ketier, der wie ein Pfeil in sein Quartier schießt, um Wehr und Waffen zu er¬
greifen, und der Erzähler bricht mitten in der spannendsten Schilderung oder
bei dem drolligsten Witze ab. Auf schaumbedecktem Rosse ist ein Adjutant
angesprengt, um dem Baiaillvnscvmmandeur die Nachricht zu bringen, das
Bataillon möge augenblicklich antreten und nach dem und dem Punkte hin-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/325>, abgerufen am 28.09.2024.