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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Die kurmärkische Landwehr bei Großbeeren.

Wie sehr die Mythenbildung sich schon der Befreiungskriege bemächtigt hat,
ist bekannt und mit vielen Beispielen zu belegen. Mißverständnisse, Beobach¬
tungen in der Eile und Unruhe der Schlacht, Eifersucht der Führer und Truppen¬
theile aufeinander haben neben andern Ursachen bewirkt, daß zwischen der
Wahrheit allerlei Fabelunkraut aufgeschossen ist, welches, wie oft es auch von
kundiger und sorgsamer Hand ausgejätet wird, sich immer wieder erzeugt, auch
in den Werken guter Schriftsteller bisweilen auftritt, namentlich aber vom
Volke um so lieber geglaubt zu werden scheint, je weniger Verwandtschaft es
mit der Wahrheit hat.

Eine dieser Fabeln, die eben jetzt, am 23. August, wieder eine Rolle ge¬
spielt haben wird, mag durch nachstehende Mittheilung eines der Kämpfer jener
großen Zeit, der den betreffenden Ereignissen als Augenzeuge beiwohnte, auf
ihren wahren Werth zurückgeführt werden. Derselbe erzählt:

Es ist möglich, daß ich bei meinen Landsleuten, besonders den Berlinern,
keinen Glauben finden werde, wenn ich ihnen sage, daß die Schlacht bei Gro߬
beeren nicht durch die Landwehrtruppen, speciell durch die kurmärkische Land¬
wehr geschlagen und gewonnen worden ist. Denn gewisse Volksfabeln erfreuen
sich nun einmal großer Beliebtheit und sind deshalb schwer auszurotten. Indeß
bleibt meine Behauptung nichtsdestoweniger richtig, und die Pflicht, der Wahr¬
heit zu ihrem Rechte zu verhelfen, liegt einem Theilnehmer an jenem Kampfe
um so mehr ob, als auch gelehrte Schriftsteller hier nicht völlig klar zu sehen
scheinen.

Noch eins aber gestatte man mir vorauszuschicken. Der nachfolgende
Bericht ist weder aus irgendwelcher Abneigung gegen die Landwehrtruppen noch
gegen irgend jemand anderes geschrieben, sondern lediglich von dem Wunsche
dictirt, durch Feststellung der Thatsachen der Geschichte zu dienen, dieselbe von
einem Mißverständnisse zu reinigen.

Bevor ich zu den Schlachtereignissen selbst übergehe, gebe ich noch als noth¬
wendiges Erforderniß eine kurze Uebersicht über den Truppenbestand an Land¬
wehr des v. bülowschen Armeecorps. -- Es war das dritte, zählte circa 33,000
Mann und enthielt an Landwehrinfantcrie nur die nachfolgenden Bataillone:

1) Die Brigade Borstell.........zwei Bataillone,
nämlich ein Bataillon vom vierten kurmärkischen
Landwehrregiment und ein Bataillon vom zwei¬
ten pommerschen.

Die kurmärkische Landwehr bei Großbeeren.

Wie sehr die Mythenbildung sich schon der Befreiungskriege bemächtigt hat,
ist bekannt und mit vielen Beispielen zu belegen. Mißverständnisse, Beobach¬
tungen in der Eile und Unruhe der Schlacht, Eifersucht der Führer und Truppen¬
theile aufeinander haben neben andern Ursachen bewirkt, daß zwischen der
Wahrheit allerlei Fabelunkraut aufgeschossen ist, welches, wie oft es auch von
kundiger und sorgsamer Hand ausgejätet wird, sich immer wieder erzeugt, auch
in den Werken guter Schriftsteller bisweilen auftritt, namentlich aber vom
Volke um so lieber geglaubt zu werden scheint, je weniger Verwandtschaft es
mit der Wahrheit hat.

Eine dieser Fabeln, die eben jetzt, am 23. August, wieder eine Rolle ge¬
spielt haben wird, mag durch nachstehende Mittheilung eines der Kämpfer jener
großen Zeit, der den betreffenden Ereignissen als Augenzeuge beiwohnte, auf
ihren wahren Werth zurückgeführt werden. Derselbe erzählt:

Es ist möglich, daß ich bei meinen Landsleuten, besonders den Berlinern,
keinen Glauben finden werde, wenn ich ihnen sage, daß die Schlacht bei Gro߬
beeren nicht durch die Landwehrtruppen, speciell durch die kurmärkische Land¬
wehr geschlagen und gewonnen worden ist. Denn gewisse Volksfabeln erfreuen
sich nun einmal großer Beliebtheit und sind deshalb schwer auszurotten. Indeß
bleibt meine Behauptung nichtsdestoweniger richtig, und die Pflicht, der Wahr¬
heit zu ihrem Rechte zu verhelfen, liegt einem Theilnehmer an jenem Kampfe
um so mehr ob, als auch gelehrte Schriftsteller hier nicht völlig klar zu sehen
scheinen.

Noch eins aber gestatte man mir vorauszuschicken. Der nachfolgende
Bericht ist weder aus irgendwelcher Abneigung gegen die Landwehrtruppen noch
gegen irgend jemand anderes geschrieben, sondern lediglich von dem Wunsche
dictirt, durch Feststellung der Thatsachen der Geschichte zu dienen, dieselbe von
einem Mißverständnisse zu reinigen.

Bevor ich zu den Schlachtereignissen selbst übergehe, gebe ich noch als noth¬
wendiges Erforderniß eine kurze Uebersicht über den Truppenbestand an Land¬
wehr des v. bülowschen Armeecorps. — Es war das dritte, zählte circa 33,000
Mann und enthielt an Landwehrinfantcrie nur die nachfolgenden Bataillone:

1) Die Brigade Borstell.........zwei Bataillone,
nämlich ein Bataillon vom vierten kurmärkischen
Landwehrregiment und ein Bataillon vom zwei¬
ten pommerschen.

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[0314] Die kurmärkische Landwehr bei Großbeeren. Wie sehr die Mythenbildung sich schon der Befreiungskriege bemächtigt hat, ist bekannt und mit vielen Beispielen zu belegen. Mißverständnisse, Beobach¬ tungen in der Eile und Unruhe der Schlacht, Eifersucht der Führer und Truppen¬ theile aufeinander haben neben andern Ursachen bewirkt, daß zwischen der Wahrheit allerlei Fabelunkraut aufgeschossen ist, welches, wie oft es auch von kundiger und sorgsamer Hand ausgejätet wird, sich immer wieder erzeugt, auch in den Werken guter Schriftsteller bisweilen auftritt, namentlich aber vom Volke um so lieber geglaubt zu werden scheint, je weniger Verwandtschaft es mit der Wahrheit hat. Eine dieser Fabeln, die eben jetzt, am 23. August, wieder eine Rolle ge¬ spielt haben wird, mag durch nachstehende Mittheilung eines der Kämpfer jener großen Zeit, der den betreffenden Ereignissen als Augenzeuge beiwohnte, auf ihren wahren Werth zurückgeführt werden. Derselbe erzählt: Es ist möglich, daß ich bei meinen Landsleuten, besonders den Berlinern, keinen Glauben finden werde, wenn ich ihnen sage, daß die Schlacht bei Gro߬ beeren nicht durch die Landwehrtruppen, speciell durch die kurmärkische Land¬ wehr geschlagen und gewonnen worden ist. Denn gewisse Volksfabeln erfreuen sich nun einmal großer Beliebtheit und sind deshalb schwer auszurotten. Indeß bleibt meine Behauptung nichtsdestoweniger richtig, und die Pflicht, der Wahr¬ heit zu ihrem Rechte zu verhelfen, liegt einem Theilnehmer an jenem Kampfe um so mehr ob, als auch gelehrte Schriftsteller hier nicht völlig klar zu sehen scheinen. Noch eins aber gestatte man mir vorauszuschicken. Der nachfolgende Bericht ist weder aus irgendwelcher Abneigung gegen die Landwehrtruppen noch gegen irgend jemand anderes geschrieben, sondern lediglich von dem Wunsche dictirt, durch Feststellung der Thatsachen der Geschichte zu dienen, dieselbe von einem Mißverständnisse zu reinigen. Bevor ich zu den Schlachtereignissen selbst übergehe, gebe ich noch als noth¬ wendiges Erforderniß eine kurze Uebersicht über den Truppenbestand an Land¬ wehr des v. bülowschen Armeecorps. — Es war das dritte, zählte circa 33,000 Mann und enthielt an Landwehrinfantcrie nur die nachfolgenden Bataillone: 1) Die Brigade Borstell.........zwei Bataillone, nämlich ein Bataillon vom vierten kurmärkischen Landwehrregiment und ein Bataillon vom zwei¬ ten pommerschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/314>, abgerufen am 28.09.2024.