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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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kannten Freunde der Prügelstrafe, zu entwickeln angefangen hat, sich die Ein¬
saugung der verbreiteten Exemplare angelegen sein ließ. Die Postboten wurden
ins Verhör genommen. Man gelangte auf diesem Wege zu einem, wenn auch
etwas lückenhaften Verzeichnis) der Adressaten und setzte nun bei denselben durch
Polizeidiener ein Circular in Bewegung, weiches die Behauptung aufstellte, das;
in der "Ansprache" der Thatbestand eines schweren Verbrechens vorliege und
daran das Verlangen der Auslieferung des Schriftstückes knüpfte. Dieses Ver¬
langen ward mit der seltsamen Drohung verbunden, daß die Namen der die
Auslieferung etwa Verweigernden dem großherzoglichen Ministerium zur Anzeige
gebracht werden sollten. Ein großer Theil der Adressaten ließ sich durch diesen
Schritt der Polizeibehörde, obwohl derselbe in dem Preßgesetz keine Stütze
findet, einschüchtern und lieferte die Exemplare aus. Nur wenige Personen
scheinen von ihrem Rechte Gebrauch gemacht zu haben, die Auslieferung der
in ihren Privatbesitz übergegangenen Druckschrift zu verweigern. Eine noch er¬
giebigere Ernte hielt die Polizeibehörde infolge der gleichzeitig an das gro߬
herzogliche Oberpostamt gerichteten Aufforderung, die etwa noch weiterhin
ankommenden Exemplare der Druckschrift nicht an die Adressaten, sondern auf
dem Polizeibureau abzuliefern. Das Oberpostamt holte darüber Instruction
vom Ministerium ein und ward durch letzteres angewiesen, der Aufforderung
zu entsprechen. So geschah es, daß noch eine große Anzahl später eingetroffener
Exemplare ganz im Geheimen und ohne daß.man es nöthig fand, die Adressaten
davon zu unterrichten, in polizeilichen Dunkelarrest abgeführt wurden. Die
- Druckschrift muß indessen doch auch noch auf anderen Wegen als durch die
Kreuzbandsendungen in die Stadt gedrungen sein, da die Personen nicht so ganz
selten waren, welche sie gelesen hatten.' Die polizeiliche Verfolgung steigerte
das Aufsehen, welches sie erregte, und das Verlangen nach ihr nur noch mehr,
und mau konnte sogar die Wahrnehmung machen, daß Abschriften derselben
coursirten. Wie das polizeiliche Einschreiten daher doch auch wieder für die
Verbreitung wirkte, welche dadurch eben verhindert werden sollte, so stellte diese
Verfolgung auch noch die Thatsache heraus, daß man eine große Empfänglichkeit
der Gemüther für den Inhalt der Ansprache befürchtete. Eine Bevölkerung,
die von wahrhafter Begeisterung für das meklenburgische Negierungsystem erfüllt
gewesen wäre, hätte man nicht so ängstlich vor einer Kritik dieses Systems zu
bewahren nöthig gehabt. Man hätte ihr selbst das Urtheil über den Werth
dieser Kritik und über die Begründung der daran geknüpften Folgerungen ver¬
trauensvoll überlassen können. Indem man es vorzog, durch die Confiscation
der Ansprache der politischen Gesinnung und Stimmung der Bürger ein Mi߬
trauensvotum auszustellen, illustrirte man überdies die Rechtsunsicherheit und
den Mangel an Achtung vor dem Eigenthum, welche die charakteristischen Merk¬
male unserer feudal-absolutistischen Staatszustände bilden, durch eine weitere


kannten Freunde der Prügelstrafe, zu entwickeln angefangen hat, sich die Ein¬
saugung der verbreiteten Exemplare angelegen sein ließ. Die Postboten wurden
ins Verhör genommen. Man gelangte auf diesem Wege zu einem, wenn auch
etwas lückenhaften Verzeichnis) der Adressaten und setzte nun bei denselben durch
Polizeidiener ein Circular in Bewegung, weiches die Behauptung aufstellte, das;
in der „Ansprache" der Thatbestand eines schweren Verbrechens vorliege und
daran das Verlangen der Auslieferung des Schriftstückes knüpfte. Dieses Ver¬
langen ward mit der seltsamen Drohung verbunden, daß die Namen der die
Auslieferung etwa Verweigernden dem großherzoglichen Ministerium zur Anzeige
gebracht werden sollten. Ein großer Theil der Adressaten ließ sich durch diesen
Schritt der Polizeibehörde, obwohl derselbe in dem Preßgesetz keine Stütze
findet, einschüchtern und lieferte die Exemplare aus. Nur wenige Personen
scheinen von ihrem Rechte Gebrauch gemacht zu haben, die Auslieferung der
in ihren Privatbesitz übergegangenen Druckschrift zu verweigern. Eine noch er¬
giebigere Ernte hielt die Polizeibehörde infolge der gleichzeitig an das gro߬
herzogliche Oberpostamt gerichteten Aufforderung, die etwa noch weiterhin
ankommenden Exemplare der Druckschrift nicht an die Adressaten, sondern auf
dem Polizeibureau abzuliefern. Das Oberpostamt holte darüber Instruction
vom Ministerium ein und ward durch letzteres angewiesen, der Aufforderung
zu entsprechen. So geschah es, daß noch eine große Anzahl später eingetroffener
Exemplare ganz im Geheimen und ohne daß.man es nöthig fand, die Adressaten
davon zu unterrichten, in polizeilichen Dunkelarrest abgeführt wurden. Die
- Druckschrift muß indessen doch auch noch auf anderen Wegen als durch die
Kreuzbandsendungen in die Stadt gedrungen sein, da die Personen nicht so ganz
selten waren, welche sie gelesen hatten.' Die polizeiliche Verfolgung steigerte
das Aufsehen, welches sie erregte, und das Verlangen nach ihr nur noch mehr,
und mau konnte sogar die Wahrnehmung machen, daß Abschriften derselben
coursirten. Wie das polizeiliche Einschreiten daher doch auch wieder für die
Verbreitung wirkte, welche dadurch eben verhindert werden sollte, so stellte diese
Verfolgung auch noch die Thatsache heraus, daß man eine große Empfänglichkeit
der Gemüther für den Inhalt der Ansprache befürchtete. Eine Bevölkerung,
die von wahrhafter Begeisterung für das meklenburgische Negierungsystem erfüllt
gewesen wäre, hätte man nicht so ängstlich vor einer Kritik dieses Systems zu
bewahren nöthig gehabt. Man hätte ihr selbst das Urtheil über den Werth
dieser Kritik und über die Begründung der daran geknüpften Folgerungen ver¬
trauensvoll überlassen können. Indem man es vorzog, durch die Confiscation
der Ansprache der politischen Gesinnung und Stimmung der Bürger ein Mi߬
trauensvotum auszustellen, illustrirte man überdies die Rechtsunsicherheit und
den Mangel an Achtung vor dem Eigenthum, welche die charakteristischen Merk¬
male unserer feudal-absolutistischen Staatszustände bilden, durch eine weitere


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[0311] kannten Freunde der Prügelstrafe, zu entwickeln angefangen hat, sich die Ein¬ saugung der verbreiteten Exemplare angelegen sein ließ. Die Postboten wurden ins Verhör genommen. Man gelangte auf diesem Wege zu einem, wenn auch etwas lückenhaften Verzeichnis) der Adressaten und setzte nun bei denselben durch Polizeidiener ein Circular in Bewegung, weiches die Behauptung aufstellte, das; in der „Ansprache" der Thatbestand eines schweren Verbrechens vorliege und daran das Verlangen der Auslieferung des Schriftstückes knüpfte. Dieses Ver¬ langen ward mit der seltsamen Drohung verbunden, daß die Namen der die Auslieferung etwa Verweigernden dem großherzoglichen Ministerium zur Anzeige gebracht werden sollten. Ein großer Theil der Adressaten ließ sich durch diesen Schritt der Polizeibehörde, obwohl derselbe in dem Preßgesetz keine Stütze findet, einschüchtern und lieferte die Exemplare aus. Nur wenige Personen scheinen von ihrem Rechte Gebrauch gemacht zu haben, die Auslieferung der in ihren Privatbesitz übergegangenen Druckschrift zu verweigern. Eine noch er¬ giebigere Ernte hielt die Polizeibehörde infolge der gleichzeitig an das gro߬ herzogliche Oberpostamt gerichteten Aufforderung, die etwa noch weiterhin ankommenden Exemplare der Druckschrift nicht an die Adressaten, sondern auf dem Polizeibureau abzuliefern. Das Oberpostamt holte darüber Instruction vom Ministerium ein und ward durch letzteres angewiesen, der Aufforderung zu entsprechen. So geschah es, daß noch eine große Anzahl später eingetroffener Exemplare ganz im Geheimen und ohne daß.man es nöthig fand, die Adressaten davon zu unterrichten, in polizeilichen Dunkelarrest abgeführt wurden. Die - Druckschrift muß indessen doch auch noch auf anderen Wegen als durch die Kreuzbandsendungen in die Stadt gedrungen sein, da die Personen nicht so ganz selten waren, welche sie gelesen hatten.' Die polizeiliche Verfolgung steigerte das Aufsehen, welches sie erregte, und das Verlangen nach ihr nur noch mehr, und mau konnte sogar die Wahrnehmung machen, daß Abschriften derselben coursirten. Wie das polizeiliche Einschreiten daher doch auch wieder für die Verbreitung wirkte, welche dadurch eben verhindert werden sollte, so stellte diese Verfolgung auch noch die Thatsache heraus, daß man eine große Empfänglichkeit der Gemüther für den Inhalt der Ansprache befürchtete. Eine Bevölkerung, die von wahrhafter Begeisterung für das meklenburgische Negierungsystem erfüllt gewesen wäre, hätte man nicht so ängstlich vor einer Kritik dieses Systems zu bewahren nöthig gehabt. Man hätte ihr selbst das Urtheil über den Werth dieser Kritik und über die Begründung der daran geknüpften Folgerungen ver¬ trauensvoll überlassen können. Indem man es vorzog, durch die Confiscation der Ansprache der politischen Gesinnung und Stimmung der Bürger ein Mi߬ trauensvotum auszustellen, illustrirte man überdies die Rechtsunsicherheit und den Mangel an Achtung vor dem Eigenthum, welche die charakteristischen Merk¬ male unserer feudal-absolutistischen Staatszustände bilden, durch eine weitere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/311>, abgerufen am 28.09.2024.