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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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auf. und es war für einen jungen Arzt eine wirksame Empfehlung, in Alexan-
drien studirt zu haben. Ader auch für die meisten andern Disciplinen waren
hier die besten Lehrer und Uiitcrrichtsanstalten, und die Stadt blieb Jahrhun¬
derte hindurch eine hohe Schule für Philosophie. Philologie und Literaturwis¬
senschaft. Mathematik und Astronomie, an die sich Astrologie und Magie an¬
schließen mochten, in welche die Aegypter am tiefsten eingedrungen zu sein sich
rühmten. Endlich werden auch religiöse Zwecke, namentlich der Cultus des hier
ganz besonders verehrten hilfreichen Gottes Serapis, zahlreiche Fromme zur
Wallfahrt hierher bewogen haben.

Fremde, die sich in Alexandria aufhielten, werden in der Regel nicht
versäumt haben, die in der Nähe gelegenen Lust- und Badeorte Tavo-
siris und Eleusis, vor allen aber Kanopus. diesen Schauplatz der unerhör¬
testen Ueppigkeit und Schwelgerei und der zügellosesten Ausschweifungen zu
besuchen.

Gehörte Alexandrien mit seiner Umgebung ausschließlich der Gegenwart
an, so war man nach einer kurzen Tour ins Binnenland aus Kameelen oder
der Nilbarke (von Kanopus aus) in Gegenden, wo man sich vom Hauch einer
fernen Vergangenheit angeweht fühlte. Man besuchte Memphis mit seinen
hochberühmten Pyramiden, das kolossale Trümmerfeld von Theben, den klin¬
genden Memnon, die Königsgrüfte und weiter nilaufwärts die Tempel zu bei¬
den Seiten des Flusses bis hinauf zum "heiligen Maulbeerbaum", dem Grenz¬
ort Äthiopieus und südlichsten Punkt des römischen Reichs. Ueberall erinnern
noch jetzt Namen und Inschriften, selbst Gedichte, in die Kolosse und Tempel¬
mauern eingemeißelt, daß diese Reisenden dieselbe Neigung sich zu verewigen
hatten, wie unsre modernen Touristen. An den Beinen des Memnon-
Hildes finden sich deren nicht weniger als 72, darunter die Namen Hadrians
und seiner Gemahlin, die von 8 Vicekönigen Aegyptens. 3 Commandanten der
Thebais, 2 Oberlichtern, die von verschiedenen Offizieren und der eines "ho¬
merischen Dichters" aus dem alexandrinischen Museum. In den Königsgrüf¬
ten Thebens ferner hat man solcher Verewigungen über hundert entdeckt, von
denen die datirten von der Zeit Trajans bis zu der Konstantins reichen. In
den Tempelruinen von Edfu liest man griechische Anschriften der Art von jü¬
dischen Reisenden. In Philä ist der Name des C. Numonius Vala, eines
Freundes von Horaz eingehauen: er war hier am 20. März des Jahres
2 v. Chr. -- elf Jahre später siel er in der Schlacht im teutoburger Walde.

Das Interesse an der nationalen Eigenthümlichkeit fremder Völker, an
ihren Einrichtungen, Sitten und Gebräuchen tritt bei den damaligen Reisen
nicht sehr hervor; denn einmal waren die meisten dem römischen Reich einver¬
leibten Länder in dieser Zeit schon stark entnationalisirt. dann aber interessirte


auf. und es war für einen jungen Arzt eine wirksame Empfehlung, in Alexan-
drien studirt zu haben. Ader auch für die meisten andern Disciplinen waren
hier die besten Lehrer und Uiitcrrichtsanstalten, und die Stadt blieb Jahrhun¬
derte hindurch eine hohe Schule für Philosophie. Philologie und Literaturwis¬
senschaft. Mathematik und Astronomie, an die sich Astrologie und Magie an¬
schließen mochten, in welche die Aegypter am tiefsten eingedrungen zu sein sich
rühmten. Endlich werden auch religiöse Zwecke, namentlich der Cultus des hier
ganz besonders verehrten hilfreichen Gottes Serapis, zahlreiche Fromme zur
Wallfahrt hierher bewogen haben.

Fremde, die sich in Alexandria aufhielten, werden in der Regel nicht
versäumt haben, die in der Nähe gelegenen Lust- und Badeorte Tavo-
siris und Eleusis, vor allen aber Kanopus. diesen Schauplatz der unerhör¬
testen Ueppigkeit und Schwelgerei und der zügellosesten Ausschweifungen zu
besuchen.

Gehörte Alexandrien mit seiner Umgebung ausschließlich der Gegenwart
an, so war man nach einer kurzen Tour ins Binnenland aus Kameelen oder
der Nilbarke (von Kanopus aus) in Gegenden, wo man sich vom Hauch einer
fernen Vergangenheit angeweht fühlte. Man besuchte Memphis mit seinen
hochberühmten Pyramiden, das kolossale Trümmerfeld von Theben, den klin¬
genden Memnon, die Königsgrüfte und weiter nilaufwärts die Tempel zu bei¬
den Seiten des Flusses bis hinauf zum „heiligen Maulbeerbaum", dem Grenz¬
ort Äthiopieus und südlichsten Punkt des römischen Reichs. Ueberall erinnern
noch jetzt Namen und Inschriften, selbst Gedichte, in die Kolosse und Tempel¬
mauern eingemeißelt, daß diese Reisenden dieselbe Neigung sich zu verewigen
hatten, wie unsre modernen Touristen. An den Beinen des Memnon-
Hildes finden sich deren nicht weniger als 72, darunter die Namen Hadrians
und seiner Gemahlin, die von 8 Vicekönigen Aegyptens. 3 Commandanten der
Thebais, 2 Oberlichtern, die von verschiedenen Offizieren und der eines „ho¬
merischen Dichters" aus dem alexandrinischen Museum. In den Königsgrüf¬
ten Thebens ferner hat man solcher Verewigungen über hundert entdeckt, von
denen die datirten von der Zeit Trajans bis zu der Konstantins reichen. In
den Tempelruinen von Edfu liest man griechische Anschriften der Art von jü¬
dischen Reisenden. In Philä ist der Name des C. Numonius Vala, eines
Freundes von Horaz eingehauen: er war hier am 20. März des Jahres
2 v. Chr. — elf Jahre später siel er in der Schlacht im teutoburger Walde.

Das Interesse an der nationalen Eigenthümlichkeit fremder Völker, an
ihren Einrichtungen, Sitten und Gebräuchen tritt bei den damaligen Reisen
nicht sehr hervor; denn einmal waren die meisten dem römischen Reich einver¬
leibten Länder in dieser Zeit schon stark entnationalisirt. dann aber interessirte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/298>, abgerufen am 28.09.2024.