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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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der anerkannteste Charakterzug Ambühls gewesen ist. Er rastete in seinem gei¬
stigen Trachten niemals. Schon als Kind hatte er auf der Cither der Mutter,
dann auf der Flöte und Geige des Vaters spielen gelernt. Dann wurde ein
um geringen Preis erstandenes Klavier sein Lieblingsinstrument; obgleich er
keinen Unterricht genoß, brachte er es im Orgelspiel zu einer nicht geringen
Stärke. Beim Pfarrer erhielt er nebenher einige Anweisung in alten Sprachen,
so daß er noch in späteren Jahren seinen lateinischen Autor zu lesen wußte, und so
erwarb sich sein Thätigkeitstrieb alle übrigen Kenntnisse in Nebenstunden. Als
er in seinem zwanzigsten Jahre den erblindeten Vater und die an der Schwind¬
sucht leidende Mutter verloren hatte, verblieb ihm die Sorge für den Unter¬
halt und die Erziehung zweier minderjährigen Geschwister, und die Deckung
der Schulden, die in einem von der Mutter unglücklich betriebenen Kleinhandel
erwachsen waren. Sein fixes Einkommen betrug wöchentlich je vier Kreuzer
von jedem Schulkinde, deren er wechselnd zwischen 20 bis 50 hatte. Gut¬
gesinnte Menschen mögen ihm damals seine Lasten etwa erleichtert haben, das
Meiste that jedenfalls seine eigne Anstrengung. Schon vor Morgen that er
die Dienste der Hausmagd, während des Schulhaltens wies er die Geschwister
zu den laufenden Arbeiten an, in den Zwischenstunden fertigte er Copiaturen
für die Landschreiberei des Nachbarstädtchens Lichtensteig und aß oft Wochen
lang statt Brod nur Kartoffeln. So gelangs die Schulden abzuzahlen und
des Bruders Lehrjahre zu bestreiten. der ein tüchtiger Schlossermeister wurde.
Aus dem Tagebuche dieses letzteren erfahren wir Ambühls erste Liebe, die zu¬
gleich auch seine letzte blieb. Sie verzweigt sich mit einigen seiner Jugend¬
lieder und läßt tief in sein bescheidenes Herz blicken; mit den Worten des
Bruder Schivssermeisters stehe hier ein Einzelzug.

"Einer von unsern Nachbarn hatte eine Tochter, die von einem herum¬
ziehenden Dorfschulmeister die Orgel schlagen lernte. Mein Bruder, jünger als
sie, besuchte sie in ihren Unterrichtsstunden, sie kam in ihren Freistunden ebenso
in unser Haus. Elise war von feinem Körperbau, ihre Rede anmuthig, ihre
Singstimme silbenein. AIs der Musiklehrer abgeschafft war, hielten die Zwei
ihre Uebungsstundcn zusammen und begeisterten sich, wenn ihre Stimmen zu
Zweit ihr Spiel begleiteten. Doch die Harmonie beider Kinder war nicht auch
der beiderseitigen Eltern. Des Mädchens Eltern hatten von dem Vermögen
der unsrigen eine schlechte Meinung und sahen es ungern, daß sie oft in unser
Haus kam. Als eine gutartige Tochter mäßigte sie ihre Besuche; wie geflogen
und leise kam sie, auf gleiche Art verabschiedete sie sich, allemal so rührend,
als ob es das letzte Mal wäre. Auch bei diesem beschränkten Umgang waren
Beide zufrieden, aber nun wurde ihr Glück plötzlich vernichtet. An einem
Abend spät kam das Mädchen in unser Haus, nicht so munter wie sonst, mit
langsamen, leisen Schritten, als obs an einen Leichenzug ginge. schluchzend


der anerkannteste Charakterzug Ambühls gewesen ist. Er rastete in seinem gei¬
stigen Trachten niemals. Schon als Kind hatte er auf der Cither der Mutter,
dann auf der Flöte und Geige des Vaters spielen gelernt. Dann wurde ein
um geringen Preis erstandenes Klavier sein Lieblingsinstrument; obgleich er
keinen Unterricht genoß, brachte er es im Orgelspiel zu einer nicht geringen
Stärke. Beim Pfarrer erhielt er nebenher einige Anweisung in alten Sprachen,
so daß er noch in späteren Jahren seinen lateinischen Autor zu lesen wußte, und so
erwarb sich sein Thätigkeitstrieb alle übrigen Kenntnisse in Nebenstunden. Als
er in seinem zwanzigsten Jahre den erblindeten Vater und die an der Schwind¬
sucht leidende Mutter verloren hatte, verblieb ihm die Sorge für den Unter¬
halt und die Erziehung zweier minderjährigen Geschwister, und die Deckung
der Schulden, die in einem von der Mutter unglücklich betriebenen Kleinhandel
erwachsen waren. Sein fixes Einkommen betrug wöchentlich je vier Kreuzer
von jedem Schulkinde, deren er wechselnd zwischen 20 bis 50 hatte. Gut¬
gesinnte Menschen mögen ihm damals seine Lasten etwa erleichtert haben, das
Meiste that jedenfalls seine eigne Anstrengung. Schon vor Morgen that er
die Dienste der Hausmagd, während des Schulhaltens wies er die Geschwister
zu den laufenden Arbeiten an, in den Zwischenstunden fertigte er Copiaturen
für die Landschreiberei des Nachbarstädtchens Lichtensteig und aß oft Wochen
lang statt Brod nur Kartoffeln. So gelangs die Schulden abzuzahlen und
des Bruders Lehrjahre zu bestreiten. der ein tüchtiger Schlossermeister wurde.
Aus dem Tagebuche dieses letzteren erfahren wir Ambühls erste Liebe, die zu¬
gleich auch seine letzte blieb. Sie verzweigt sich mit einigen seiner Jugend¬
lieder und läßt tief in sein bescheidenes Herz blicken; mit den Worten des
Bruder Schivssermeisters stehe hier ein Einzelzug.

„Einer von unsern Nachbarn hatte eine Tochter, die von einem herum¬
ziehenden Dorfschulmeister die Orgel schlagen lernte. Mein Bruder, jünger als
sie, besuchte sie in ihren Unterrichtsstunden, sie kam in ihren Freistunden ebenso
in unser Haus. Elise war von feinem Körperbau, ihre Rede anmuthig, ihre
Singstimme silbenein. AIs der Musiklehrer abgeschafft war, hielten die Zwei
ihre Uebungsstundcn zusammen und begeisterten sich, wenn ihre Stimmen zu
Zweit ihr Spiel begleiteten. Doch die Harmonie beider Kinder war nicht auch
der beiderseitigen Eltern. Des Mädchens Eltern hatten von dem Vermögen
der unsrigen eine schlechte Meinung und sahen es ungern, daß sie oft in unser
Haus kam. Als eine gutartige Tochter mäßigte sie ihre Besuche; wie geflogen
und leise kam sie, auf gleiche Art verabschiedete sie sich, allemal so rührend,
als ob es das letzte Mal wäre. Auch bei diesem beschränkten Umgang waren
Beide zufrieden, aber nun wurde ihr Glück plötzlich vernichtet. An einem
Abend spät kam das Mädchen in unser Haus, nicht so munter wie sonst, mit
langsamen, leisen Schritten, als obs an einen Leichenzug ginge. schluchzend


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[0264] der anerkannteste Charakterzug Ambühls gewesen ist. Er rastete in seinem gei¬ stigen Trachten niemals. Schon als Kind hatte er auf der Cither der Mutter, dann auf der Flöte und Geige des Vaters spielen gelernt. Dann wurde ein um geringen Preis erstandenes Klavier sein Lieblingsinstrument; obgleich er keinen Unterricht genoß, brachte er es im Orgelspiel zu einer nicht geringen Stärke. Beim Pfarrer erhielt er nebenher einige Anweisung in alten Sprachen, so daß er noch in späteren Jahren seinen lateinischen Autor zu lesen wußte, und so erwarb sich sein Thätigkeitstrieb alle übrigen Kenntnisse in Nebenstunden. Als er in seinem zwanzigsten Jahre den erblindeten Vater und die an der Schwind¬ sucht leidende Mutter verloren hatte, verblieb ihm die Sorge für den Unter¬ halt und die Erziehung zweier minderjährigen Geschwister, und die Deckung der Schulden, die in einem von der Mutter unglücklich betriebenen Kleinhandel erwachsen waren. Sein fixes Einkommen betrug wöchentlich je vier Kreuzer von jedem Schulkinde, deren er wechselnd zwischen 20 bis 50 hatte. Gut¬ gesinnte Menschen mögen ihm damals seine Lasten etwa erleichtert haben, das Meiste that jedenfalls seine eigne Anstrengung. Schon vor Morgen that er die Dienste der Hausmagd, während des Schulhaltens wies er die Geschwister zu den laufenden Arbeiten an, in den Zwischenstunden fertigte er Copiaturen für die Landschreiberei des Nachbarstädtchens Lichtensteig und aß oft Wochen lang statt Brod nur Kartoffeln. So gelangs die Schulden abzuzahlen und des Bruders Lehrjahre zu bestreiten. der ein tüchtiger Schlossermeister wurde. Aus dem Tagebuche dieses letzteren erfahren wir Ambühls erste Liebe, die zu¬ gleich auch seine letzte blieb. Sie verzweigt sich mit einigen seiner Jugend¬ lieder und läßt tief in sein bescheidenes Herz blicken; mit den Worten des Bruder Schivssermeisters stehe hier ein Einzelzug. „Einer von unsern Nachbarn hatte eine Tochter, die von einem herum¬ ziehenden Dorfschulmeister die Orgel schlagen lernte. Mein Bruder, jünger als sie, besuchte sie in ihren Unterrichtsstunden, sie kam in ihren Freistunden ebenso in unser Haus. Elise war von feinem Körperbau, ihre Rede anmuthig, ihre Singstimme silbenein. AIs der Musiklehrer abgeschafft war, hielten die Zwei ihre Uebungsstundcn zusammen und begeisterten sich, wenn ihre Stimmen zu Zweit ihr Spiel begleiteten. Doch die Harmonie beider Kinder war nicht auch der beiderseitigen Eltern. Des Mädchens Eltern hatten von dem Vermögen der unsrigen eine schlechte Meinung und sahen es ungern, daß sie oft in unser Haus kam. Als eine gutartige Tochter mäßigte sie ihre Besuche; wie geflogen und leise kam sie, auf gleiche Art verabschiedete sie sich, allemal so rührend, als ob es das letzte Mal wäre. Auch bei diesem beschränkten Umgang waren Beide zufrieden, aber nun wurde ihr Glück plötzlich vernichtet. An einem Abend spät kam das Mädchen in unser Haus, nicht so munter wie sonst, mit langsamen, leisen Schritten, als obs an einen Leichenzug ginge. schluchzend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/264>, abgerufen am 28.09.2024.