Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Einfluß empört wie gegen den französischen, zunächst ohne Zweifel weil sie ihm
als ein Verwandtes erschienen, dann auch, weil unsre politische Stellung zu
England von jeher eine andere war als die zu Frankreich. England hat uns
nie mit Krieg überzogen, es hat im Gegentheil wiederholt an der Seite derer
gekämpft, in deren Lager Deutschland war, es hat uns nie Unfrieden in die
Beziehungen der verschiedenen Höfe gebracht, nie eine Partei nur für sein
Interesse in Deutschland zu bilden und zu erhalten gesucht; es hat uns niemals
eine Stadt wie das alte Straßburg, nie Provinzen genommen wie den Elsaß.
Wenn es jetzt Miene machte, uns an gebührlicher Ordnung unsrer Angelegen¬
heit mit Dänemark zu hindern, so blieb es bei der bloßen Miene und einigen
Uncntigkeiten. und die Trübung des guten Einvernehmens zwischen den Ver¬
wandten wird sich um so eher verlieren, als England den Vetter diesseits der
Nordsee dabei im Stillen als energischen Charakter kennen gelernt hat.

England hat in seinen Schriftstellern niemals deutsche Sprache und Art
verhöhnt, wie Frankreich in Voltaire. Wir haben im Gegentheil von ihm
Nutzen gezogen, nicht blos für unsre Literatur. Unsre Stammesvettern im
Britenlande haben uns geholfen, uns selbst wiederzufinden. Sie haben uns
in dem Kampfe der Whigs gegen den Absolutismus ein Vorbild, unsre Pflich¬
ten in der Gegenwart und die Siege unsrer Zukunft hingestellt. Selbst ein
großes organisches Volksganzes, baben sie uns Mittel und Wege gewiesen, uns
gleichfalls zu einem solchen herauszubilden. Wir haben jedoch nicht blos von
ihnen empfangen, sondern ihnen auch gegeben, und zwar schon vor Jahrhunderten,
in Luthers und Zwinglis Reformation. Unsre Sprache und Literatur hat in
neuester Zeit in ganz anderem Maße auf sie eingewirkt, als auf die Franzosen,
und es zieht sich namentlich durch ihre jüngste Literatur eine deutsche Strömung
hindurch, deren Erscheinungen und Wirkungen zu verfolgen nicht minder inter¬
essant sein würde, als unser hier endigender Versuch, die Einflüsse der englischen
Literatur auf die unsrige aufzusuchen. Namentlich, was Shakespeare betrifft,
so gestehen dessen Landsleute offen ein, daß für die Würdigung und das ästhe¬
tische Verständniß desselben von deutscher Seite weit mehr und weit Größeres
geleistet worden ist als von englischer.




Einfluß empört wie gegen den französischen, zunächst ohne Zweifel weil sie ihm
als ein Verwandtes erschienen, dann auch, weil unsre politische Stellung zu
England von jeher eine andere war als die zu Frankreich. England hat uns
nie mit Krieg überzogen, es hat im Gegentheil wiederholt an der Seite derer
gekämpft, in deren Lager Deutschland war, es hat uns nie Unfrieden in die
Beziehungen der verschiedenen Höfe gebracht, nie eine Partei nur für sein
Interesse in Deutschland zu bilden und zu erhalten gesucht; es hat uns niemals
eine Stadt wie das alte Straßburg, nie Provinzen genommen wie den Elsaß.
Wenn es jetzt Miene machte, uns an gebührlicher Ordnung unsrer Angelegen¬
heit mit Dänemark zu hindern, so blieb es bei der bloßen Miene und einigen
Uncntigkeiten. und die Trübung des guten Einvernehmens zwischen den Ver¬
wandten wird sich um so eher verlieren, als England den Vetter diesseits der
Nordsee dabei im Stillen als energischen Charakter kennen gelernt hat.

England hat in seinen Schriftstellern niemals deutsche Sprache und Art
verhöhnt, wie Frankreich in Voltaire. Wir haben im Gegentheil von ihm
Nutzen gezogen, nicht blos für unsre Literatur. Unsre Stammesvettern im
Britenlande haben uns geholfen, uns selbst wiederzufinden. Sie haben uns
in dem Kampfe der Whigs gegen den Absolutismus ein Vorbild, unsre Pflich¬
ten in der Gegenwart und die Siege unsrer Zukunft hingestellt. Selbst ein
großes organisches Volksganzes, baben sie uns Mittel und Wege gewiesen, uns
gleichfalls zu einem solchen herauszubilden. Wir haben jedoch nicht blos von
ihnen empfangen, sondern ihnen auch gegeben, und zwar schon vor Jahrhunderten,
in Luthers und Zwinglis Reformation. Unsre Sprache und Literatur hat in
neuester Zeit in ganz anderem Maße auf sie eingewirkt, als auf die Franzosen,
und es zieht sich namentlich durch ihre jüngste Literatur eine deutsche Strömung
hindurch, deren Erscheinungen und Wirkungen zu verfolgen nicht minder inter¬
essant sein würde, als unser hier endigender Versuch, die Einflüsse der englischen
Literatur auf die unsrige aufzusuchen. Namentlich, was Shakespeare betrifft,
so gestehen dessen Landsleute offen ein, daß für die Würdigung und das ästhe¬
tische Verständniß desselben von deutscher Seite weit mehr und weit Größeres
geleistet worden ist als von englischer.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189353"/>
          <p xml:id="ID_912" prev="#ID_911"> Einfluß empört wie gegen den französischen, zunächst ohne Zweifel weil sie ihm<lb/>
als ein Verwandtes erschienen, dann auch, weil unsre politische Stellung zu<lb/>
England von jeher eine andere war als die zu Frankreich. England hat uns<lb/>
nie mit Krieg überzogen, es hat im Gegentheil wiederholt an der Seite derer<lb/>
gekämpft, in deren Lager Deutschland war, es hat uns nie Unfrieden in die<lb/>
Beziehungen der verschiedenen Höfe gebracht, nie eine Partei nur für sein<lb/>
Interesse in Deutschland zu bilden und zu erhalten gesucht; es hat uns niemals<lb/>
eine Stadt wie das alte Straßburg, nie Provinzen genommen wie den Elsaß.<lb/>
Wenn es jetzt Miene machte, uns an gebührlicher Ordnung unsrer Angelegen¬<lb/>
heit mit Dänemark zu hindern, so blieb es bei der bloßen Miene und einigen<lb/>
Uncntigkeiten. und die Trübung des guten Einvernehmens zwischen den Ver¬<lb/>
wandten wird sich um so eher verlieren, als England den Vetter diesseits der<lb/>
Nordsee dabei im Stillen als energischen Charakter kennen gelernt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_913"> England hat in seinen Schriftstellern niemals deutsche Sprache und Art<lb/>
verhöhnt, wie Frankreich in Voltaire. Wir haben im Gegentheil von ihm<lb/>
Nutzen gezogen, nicht blos für unsre Literatur. Unsre Stammesvettern im<lb/>
Britenlande haben uns geholfen, uns selbst wiederzufinden. Sie haben uns<lb/>
in dem Kampfe der Whigs gegen den Absolutismus ein Vorbild, unsre Pflich¬<lb/>
ten in der Gegenwart und die Siege unsrer Zukunft hingestellt. Selbst ein<lb/>
großes organisches Volksganzes, baben sie uns Mittel und Wege gewiesen, uns<lb/>
gleichfalls zu einem solchen herauszubilden. Wir haben jedoch nicht blos von<lb/>
ihnen empfangen, sondern ihnen auch gegeben, und zwar schon vor Jahrhunderten,<lb/>
in Luthers und Zwinglis Reformation. Unsre Sprache und Literatur hat in<lb/>
neuester Zeit in ganz anderem Maße auf sie eingewirkt, als auf die Franzosen,<lb/>
und es zieht sich namentlich durch ihre jüngste Literatur eine deutsche Strömung<lb/>
hindurch, deren Erscheinungen und Wirkungen zu verfolgen nicht minder inter¬<lb/>
essant sein würde, als unser hier endigender Versuch, die Einflüsse der englischen<lb/>
Literatur auf die unsrige aufzusuchen. Namentlich, was Shakespeare betrifft,<lb/>
so gestehen dessen Landsleute offen ein, daß für die Würdigung und das ästhe¬<lb/>
tische Verständniß desselben von deutscher Seite weit mehr und weit Größeres<lb/>
geleistet worden ist als von englischer.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] Einfluß empört wie gegen den französischen, zunächst ohne Zweifel weil sie ihm als ein Verwandtes erschienen, dann auch, weil unsre politische Stellung zu England von jeher eine andere war als die zu Frankreich. England hat uns nie mit Krieg überzogen, es hat im Gegentheil wiederholt an der Seite derer gekämpft, in deren Lager Deutschland war, es hat uns nie Unfrieden in die Beziehungen der verschiedenen Höfe gebracht, nie eine Partei nur für sein Interesse in Deutschland zu bilden und zu erhalten gesucht; es hat uns niemals eine Stadt wie das alte Straßburg, nie Provinzen genommen wie den Elsaß. Wenn es jetzt Miene machte, uns an gebührlicher Ordnung unsrer Angelegen¬ heit mit Dänemark zu hindern, so blieb es bei der bloßen Miene und einigen Uncntigkeiten. und die Trübung des guten Einvernehmens zwischen den Ver¬ wandten wird sich um so eher verlieren, als England den Vetter diesseits der Nordsee dabei im Stillen als energischen Charakter kennen gelernt hat. England hat in seinen Schriftstellern niemals deutsche Sprache und Art verhöhnt, wie Frankreich in Voltaire. Wir haben im Gegentheil von ihm Nutzen gezogen, nicht blos für unsre Literatur. Unsre Stammesvettern im Britenlande haben uns geholfen, uns selbst wiederzufinden. Sie haben uns in dem Kampfe der Whigs gegen den Absolutismus ein Vorbild, unsre Pflich¬ ten in der Gegenwart und die Siege unsrer Zukunft hingestellt. Selbst ein großes organisches Volksganzes, baben sie uns Mittel und Wege gewiesen, uns gleichfalls zu einem solchen herauszubilden. Wir haben jedoch nicht blos von ihnen empfangen, sondern ihnen auch gegeben, und zwar schon vor Jahrhunderten, in Luthers und Zwinglis Reformation. Unsre Sprache und Literatur hat in neuester Zeit in ganz anderem Maße auf sie eingewirkt, als auf die Franzosen, und es zieht sich namentlich durch ihre jüngste Literatur eine deutsche Strömung hindurch, deren Erscheinungen und Wirkungen zu verfolgen nicht minder inter¬ essant sein würde, als unser hier endigender Versuch, die Einflüsse der englischen Literatur auf die unsrige aufzusuchen. Namentlich, was Shakespeare betrifft, so gestehen dessen Landsleute offen ein, daß für die Würdigung und das ästhe¬ tische Verständniß desselben von deutscher Seite weit mehr und weit Größeres geleistet worden ist als von englischer.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/258>, abgerufen am 28.09.2024.