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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Ramler bekannt. Klopstock, ein Geistesverwandter Schlegels, setzte dann wieder
den letzten Zweck der höhern Poesie und zugleich das wahre Kennzeichen ihres
Werthes in die moralische Schönheit, eine Ansicht, bei der sich die englische
Einwirkung nicht verkennen läßt. Dem Batteux trat Baumgarten mit seiner
auf die wolffsche Philosophie gegründeten Aesthetik entgegen, doch vermochte er
nicht die Oberhand zu gewinnen. Nach ihm besteht die Schönheit in der Voll¬
kommenheit der sinnlichen Erkenntniß. Moses Mendelssohn war es, welcher bei
seinem Bestreben, die ivckesche Erfahrungsphilosophie mit der w.olffschen zu
vermitteln, auch die banmgartensche Aesthetik zu größerer Klarheit entwickelte.
Die durch ihn eingeleitete Einwirkung der englischen Aesthetiker, besonders
Shaftesburys und Burkes (letztern gedachte auch Lessing einmal zu übersetzen
und zu commentiren) erhielt dann in den sechziger Jahren einen sehr bedeuten¬
den Nachdruck durch Meinhards vortreffliche Uebertragung von Homes Grund¬
sätzen der Kritik, die später von Garve und Engel neu herausgegeben wurde.
Auf solchergestalt vorbereiteten Boden erwuchsen endlich Lessings und Herders
kritische Werte, die alles Vorangegangne beseitigten und einen völligen Um¬
schwung in unsrer Kritik und Kunstlehre hervorbrachten.

Werfen wir nun mit dem Verfasser einen Rückblick auf den Strom, dessen
Zuflüsse wir im Vorstehenden kurz verzeichnet haben, und erwägen wir, daß
neben diesen fast ununterbrochen drei Jahrhunderte hindurch währenden eng¬
lischen Einflüssen fast ebenso starke französische und überdies italienische, spanische
und altclassische einhergingen, so bleibt unsrer schönen Literatur allerdings,
wenn wir von Geistern wie Goethe und Schiller und einigen Neuern absehen,
wenig Heimisches und Eigenthümliches. Schon Herder sagt, der poetische Him¬
mel Britanniens habe ihn erschreckt. "Wo sind." ruft er aus. "unsre Shake¬
speares, unsre Swifts, Addisons. Fieldings, Sternes? Wo ist jene Menge von
Edlen, die vorangingen oder wenigstens mit am Werk waren? Wir wachten
auf, da es allenthalben Mittag war und bei einigen Nationen sich gar schon
die Sonne neigte. Kurz, wir kamen zu spät. Und weil wir zu spät kamen,
ahmten wir nach; denn wir fanden viel Vortreffliches nachzuahmen. Franzosen,
Spaniern. Italienern, Briten, selbst Holländern ahmten wir nach und wußten
nie recht, wozu und weswegen. Unser verdienter Opitz war mehr Uebersetzer
als Dichter. In Weckherlin u. a. ist der größte Theil fremdes Gut. So sind
wir fortgeschritten, und wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die Muse singend
conversirt. wenn sie in Frankreich artig erzählt und vernünftelt, in England
scharf und tiefsinnig denkt, was thu! sie in Deutschland? Sie ahmt nach.
Nachahmung also wäre ihr Charakter, eben weil sie zu spät kam. Die Original¬
formen waren alle verbraucht und vergeben."

Hierzu ist zunächst zu bemerken; daß für die bedeutenderen Geister die
Fremde doch nur die Anregung und die Form für das eigne Schaffen gab.


Ramler bekannt. Klopstock, ein Geistesverwandter Schlegels, setzte dann wieder
den letzten Zweck der höhern Poesie und zugleich das wahre Kennzeichen ihres
Werthes in die moralische Schönheit, eine Ansicht, bei der sich die englische
Einwirkung nicht verkennen läßt. Dem Batteux trat Baumgarten mit seiner
auf die wolffsche Philosophie gegründeten Aesthetik entgegen, doch vermochte er
nicht die Oberhand zu gewinnen. Nach ihm besteht die Schönheit in der Voll¬
kommenheit der sinnlichen Erkenntniß. Moses Mendelssohn war es, welcher bei
seinem Bestreben, die ivckesche Erfahrungsphilosophie mit der w.olffschen zu
vermitteln, auch die banmgartensche Aesthetik zu größerer Klarheit entwickelte.
Die durch ihn eingeleitete Einwirkung der englischen Aesthetiker, besonders
Shaftesburys und Burkes (letztern gedachte auch Lessing einmal zu übersetzen
und zu commentiren) erhielt dann in den sechziger Jahren einen sehr bedeuten¬
den Nachdruck durch Meinhards vortreffliche Uebertragung von Homes Grund¬
sätzen der Kritik, die später von Garve und Engel neu herausgegeben wurde.
Auf solchergestalt vorbereiteten Boden erwuchsen endlich Lessings und Herders
kritische Werte, die alles Vorangegangne beseitigten und einen völligen Um¬
schwung in unsrer Kritik und Kunstlehre hervorbrachten.

Werfen wir nun mit dem Verfasser einen Rückblick auf den Strom, dessen
Zuflüsse wir im Vorstehenden kurz verzeichnet haben, und erwägen wir, daß
neben diesen fast ununterbrochen drei Jahrhunderte hindurch währenden eng¬
lischen Einflüssen fast ebenso starke französische und überdies italienische, spanische
und altclassische einhergingen, so bleibt unsrer schönen Literatur allerdings,
wenn wir von Geistern wie Goethe und Schiller und einigen Neuern absehen,
wenig Heimisches und Eigenthümliches. Schon Herder sagt, der poetische Him¬
mel Britanniens habe ihn erschreckt. „Wo sind." ruft er aus. „unsre Shake¬
speares, unsre Swifts, Addisons. Fieldings, Sternes? Wo ist jene Menge von
Edlen, die vorangingen oder wenigstens mit am Werk waren? Wir wachten
auf, da es allenthalben Mittag war und bei einigen Nationen sich gar schon
die Sonne neigte. Kurz, wir kamen zu spät. Und weil wir zu spät kamen,
ahmten wir nach; denn wir fanden viel Vortreffliches nachzuahmen. Franzosen,
Spaniern. Italienern, Briten, selbst Holländern ahmten wir nach und wußten
nie recht, wozu und weswegen. Unser verdienter Opitz war mehr Uebersetzer
als Dichter. In Weckherlin u. a. ist der größte Theil fremdes Gut. So sind
wir fortgeschritten, und wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die Muse singend
conversirt. wenn sie in Frankreich artig erzählt und vernünftelt, in England
scharf und tiefsinnig denkt, was thu! sie in Deutschland? Sie ahmt nach.
Nachahmung also wäre ihr Charakter, eben weil sie zu spät kam. Die Original¬
formen waren alle verbraucht und vergeben."

Hierzu ist zunächst zu bemerken; daß für die bedeutenderen Geister die
Fremde doch nur die Anregung und die Form für das eigne Schaffen gab.


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[0256] Ramler bekannt. Klopstock, ein Geistesverwandter Schlegels, setzte dann wieder den letzten Zweck der höhern Poesie und zugleich das wahre Kennzeichen ihres Werthes in die moralische Schönheit, eine Ansicht, bei der sich die englische Einwirkung nicht verkennen läßt. Dem Batteux trat Baumgarten mit seiner auf die wolffsche Philosophie gegründeten Aesthetik entgegen, doch vermochte er nicht die Oberhand zu gewinnen. Nach ihm besteht die Schönheit in der Voll¬ kommenheit der sinnlichen Erkenntniß. Moses Mendelssohn war es, welcher bei seinem Bestreben, die ivckesche Erfahrungsphilosophie mit der w.olffschen zu vermitteln, auch die banmgartensche Aesthetik zu größerer Klarheit entwickelte. Die durch ihn eingeleitete Einwirkung der englischen Aesthetiker, besonders Shaftesburys und Burkes (letztern gedachte auch Lessing einmal zu übersetzen und zu commentiren) erhielt dann in den sechziger Jahren einen sehr bedeuten¬ den Nachdruck durch Meinhards vortreffliche Uebertragung von Homes Grund¬ sätzen der Kritik, die später von Garve und Engel neu herausgegeben wurde. Auf solchergestalt vorbereiteten Boden erwuchsen endlich Lessings und Herders kritische Werte, die alles Vorangegangne beseitigten und einen völligen Um¬ schwung in unsrer Kritik und Kunstlehre hervorbrachten. Werfen wir nun mit dem Verfasser einen Rückblick auf den Strom, dessen Zuflüsse wir im Vorstehenden kurz verzeichnet haben, und erwägen wir, daß neben diesen fast ununterbrochen drei Jahrhunderte hindurch währenden eng¬ lischen Einflüssen fast ebenso starke französische und überdies italienische, spanische und altclassische einhergingen, so bleibt unsrer schönen Literatur allerdings, wenn wir von Geistern wie Goethe und Schiller und einigen Neuern absehen, wenig Heimisches und Eigenthümliches. Schon Herder sagt, der poetische Him¬ mel Britanniens habe ihn erschreckt. „Wo sind." ruft er aus. „unsre Shake¬ speares, unsre Swifts, Addisons. Fieldings, Sternes? Wo ist jene Menge von Edlen, die vorangingen oder wenigstens mit am Werk waren? Wir wachten auf, da es allenthalben Mittag war und bei einigen Nationen sich gar schon die Sonne neigte. Kurz, wir kamen zu spät. Und weil wir zu spät kamen, ahmten wir nach; denn wir fanden viel Vortreffliches nachzuahmen. Franzosen, Spaniern. Italienern, Briten, selbst Holländern ahmten wir nach und wußten nie recht, wozu und weswegen. Unser verdienter Opitz war mehr Uebersetzer als Dichter. In Weckherlin u. a. ist der größte Theil fremdes Gut. So sind wir fortgeschritten, und wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die Muse singend conversirt. wenn sie in Frankreich artig erzählt und vernünftelt, in England scharf und tiefsinnig denkt, was thu! sie in Deutschland? Sie ahmt nach. Nachahmung also wäre ihr Charakter, eben weil sie zu spät kam. Die Original¬ formen waren alle verbraucht und vergeben." Hierzu ist zunächst zu bemerken; daß für die bedeutenderen Geister die Fremde doch nur die Anregung und die Form für das eigne Schaffen gab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/256>, abgerufen am 28.09.2024.