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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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der dramatischen Poesie angehört. So in Hamburg und in Zürich, so ferner
in der bentinckschen Bibliothek zu Varel und so namentlich auf der danziger
Stadtbibliothe?, wo sich ein Sammelband befindet, welcher neben Anderem den
"Catilina" Ben Jonsons in der Ausgabe von 1611, Marlowes "Edward den
Zweiten" in der Ausgabe von 1622, und noch sechs andere englische Dramen
in Drucken der ersten zwanzig Jahre des siebzehnten Jahrhunderts enthält.

In dem Glauben, daß diese Stücke und ihnen verwandte wirklich in
Deutschland aufgeführt worden sind, bestärken uns verschiedene Nachbildungen.
Hibaldchas bereits 1594 veröffentlichtes Stück von einer Ehebrecherin berührt
sich ganz merkwürdig mit Shakespeares "Luftiger Weibern von Windsor". und
sein "Ungerathener Sohn" ist sichtlich unter dem Einfluß der Engländer ge¬
schrieben. Unter Ayrers Komödien befindet sich ein "Spiegel weiblicher Zucht
und Ehr", der deutlich an Shakespeares "Viel Lärmen um Nichts" erinnert,
serner ein Lustspiel vom König in Cypern, welches mit Lewis Machins ..Stum¬
men Ritter" zusammentrifft, und die bekannte "Pclimperia". welche mittelbar
oder unmittelbar der spanischen Tragödie Kyds entlehnt sein muß. Handgreiflich
weisen endlich die "Sehr klägliche Tragödie von Tito Andronico" in der 1620
erschienenen Sammlung der englischen Komödien und Tragödien und die wieder¬
holt angeführte "Kunst über alle Künste" nicht nur aus das englische Theater,
sondern auf Shakespeare selbst hin.

Die Stücke der englischen Komödianten gestalteten sich in den Händen
ihrer deutschen Gehilfen und Nachtreter noch roher, blutiger und schmutziger als
sie von Natur waren, aber mit ihnen wurde doch einer andern Richtung der
deutschen Bühne Bahn gebrochen. An die Stelle des gelehrten und des geist¬
lichen Dramas trat das Volksschauspiel, und wäre die Ausbildung desselben in
Deutschland ungestört geblieben, "so würde sich," wie Gervinus sagt, "der deutsche
Geschmack je länger je mehr in den englischen Stücken wiedergefunden und all-
mälig an den besseren geschult haben."

Die englischen Dramatiker, welche gleichzeitig mit Shakespeare schrieben-
haben keinen directen Einfluß auf unsre Literatur geübt. Wohl aber hat ein
anderer Zeitgenosse desselben, Sir Philipp Sidney durch seine 1629 durch
Valentin Theokritus von Hirschberg übersetzte "Arcadia" die Liebhaberei an
Schäfereien in Deutschland in die Mode bringen helfen, wie schon der äußere
Umstand zeigt, daß Harsdörser und Klai, die Stifter des Blumenordens, ihre
Ordensnamen aus jenem englischen Werke entlehnten.

Noch ehe das siebzehnte Jahrhundert zu Ende ging, hatte auch der zweite
unsterbliche Held der englischen Poesie, Milton, seinen Fuß in die deutsche
Literatur gesetzt. Sein "Verlornes Paradies" wurde zuerst von Theodor Haake,
der 1690 starb, ins Deutsche übertragen und gelangte in einer Ueberarbeitung
Ernst Gottliebs von Berge, die in reimlosen Jamben abgefaßt war. 1682 in


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der dramatischen Poesie angehört. So in Hamburg und in Zürich, so ferner
in der bentinckschen Bibliothek zu Varel und so namentlich auf der danziger
Stadtbibliothe?, wo sich ein Sammelband befindet, welcher neben Anderem den
„Catilina" Ben Jonsons in der Ausgabe von 1611, Marlowes „Edward den
Zweiten" in der Ausgabe von 1622, und noch sechs andere englische Dramen
in Drucken der ersten zwanzig Jahre des siebzehnten Jahrhunderts enthält.

In dem Glauben, daß diese Stücke und ihnen verwandte wirklich in
Deutschland aufgeführt worden sind, bestärken uns verschiedene Nachbildungen.
Hibaldchas bereits 1594 veröffentlichtes Stück von einer Ehebrecherin berührt
sich ganz merkwürdig mit Shakespeares „Luftiger Weibern von Windsor". und
sein „Ungerathener Sohn" ist sichtlich unter dem Einfluß der Engländer ge¬
schrieben. Unter Ayrers Komödien befindet sich ein „Spiegel weiblicher Zucht
und Ehr", der deutlich an Shakespeares „Viel Lärmen um Nichts" erinnert,
serner ein Lustspiel vom König in Cypern, welches mit Lewis Machins ..Stum¬
men Ritter" zusammentrifft, und die bekannte „Pclimperia". welche mittelbar
oder unmittelbar der spanischen Tragödie Kyds entlehnt sein muß. Handgreiflich
weisen endlich die „Sehr klägliche Tragödie von Tito Andronico" in der 1620
erschienenen Sammlung der englischen Komödien und Tragödien und die wieder¬
holt angeführte „Kunst über alle Künste" nicht nur aus das englische Theater,
sondern auf Shakespeare selbst hin.

Die Stücke der englischen Komödianten gestalteten sich in den Händen
ihrer deutschen Gehilfen und Nachtreter noch roher, blutiger und schmutziger als
sie von Natur waren, aber mit ihnen wurde doch einer andern Richtung der
deutschen Bühne Bahn gebrochen. An die Stelle des gelehrten und des geist¬
lichen Dramas trat das Volksschauspiel, und wäre die Ausbildung desselben in
Deutschland ungestört geblieben, „so würde sich," wie Gervinus sagt, „der deutsche
Geschmack je länger je mehr in den englischen Stücken wiedergefunden und all-
mälig an den besseren geschult haben."

Die englischen Dramatiker, welche gleichzeitig mit Shakespeare schrieben-
haben keinen directen Einfluß auf unsre Literatur geübt. Wohl aber hat ein
anderer Zeitgenosse desselben, Sir Philipp Sidney durch seine 1629 durch
Valentin Theokritus von Hirschberg übersetzte „Arcadia" die Liebhaberei an
Schäfereien in Deutschland in die Mode bringen helfen, wie schon der äußere
Umstand zeigt, daß Harsdörser und Klai, die Stifter des Blumenordens, ihre
Ordensnamen aus jenem englischen Werke entlehnten.

Noch ehe das siebzehnte Jahrhundert zu Ende ging, hatte auch der zweite
unsterbliche Held der englischen Poesie, Milton, seinen Fuß in die deutsche
Literatur gesetzt. Sein „Verlornes Paradies" wurde zuerst von Theodor Haake,
der 1690 starb, ins Deutsche übertragen und gelangte in einer Ueberarbeitung
Ernst Gottliebs von Berge, die in reimlosen Jamben abgefaßt war. 1682 in


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[0251] der dramatischen Poesie angehört. So in Hamburg und in Zürich, so ferner in der bentinckschen Bibliothek zu Varel und so namentlich auf der danziger Stadtbibliothe?, wo sich ein Sammelband befindet, welcher neben Anderem den „Catilina" Ben Jonsons in der Ausgabe von 1611, Marlowes „Edward den Zweiten" in der Ausgabe von 1622, und noch sechs andere englische Dramen in Drucken der ersten zwanzig Jahre des siebzehnten Jahrhunderts enthält. In dem Glauben, daß diese Stücke und ihnen verwandte wirklich in Deutschland aufgeführt worden sind, bestärken uns verschiedene Nachbildungen. Hibaldchas bereits 1594 veröffentlichtes Stück von einer Ehebrecherin berührt sich ganz merkwürdig mit Shakespeares „Luftiger Weibern von Windsor". und sein „Ungerathener Sohn" ist sichtlich unter dem Einfluß der Engländer ge¬ schrieben. Unter Ayrers Komödien befindet sich ein „Spiegel weiblicher Zucht und Ehr", der deutlich an Shakespeares „Viel Lärmen um Nichts" erinnert, serner ein Lustspiel vom König in Cypern, welches mit Lewis Machins ..Stum¬ men Ritter" zusammentrifft, und die bekannte „Pclimperia". welche mittelbar oder unmittelbar der spanischen Tragödie Kyds entlehnt sein muß. Handgreiflich weisen endlich die „Sehr klägliche Tragödie von Tito Andronico" in der 1620 erschienenen Sammlung der englischen Komödien und Tragödien und die wieder¬ holt angeführte „Kunst über alle Künste" nicht nur aus das englische Theater, sondern auf Shakespeare selbst hin. Die Stücke der englischen Komödianten gestalteten sich in den Händen ihrer deutschen Gehilfen und Nachtreter noch roher, blutiger und schmutziger als sie von Natur waren, aber mit ihnen wurde doch einer andern Richtung der deutschen Bühne Bahn gebrochen. An die Stelle des gelehrten und des geist¬ lichen Dramas trat das Volksschauspiel, und wäre die Ausbildung desselben in Deutschland ungestört geblieben, „so würde sich," wie Gervinus sagt, „der deutsche Geschmack je länger je mehr in den englischen Stücken wiedergefunden und all- mälig an den besseren geschult haben." Die englischen Dramatiker, welche gleichzeitig mit Shakespeare schrieben- haben keinen directen Einfluß auf unsre Literatur geübt. Wohl aber hat ein anderer Zeitgenosse desselben, Sir Philipp Sidney durch seine 1629 durch Valentin Theokritus von Hirschberg übersetzte „Arcadia" die Liebhaberei an Schäfereien in Deutschland in die Mode bringen helfen, wie schon der äußere Umstand zeigt, daß Harsdörser und Klai, die Stifter des Blumenordens, ihre Ordensnamen aus jenem englischen Werke entlehnten. Noch ehe das siebzehnte Jahrhundert zu Ende ging, hatte auch der zweite unsterbliche Held der englischen Poesie, Milton, seinen Fuß in die deutsche Literatur gesetzt. Sein „Verlornes Paradies" wurde zuerst von Theodor Haake, der 1690 starb, ins Deutsche übertragen und gelangte in einer Ueberarbeitung Ernst Gottliebs von Berge, die in reimlosen Jamben abgefaßt war. 1682 in 31"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/251>, abgerufen am 28.09.2024.