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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Der Gebrauch war folgender. Wenn die Soldaten Grund zur Unzufrieden¬
heit zu haben glaubten und namentlich, wenn der Sold zu lange ausblieb, suchten
sie erst eine gute Gelegenheit zur Ausführung ihres Widerstandes, den sie nicht
Meuterei, sondern Veränderung, alt<zr^ti0ii<z, aitei'ueion nannten. Meist im
Felde, oft unmittelbar nach einer gewonnenen Schlacht, versammelten sie sich auf
ein gegebenes Zeichen mit'ihren Waffen. Sie setzten erst alle Offiziere, vom
höchsten bis zum letzten ab. Durch allgemeine Abstimmung wurde ein Erwählter
(Llötw, LIu) erkoren, welcher die Stelle des obersten Generals einnahm. Ihm
wurde ein Rath beigegeben, ohne den er nichts thun durfte. Die Reiter erwählten
einen Gouverneur (Mdernawr), die Infanterie einen Major (Löi'Mirw-Najoi').
Ebenso wurden die niedrigeren Offiziere durch freie Wahl bestimmt. Sobald
das geschehen, bemächtigten sich die Truppen der reichsten Stadt, die in der
Nähe lag. Es wurde nicht geplündert, sondern die strengste Manneszucht auf¬
recht erhalten. Die Gräuelthaten der Spanier unter Alba geschahen alle,
während die Soldaten sich nicht in Meuterei befanden. Man ging sogar so
weit, daß, was in den bestdisciplinirten Heeren als erlaubt angesehen wurde,
während der Meuterei oft mit dem Tode bestraft wurde, wie z. B. Kartenspiel,
Trunkenheit, Schlägerei, Fluchen und Schimpfen und selbst leichtsinniges
Schuldenmachen. Schlechte Frauenzimmer wurden verbannt. Man wollte
allen Grund zur Uneinigkeit vermeiden. Der Unterhalt wurde durch schwere
Kontributionen herbeigeschafft, die man der Stadt und der Umgegend auferlegte.
Der Erwählte und sein Rath konnten für sich selbst nichts beschließen. Sie
hatten nur Vorschläge zu machen. Wenn etwas zu entscheiden war. versammelten
sich alle Truppen auf dem Hauptplatze der Stadt, und der Erwählte sprach vom
Fenster eines Hauses herab. Zuweilen, wenn sein Vorschlag mißfiel, anwortete
man ihm mit Flintenschüssen. Der Argwohn, man könnte verrathen werden,
ruhte nimmer. Der Erwählte hatte daher stets eine Wache um sich. Er durfte
ohne Genehmigung der Versammlung weder Briefe schreiben, noch empfangen.
Jedem Andern war alle Korrespondenz aufs strengste untersagt. Im Dienste
wurde unbedingter Gehorsam gefordert. Kein Versehen galt als Entschuldigung,
sondern wurde ebenso, wie böser Wille unnachsichtlich mit dem Tode bestraft.

Diese strenge Organisation machte die Meuterer so stark, daß Gewalt gegen
sie nicht räthlich war. Das Ansehen von Georg Frundsberg blieb in einem
solchen Falle bekanntlich ohne Wirkung und ebenso das von Sanzio Orvila,
obgleich beide Lieblinge ihrer Truppen waren. Einige Generale haben es zwar
versucht, andere Regimenter gegen die Meuterer zu führen. Der Erfolg war
aber schlecht. Denn die treu gebliebenen Truppen, selbst wenn sie einer
andern Nation angehörten, zeigten gewöhnlich mehr Neigung, mit den
Meuterern gemeinschaftliche Sache zu machen, als gegen sie zu kämpfen. Der
einzige Ausweg war, die Empörer zu befriedigen. Wenn das nicht sogleich voll-


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Der Gebrauch war folgender. Wenn die Soldaten Grund zur Unzufrieden¬
heit zu haben glaubten und namentlich, wenn der Sold zu lange ausblieb, suchten
sie erst eine gute Gelegenheit zur Ausführung ihres Widerstandes, den sie nicht
Meuterei, sondern Veränderung, alt<zr^ti0ii<z, aitei'ueion nannten. Meist im
Felde, oft unmittelbar nach einer gewonnenen Schlacht, versammelten sie sich auf
ein gegebenes Zeichen mit'ihren Waffen. Sie setzten erst alle Offiziere, vom
höchsten bis zum letzten ab. Durch allgemeine Abstimmung wurde ein Erwählter
(Llötw, LIu) erkoren, welcher die Stelle des obersten Generals einnahm. Ihm
wurde ein Rath beigegeben, ohne den er nichts thun durfte. Die Reiter erwählten
einen Gouverneur (Mdernawr), die Infanterie einen Major (Löi'Mirw-Najoi').
Ebenso wurden die niedrigeren Offiziere durch freie Wahl bestimmt. Sobald
das geschehen, bemächtigten sich die Truppen der reichsten Stadt, die in der
Nähe lag. Es wurde nicht geplündert, sondern die strengste Manneszucht auf¬
recht erhalten. Die Gräuelthaten der Spanier unter Alba geschahen alle,
während die Soldaten sich nicht in Meuterei befanden. Man ging sogar so
weit, daß, was in den bestdisciplinirten Heeren als erlaubt angesehen wurde,
während der Meuterei oft mit dem Tode bestraft wurde, wie z. B. Kartenspiel,
Trunkenheit, Schlägerei, Fluchen und Schimpfen und selbst leichtsinniges
Schuldenmachen. Schlechte Frauenzimmer wurden verbannt. Man wollte
allen Grund zur Uneinigkeit vermeiden. Der Unterhalt wurde durch schwere
Kontributionen herbeigeschafft, die man der Stadt und der Umgegend auferlegte.
Der Erwählte und sein Rath konnten für sich selbst nichts beschließen. Sie
hatten nur Vorschläge zu machen. Wenn etwas zu entscheiden war. versammelten
sich alle Truppen auf dem Hauptplatze der Stadt, und der Erwählte sprach vom
Fenster eines Hauses herab. Zuweilen, wenn sein Vorschlag mißfiel, anwortete
man ihm mit Flintenschüssen. Der Argwohn, man könnte verrathen werden,
ruhte nimmer. Der Erwählte hatte daher stets eine Wache um sich. Er durfte
ohne Genehmigung der Versammlung weder Briefe schreiben, noch empfangen.
Jedem Andern war alle Korrespondenz aufs strengste untersagt. Im Dienste
wurde unbedingter Gehorsam gefordert. Kein Versehen galt als Entschuldigung,
sondern wurde ebenso, wie böser Wille unnachsichtlich mit dem Tode bestraft.

Diese strenge Organisation machte die Meuterer so stark, daß Gewalt gegen
sie nicht räthlich war. Das Ansehen von Georg Frundsberg blieb in einem
solchen Falle bekanntlich ohne Wirkung und ebenso das von Sanzio Orvila,
obgleich beide Lieblinge ihrer Truppen waren. Einige Generale haben es zwar
versucht, andere Regimenter gegen die Meuterer zu führen. Der Erfolg war
aber schlecht. Denn die treu gebliebenen Truppen, selbst wenn sie einer
andern Nation angehörten, zeigten gewöhnlich mehr Neigung, mit den
Meuterern gemeinschaftliche Sache zu machen, als gegen sie zu kämpfen. Der
einzige Ausweg war, die Empörer zu befriedigen. Wenn das nicht sogleich voll-


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[0243] Der Gebrauch war folgender. Wenn die Soldaten Grund zur Unzufrieden¬ heit zu haben glaubten und namentlich, wenn der Sold zu lange ausblieb, suchten sie erst eine gute Gelegenheit zur Ausführung ihres Widerstandes, den sie nicht Meuterei, sondern Veränderung, alt<zr^ti0ii<z, aitei'ueion nannten. Meist im Felde, oft unmittelbar nach einer gewonnenen Schlacht, versammelten sie sich auf ein gegebenes Zeichen mit'ihren Waffen. Sie setzten erst alle Offiziere, vom höchsten bis zum letzten ab. Durch allgemeine Abstimmung wurde ein Erwählter (Llötw, LIu) erkoren, welcher die Stelle des obersten Generals einnahm. Ihm wurde ein Rath beigegeben, ohne den er nichts thun durfte. Die Reiter erwählten einen Gouverneur (Mdernawr), die Infanterie einen Major (Löi'Mirw-Najoi'). Ebenso wurden die niedrigeren Offiziere durch freie Wahl bestimmt. Sobald das geschehen, bemächtigten sich die Truppen der reichsten Stadt, die in der Nähe lag. Es wurde nicht geplündert, sondern die strengste Manneszucht auf¬ recht erhalten. Die Gräuelthaten der Spanier unter Alba geschahen alle, während die Soldaten sich nicht in Meuterei befanden. Man ging sogar so weit, daß, was in den bestdisciplinirten Heeren als erlaubt angesehen wurde, während der Meuterei oft mit dem Tode bestraft wurde, wie z. B. Kartenspiel, Trunkenheit, Schlägerei, Fluchen und Schimpfen und selbst leichtsinniges Schuldenmachen. Schlechte Frauenzimmer wurden verbannt. Man wollte allen Grund zur Uneinigkeit vermeiden. Der Unterhalt wurde durch schwere Kontributionen herbeigeschafft, die man der Stadt und der Umgegend auferlegte. Der Erwählte und sein Rath konnten für sich selbst nichts beschließen. Sie hatten nur Vorschläge zu machen. Wenn etwas zu entscheiden war. versammelten sich alle Truppen auf dem Hauptplatze der Stadt, und der Erwählte sprach vom Fenster eines Hauses herab. Zuweilen, wenn sein Vorschlag mißfiel, anwortete man ihm mit Flintenschüssen. Der Argwohn, man könnte verrathen werden, ruhte nimmer. Der Erwählte hatte daher stets eine Wache um sich. Er durfte ohne Genehmigung der Versammlung weder Briefe schreiben, noch empfangen. Jedem Andern war alle Korrespondenz aufs strengste untersagt. Im Dienste wurde unbedingter Gehorsam gefordert. Kein Versehen galt als Entschuldigung, sondern wurde ebenso, wie böser Wille unnachsichtlich mit dem Tode bestraft. Diese strenge Organisation machte die Meuterer so stark, daß Gewalt gegen sie nicht räthlich war. Das Ansehen von Georg Frundsberg blieb in einem solchen Falle bekanntlich ohne Wirkung und ebenso das von Sanzio Orvila, obgleich beide Lieblinge ihrer Truppen waren. Einige Generale haben es zwar versucht, andere Regimenter gegen die Meuterer zu führen. Der Erfolg war aber schlecht. Denn die treu gebliebenen Truppen, selbst wenn sie einer andern Nation angehörten, zeigten gewöhnlich mehr Neigung, mit den Meuterern gemeinschaftliche Sache zu machen, als gegen sie zu kämpfen. Der einzige Ausweg war, die Empörer zu befriedigen. Wenn das nicht sogleich voll- 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/243>, abgerufen am 28.09.2024.