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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Gelehrsamkeit, grobsinniger Pedantismus und wundcrsücbtiger Zelotismus sietreten.
Auf katholischer Seite dramatisirten die Mönchs- und Jesuitenschulen ihre Legenden,
Ortsmirakel und theologischen Kontroversen; auf reformirter Seite die gleich leder¬
nen Prädicanten und Präceptoren ihre Zehn Gebote und ihre Katechismusfragen.
Dies war das sogenannte Schuldrama, welches Possen und Dogmen, Sittencasui-
stik und grammatikalische Casuslchre, Armseligkeit und Prunk zusammen in end¬
loseste Allegorien verwebte. Wenn da der Abt Augustin Von Se. Urban sein Bürger¬
recht mit Solothurn erneuerte, so führten seine Klvstersclmler ein Singspiel auf
"Homerus. der siebenfache Burger". (Gedruckt 1752. 4". Aarauer Bibliothek.) --
Oder wenn die Bürger der Stadt Lcnzburg spielten, wie Josua trocknen Fußes
durch den Jordan geht und Jericho einnimmt (Basel bei Apiarius 1379). so
mahnen dabei vier verschiedene Masken die Zuschauer zu andächtigem Still¬
schweigen: ein Narr, ein rother Engel, ein grasgrüner Engel und ein Bär:

Für diese Schuldramcn öffnete Magistrat und Klerus die Ortskirchen un¬
gebeten, die historischen Stücke dagegen mit politischem Charakter verwies man
ans die verregnete Gasse oder stellte sie als staatsgefährlich nnter Censur. Denn
in Folge der Religionskriege waren die schweizerischen Republiken ziemlich eben¬
so frühe wie die monarchischen Staaten auf das neue Institut der Bücbcrccnsur
gerathen und übten es mit nicht geringerer Strenge. Das Staatsschreibcn der
katholischen Cantone an die reformirten v. I. t585 (gedruckt München bei
Ad. Berg 1588) beklagt sich wörtlich über "die hochschmächlichen zu Bern ge¬
haltenen und gedruckten Comedicn, zu geschweige" auch anderer in cwern Stätten
gehaltenen spilen, Comedien, vnverschambtcn erdichten Reden vnd Predigen, so
man bei euch vff der Cantzlen thut dergestalt, das auch die kleinen Kind vffge-
wiescn werdend. vnsre Priester vnd Ordcnslcut an offnen freyen Strassen vff
der Gassen vnd ob den Häusern zu verspotten vnd zu beschrcycn." So sah
sich die Tagsatzung genöthigt, schon im 16. Jahrhundert die Büchercensnr auch
auf Lieder und Schauspiele auszudehnen. Den kirchlichen Spielen dagegen lei¬
stete man allen möglichen Vorschub. Ein paar Beispiele hierüber theilt Hidbcr
mit in seinen Gesammelten Historischen Aufsätzen. (Bern, 1864.) Der römische
Legat zu Luzern verlieh 1597 der Schauspielergescllschaft daselbst sammt deren
Musikanten und zukünftigen Zuschauern auf volle sieben Jahre Süudenablaß.
Diese Gesellschaft bildete damals eine besondere kirchliche Bruderschaft, welche
nicht blos gegen Juden und Ketzer, sondern auch ganz erstaunlich gegen Hunger
und Durst ankämpfte. Bei ihrer Vorstellung des Sündenfalles im Jahr 1583
aß sie um 196 Fi. 33 Schilling und vertrank 222 Fi/ 32 Schilling, jene
weiteren 140 Maß Elsäßerwein nicht mit gerechnet, weiche Schultheiß und Rath
beim bloßen Zuschauen consumirten. Die Stadtschüler hatten in diesem Schau


Gelehrsamkeit, grobsinniger Pedantismus und wundcrsücbtiger Zelotismus sietreten.
Auf katholischer Seite dramatisirten die Mönchs- und Jesuitenschulen ihre Legenden,
Ortsmirakel und theologischen Kontroversen; auf reformirter Seite die gleich leder¬
nen Prädicanten und Präceptoren ihre Zehn Gebote und ihre Katechismusfragen.
Dies war das sogenannte Schuldrama, welches Possen und Dogmen, Sittencasui-
stik und grammatikalische Casuslchre, Armseligkeit und Prunk zusammen in end¬
loseste Allegorien verwebte. Wenn da der Abt Augustin Von Se. Urban sein Bürger¬
recht mit Solothurn erneuerte, so führten seine Klvstersclmler ein Singspiel auf
„Homerus. der siebenfache Burger". (Gedruckt 1752. 4". Aarauer Bibliothek.) —
Oder wenn die Bürger der Stadt Lcnzburg spielten, wie Josua trocknen Fußes
durch den Jordan geht und Jericho einnimmt (Basel bei Apiarius 1379). so
mahnen dabei vier verschiedene Masken die Zuschauer zu andächtigem Still¬
schweigen: ein Narr, ein rother Engel, ein grasgrüner Engel und ein Bär:

Für diese Schuldramcn öffnete Magistrat und Klerus die Ortskirchen un¬
gebeten, die historischen Stücke dagegen mit politischem Charakter verwies man
ans die verregnete Gasse oder stellte sie als staatsgefährlich nnter Censur. Denn
in Folge der Religionskriege waren die schweizerischen Republiken ziemlich eben¬
so frühe wie die monarchischen Staaten auf das neue Institut der Bücbcrccnsur
gerathen und übten es mit nicht geringerer Strenge. Das Staatsschreibcn der
katholischen Cantone an die reformirten v. I. t585 (gedruckt München bei
Ad. Berg 1588) beklagt sich wörtlich über „die hochschmächlichen zu Bern ge¬
haltenen und gedruckten Comedicn, zu geschweige» auch anderer in cwern Stätten
gehaltenen spilen, Comedien, vnverschambtcn erdichten Reden vnd Predigen, so
man bei euch vff der Cantzlen thut dergestalt, das auch die kleinen Kind vffge-
wiescn werdend. vnsre Priester vnd Ordcnslcut an offnen freyen Strassen vff
der Gassen vnd ob den Häusern zu verspotten vnd zu beschrcycn." So sah
sich die Tagsatzung genöthigt, schon im 16. Jahrhundert die Büchercensnr auch
auf Lieder und Schauspiele auszudehnen. Den kirchlichen Spielen dagegen lei¬
stete man allen möglichen Vorschub. Ein paar Beispiele hierüber theilt Hidbcr
mit in seinen Gesammelten Historischen Aufsätzen. (Bern, 1864.) Der römische
Legat zu Luzern verlieh 1597 der Schauspielergescllschaft daselbst sammt deren
Musikanten und zukünftigen Zuschauern auf volle sieben Jahre Süudenablaß.
Diese Gesellschaft bildete damals eine besondere kirchliche Bruderschaft, welche
nicht blos gegen Juden und Ketzer, sondern auch ganz erstaunlich gegen Hunger
und Durst ankämpfte. Bei ihrer Vorstellung des Sündenfalles im Jahr 1583
aß sie um 196 Fi. 33 Schilling und vertrank 222 Fi/ 32 Schilling, jene
weiteren 140 Maß Elsäßerwein nicht mit gerechnet, weiche Schultheiß und Rath
beim bloßen Zuschauen consumirten. Die Stadtschüler hatten in diesem Schau


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[0229] Gelehrsamkeit, grobsinniger Pedantismus und wundcrsücbtiger Zelotismus sietreten. Auf katholischer Seite dramatisirten die Mönchs- und Jesuitenschulen ihre Legenden, Ortsmirakel und theologischen Kontroversen; auf reformirter Seite die gleich leder¬ nen Prädicanten und Präceptoren ihre Zehn Gebote und ihre Katechismusfragen. Dies war das sogenannte Schuldrama, welches Possen und Dogmen, Sittencasui- stik und grammatikalische Casuslchre, Armseligkeit und Prunk zusammen in end¬ loseste Allegorien verwebte. Wenn da der Abt Augustin Von Se. Urban sein Bürger¬ recht mit Solothurn erneuerte, so führten seine Klvstersclmler ein Singspiel auf „Homerus. der siebenfache Burger". (Gedruckt 1752. 4". Aarauer Bibliothek.) — Oder wenn die Bürger der Stadt Lcnzburg spielten, wie Josua trocknen Fußes durch den Jordan geht und Jericho einnimmt (Basel bei Apiarius 1379). so mahnen dabei vier verschiedene Masken die Zuschauer zu andächtigem Still¬ schweigen: ein Narr, ein rother Engel, ein grasgrüner Engel und ein Bär: Für diese Schuldramcn öffnete Magistrat und Klerus die Ortskirchen un¬ gebeten, die historischen Stücke dagegen mit politischem Charakter verwies man ans die verregnete Gasse oder stellte sie als staatsgefährlich nnter Censur. Denn in Folge der Religionskriege waren die schweizerischen Republiken ziemlich eben¬ so frühe wie die monarchischen Staaten auf das neue Institut der Bücbcrccnsur gerathen und übten es mit nicht geringerer Strenge. Das Staatsschreibcn der katholischen Cantone an die reformirten v. I. t585 (gedruckt München bei Ad. Berg 1588) beklagt sich wörtlich über „die hochschmächlichen zu Bern ge¬ haltenen und gedruckten Comedicn, zu geschweige» auch anderer in cwern Stätten gehaltenen spilen, Comedien, vnverschambtcn erdichten Reden vnd Predigen, so man bei euch vff der Cantzlen thut dergestalt, das auch die kleinen Kind vffge- wiescn werdend. vnsre Priester vnd Ordcnslcut an offnen freyen Strassen vff der Gassen vnd ob den Häusern zu verspotten vnd zu beschrcycn." So sah sich die Tagsatzung genöthigt, schon im 16. Jahrhundert die Büchercensnr auch auf Lieder und Schauspiele auszudehnen. Den kirchlichen Spielen dagegen lei¬ stete man allen möglichen Vorschub. Ein paar Beispiele hierüber theilt Hidbcr mit in seinen Gesammelten Historischen Aufsätzen. (Bern, 1864.) Der römische Legat zu Luzern verlieh 1597 der Schauspielergescllschaft daselbst sammt deren Musikanten und zukünftigen Zuschauern auf volle sieben Jahre Süudenablaß. Diese Gesellschaft bildete damals eine besondere kirchliche Bruderschaft, welche nicht blos gegen Juden und Ketzer, sondern auch ganz erstaunlich gegen Hunger und Durst ankämpfte. Bei ihrer Vorstellung des Sündenfalles im Jahr 1583 aß sie um 196 Fi. 33 Schilling und vertrank 222 Fi/ 32 Schilling, jene weiteren 140 Maß Elsäßerwein nicht mit gerechnet, weiche Schultheiß und Rath beim bloßen Zuschauen consumirten. Die Stadtschüler hatten in diesem Schau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/229>, abgerufen am 28.09.2024.