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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Der "Zweig" endigt mit einer kleinen Sandbär?. Man sieht hier weit
am Gestade hin, links in die Brandung der Nordsee, rechts in die gleichfalls
mächtig bewegte, mit jener kämpfende Ostsee. Deutlich bemerkt man, daß jene
die stärkere ist; denn eine kräftige Strömung dringt von Westen herüber und
treibt, die Wasser des Kattegat zurückdrängend und zur Seite wälzend, nach
den Welten hinab. Der Strand ist allenthalben mit Resten gestrandeter Fahr¬
zeuge bedeckt. Draußen ankern Fischhändler aus Schweden und Kopenhagen
mit ihren kleinen Schiffen. Fischer von Skagen sind beschäftigt, die seitwärts
von der Bank ausgeworfenen Netze von den Butten, Dorschen und Katlfischen
zu entleeren, die sich in ihnen gefangen haben. Wolken von Vögeln schweben
kreischend über ihnen. Ein scharfer Wind spült uns die Gewässer der Nordsee
über die Füße, denen bald darauf die reagirende Fluth des Ostseebeckens folgt.
Weiter draußen nichts als Meeresbläue, die mit dem Himmel verschwimmt
und deren im Vergleich mit der Brandung am User weniger heftige und gleich¬
mäßigere Bewegung wie das Athemholen eines ungeheuren Körpers erscheint.

Wir kehren zurück, um noch einen Besuch in Altskagen abzustatten. Ueber
magere Kornfelder und dürftige Weiden, durch Sand und abermals Sand kom¬
men wir. nachdem wir Oster- und Westerby wieder passirt. an einem ärmlichen
Gehöft vorbei, welches früher ein Herrengut war. vor der Sandfluth aber,
welche der Wind hierher trieb, zu seiner jetzigen Kleinheit zusammenschrumpfte.
Dann folgt die Stelle mit Schilf und Binsen, wo einst der Hofsee war. End¬
lich sind wir in den Dünen und an den zerrissenen Lehm- und Torfhängen,
wo früher Skagen lag. Hier und da steht noch ein bewohntes Haus mit ei¬
nem Stückchen Feld oder Garten zwischen den Sandbergen. Die Mehrzahl
der Wohnungen aber ist abgebrochen, und nur Dünenhafer, Möven und, wie
die alten Leute wissen, gespenstische Sandmännchen, Verwandte der Unter¬
irdischen in Nordschleswig und Südjütland, Hausen noch in der Einöde.

Und nun gehen wir zu der verschütteten Kirche, diesem nordischen Seiten¬
stück zu den vom Winde der afrikanischen Wüste verwehten Tempeln am Nil.
Noch gibt es Leute, die in ihr gebetet haben und die uns erzählen können,
wie es kam, daß sie verlassen werden mußte. Schon lange hatte der Sturm
an ihrer Verschüttung gearbeitet, aber immer hatte man ihm sein Werk wieder
zerstört, sich wenigstens einen Weg durch die Flugsandschichten bis zur Thür
gegraben. Aber zuletzt mußte man den Kampf aufgeben. Der Sand lagerte
sich wie eine ungeheure Schneewehe um die Mauer des Kirchhofs, drang dann
allmählig über diese in den umfriedigten Raum ein. bedeckte die Gräber, ver¬
schüttete die Grabsteine und schichtete sich zuletzt an den Wänden und Fenstern
der Kirche selbst empor. Schon sprachen Manche, verdrießlich darüber, sich alle
Sonntage den Weg zur Predigt mit der Schaufel bahnen zu müssen, vom Auf¬
geben der Kirche, aber die Mehrzahl wollte davon nichts hören, bis man end-


Der „Zweig" endigt mit einer kleinen Sandbär?. Man sieht hier weit
am Gestade hin, links in die Brandung der Nordsee, rechts in die gleichfalls
mächtig bewegte, mit jener kämpfende Ostsee. Deutlich bemerkt man, daß jene
die stärkere ist; denn eine kräftige Strömung dringt von Westen herüber und
treibt, die Wasser des Kattegat zurückdrängend und zur Seite wälzend, nach
den Welten hinab. Der Strand ist allenthalben mit Resten gestrandeter Fahr¬
zeuge bedeckt. Draußen ankern Fischhändler aus Schweden und Kopenhagen
mit ihren kleinen Schiffen. Fischer von Skagen sind beschäftigt, die seitwärts
von der Bank ausgeworfenen Netze von den Butten, Dorschen und Katlfischen
zu entleeren, die sich in ihnen gefangen haben. Wolken von Vögeln schweben
kreischend über ihnen. Ein scharfer Wind spült uns die Gewässer der Nordsee
über die Füße, denen bald darauf die reagirende Fluth des Ostseebeckens folgt.
Weiter draußen nichts als Meeresbläue, die mit dem Himmel verschwimmt
und deren im Vergleich mit der Brandung am User weniger heftige und gleich¬
mäßigere Bewegung wie das Athemholen eines ungeheuren Körpers erscheint.

Wir kehren zurück, um noch einen Besuch in Altskagen abzustatten. Ueber
magere Kornfelder und dürftige Weiden, durch Sand und abermals Sand kom¬
men wir. nachdem wir Oster- und Westerby wieder passirt. an einem ärmlichen
Gehöft vorbei, welches früher ein Herrengut war. vor der Sandfluth aber,
welche der Wind hierher trieb, zu seiner jetzigen Kleinheit zusammenschrumpfte.
Dann folgt die Stelle mit Schilf und Binsen, wo einst der Hofsee war. End¬
lich sind wir in den Dünen und an den zerrissenen Lehm- und Torfhängen,
wo früher Skagen lag. Hier und da steht noch ein bewohntes Haus mit ei¬
nem Stückchen Feld oder Garten zwischen den Sandbergen. Die Mehrzahl
der Wohnungen aber ist abgebrochen, und nur Dünenhafer, Möven und, wie
die alten Leute wissen, gespenstische Sandmännchen, Verwandte der Unter¬
irdischen in Nordschleswig und Südjütland, Hausen noch in der Einöde.

Und nun gehen wir zu der verschütteten Kirche, diesem nordischen Seiten¬
stück zu den vom Winde der afrikanischen Wüste verwehten Tempeln am Nil.
Noch gibt es Leute, die in ihr gebetet haben und die uns erzählen können,
wie es kam, daß sie verlassen werden mußte. Schon lange hatte der Sturm
an ihrer Verschüttung gearbeitet, aber immer hatte man ihm sein Werk wieder
zerstört, sich wenigstens einen Weg durch die Flugsandschichten bis zur Thür
gegraben. Aber zuletzt mußte man den Kampf aufgeben. Der Sand lagerte
sich wie eine ungeheure Schneewehe um die Mauer des Kirchhofs, drang dann
allmählig über diese in den umfriedigten Raum ein. bedeckte die Gräber, ver¬
schüttete die Grabsteine und schichtete sich zuletzt an den Wänden und Fenstern
der Kirche selbst empor. Schon sprachen Manche, verdrießlich darüber, sich alle
Sonntage den Weg zur Predigt mit der Schaufel bahnen zu müssen, vom Auf¬
geben der Kirche, aber die Mehrzahl wollte davon nichts hören, bis man end-


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[0186] Der „Zweig" endigt mit einer kleinen Sandbär?. Man sieht hier weit am Gestade hin, links in die Brandung der Nordsee, rechts in die gleichfalls mächtig bewegte, mit jener kämpfende Ostsee. Deutlich bemerkt man, daß jene die stärkere ist; denn eine kräftige Strömung dringt von Westen herüber und treibt, die Wasser des Kattegat zurückdrängend und zur Seite wälzend, nach den Welten hinab. Der Strand ist allenthalben mit Resten gestrandeter Fahr¬ zeuge bedeckt. Draußen ankern Fischhändler aus Schweden und Kopenhagen mit ihren kleinen Schiffen. Fischer von Skagen sind beschäftigt, die seitwärts von der Bank ausgeworfenen Netze von den Butten, Dorschen und Katlfischen zu entleeren, die sich in ihnen gefangen haben. Wolken von Vögeln schweben kreischend über ihnen. Ein scharfer Wind spült uns die Gewässer der Nordsee über die Füße, denen bald darauf die reagirende Fluth des Ostseebeckens folgt. Weiter draußen nichts als Meeresbläue, die mit dem Himmel verschwimmt und deren im Vergleich mit der Brandung am User weniger heftige und gleich¬ mäßigere Bewegung wie das Athemholen eines ungeheuren Körpers erscheint. Wir kehren zurück, um noch einen Besuch in Altskagen abzustatten. Ueber magere Kornfelder und dürftige Weiden, durch Sand und abermals Sand kom¬ men wir. nachdem wir Oster- und Westerby wieder passirt. an einem ärmlichen Gehöft vorbei, welches früher ein Herrengut war. vor der Sandfluth aber, welche der Wind hierher trieb, zu seiner jetzigen Kleinheit zusammenschrumpfte. Dann folgt die Stelle mit Schilf und Binsen, wo einst der Hofsee war. End¬ lich sind wir in den Dünen und an den zerrissenen Lehm- und Torfhängen, wo früher Skagen lag. Hier und da steht noch ein bewohntes Haus mit ei¬ nem Stückchen Feld oder Garten zwischen den Sandbergen. Die Mehrzahl der Wohnungen aber ist abgebrochen, und nur Dünenhafer, Möven und, wie die alten Leute wissen, gespenstische Sandmännchen, Verwandte der Unter¬ irdischen in Nordschleswig und Südjütland, Hausen noch in der Einöde. Und nun gehen wir zu der verschütteten Kirche, diesem nordischen Seiten¬ stück zu den vom Winde der afrikanischen Wüste verwehten Tempeln am Nil. Noch gibt es Leute, die in ihr gebetet haben und die uns erzählen können, wie es kam, daß sie verlassen werden mußte. Schon lange hatte der Sturm an ihrer Verschüttung gearbeitet, aber immer hatte man ihm sein Werk wieder zerstört, sich wenigstens einen Weg durch die Flugsandschichten bis zur Thür gegraben. Aber zuletzt mußte man den Kampf aufgeben. Der Sand lagerte sich wie eine ungeheure Schneewehe um die Mauer des Kirchhofs, drang dann allmählig über diese in den umfriedigten Raum ein. bedeckte die Gräber, ver¬ schüttete die Grabsteine und schichtete sich zuletzt an den Wänden und Fenstern der Kirche selbst empor. Schon sprachen Manche, verdrießlich darüber, sich alle Sonntage den Weg zur Predigt mit der Schaufel bahnen zu müssen, vom Auf¬ geben der Kirche, aber die Mehrzahl wollte davon nichts hören, bis man end-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/186>, abgerufen am 28.09.2024.