Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.lassen, aller fremden Herren und Pensionen müßig zu gehen, während sie allen lassen, aller fremden Herren und Pensionen müßig zu gehen, während sie allen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189236"/> <p xml:id="ID_445" prev="#ID_444"> lassen, aller fremden Herren und Pensionen müßig zu gehen, während sie allen<lb/> Herren und Kassen der Fremde zuliefen. Sie, deren Ahnen schon der bloße<lb/> Hut eines fremden Vogtes in Aufruhr gesetzt hatte, trugen nun den Federhut<lb/> aller Fürsten, prunkten in allen Soldatenlivröen des Auslandes und wußten<lb/> ihre eignen Landsleute in dasselbe fremde Röcklein zu stecken. Es war damals<lb/> eine selbstbewußte freche Heuchelei unter diesen urner Oligarchen, ähnlich wie<lb/> heute die urner Lotterie eine solche ist, die zum Vortheil von ein paar Familien<lb/> das Publicum ausbeutet und dabei vorgiebt, „zur Unterstützung der Landes¬<lb/> armee" zu bestehen. Es >ist seit 1618 in den Waldstätten alles Hazardspiel,<lb/> außer das Spiel um Kastanien und Nüsse, bei scharfer Buße verboten. Gleichwohl<lb/> führen die Muheime, wirkliche oder bloße Namensvettern dessen, der das<lb/> Tellenlied überarbeitete, dort seit 1825 das Lotteriegeschäft, daß der Verlust,<lb/> den das spielende Publicum jährlich dadurch erleidet, über eine halbe Million<lb/> Francs berechnet wird. So besagt es das Gutachten, welches hierüber Landam-<lb/> mann Elim aus Unterwalden der Gemeinnützigen Gesellschaft der Schweiz 1862<lb/> zu Samen vorgelegt hat, und einstimmend äußerte hierbei ein Eidgenosse aus<lb/> den Ländern: Es sei in Uri minder gefährlich, gegen die päpstliche Religion<lb/> oder gegen die Wahrhaftigkeit der Tellengeschichte zu reden, als die muheimische<lb/> Lotterie anzufechten. (Aargauer Nachrichten 9. Oct. 1862.) Wie heute die<lb/> öffentliche Empfindung nicht säumig ist, ein allgemeines Uebel in seiner Wurzel<lb/> aufzuspüren und zu vertilgen, so verstand auch das sechzehnte Jahrhundert,<lb/> lügenhaft gewordene Verhältnisse und angemaßte Privilegien zu entdecken und<lb/> an dem Sonnenschein der öffentlichen Discussion wie blindes Gewürm hin¬<lb/> sterben zu lassen. So reagirte damals die Stadt Bern antipapistisch, und das<lb/> Ergebniß waren dort die mehrfachen Reformationsschauspiele von Nikolaus<lb/> Manuel, welche von der Bürgerschaft in der Kreuzgasse abgespielt wurden.<lb/> Eine ähnliche volkstümliche Reaction politischer Art folgte zu Zürich auf die<lb/> vorausgegangene religiöse; sie bemächtigte sich des Tellcnspieles und formte es<lb/> in ein politisches Tendenzstück um, in welchem die damaligen Machthaber der<lb/> Urcantone nicht als die echten Nachkommen Teils, sondern als die Pensionirer<lb/> und Soldirer aller monarchischen Fremdherrn wahrheitsgemäß dargestellt wurden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0141]
lassen, aller fremden Herren und Pensionen müßig zu gehen, während sie allen
Herren und Kassen der Fremde zuliefen. Sie, deren Ahnen schon der bloße
Hut eines fremden Vogtes in Aufruhr gesetzt hatte, trugen nun den Federhut
aller Fürsten, prunkten in allen Soldatenlivröen des Auslandes und wußten
ihre eignen Landsleute in dasselbe fremde Röcklein zu stecken. Es war damals
eine selbstbewußte freche Heuchelei unter diesen urner Oligarchen, ähnlich wie
heute die urner Lotterie eine solche ist, die zum Vortheil von ein paar Familien
das Publicum ausbeutet und dabei vorgiebt, „zur Unterstützung der Landes¬
armee" zu bestehen. Es >ist seit 1618 in den Waldstätten alles Hazardspiel,
außer das Spiel um Kastanien und Nüsse, bei scharfer Buße verboten. Gleichwohl
führen die Muheime, wirkliche oder bloße Namensvettern dessen, der das
Tellenlied überarbeitete, dort seit 1825 das Lotteriegeschäft, daß der Verlust,
den das spielende Publicum jährlich dadurch erleidet, über eine halbe Million
Francs berechnet wird. So besagt es das Gutachten, welches hierüber Landam-
mann Elim aus Unterwalden der Gemeinnützigen Gesellschaft der Schweiz 1862
zu Samen vorgelegt hat, und einstimmend äußerte hierbei ein Eidgenosse aus
den Ländern: Es sei in Uri minder gefährlich, gegen die päpstliche Religion
oder gegen die Wahrhaftigkeit der Tellengeschichte zu reden, als die muheimische
Lotterie anzufechten. (Aargauer Nachrichten 9. Oct. 1862.) Wie heute die
öffentliche Empfindung nicht säumig ist, ein allgemeines Uebel in seiner Wurzel
aufzuspüren und zu vertilgen, so verstand auch das sechzehnte Jahrhundert,
lügenhaft gewordene Verhältnisse und angemaßte Privilegien zu entdecken und
an dem Sonnenschein der öffentlichen Discussion wie blindes Gewürm hin¬
sterben zu lassen. So reagirte damals die Stadt Bern antipapistisch, und das
Ergebniß waren dort die mehrfachen Reformationsschauspiele von Nikolaus
Manuel, welche von der Bürgerschaft in der Kreuzgasse abgespielt wurden.
Eine ähnliche volkstümliche Reaction politischer Art folgte zu Zürich auf die
vorausgegangene religiöse; sie bemächtigte sich des Tellcnspieles und formte es
in ein politisches Tendenzstück um, in welchem die damaligen Machthaber der
Urcantone nicht als die echten Nachkommen Teils, sondern als die Pensionirer
und Soldirer aller monarchischen Fremdherrn wahrheitsgemäß dargestellt wurden.
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