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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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getrieben wird. Der Staatskalender der berner Regenten leitet nun diese Ge¬
ringfügigkeit mit folgenden Wachtmcistergedanken ein:

"Es ist gewiß, daß unsre Nation nicht nur eine der berühmtesten in der
Welt, sondern auch so zu reden, eine der nützlichsten Mitgliedern unter allen
europäischen Nationen ist. Wie oft hat sie durch ihren Beistand ganze König¬
reiche vom augenscheinlichen Untergang errettet!"

Wozu nun aber dieser kriegsgeschichtliche Excurs in einer Arbeit, welche sich
die Entstehung und Fortbildung der Schauspiele von Wilhelm Tell zur Aufgabe
gesetzt hat? Die Antwort hierauf lautet: Ohne einen Ueberblick gewonnen zu
haben über die militärischen und politischen Parteiungen der Schweiz des fünf¬
zehnten und sechzehnten Jahrhunderts, bleibt das damals entstandene früheste
Schauspiel Wilhelm Tell sammt seinen gleichnamigen Nachfolgern späterer Zeit so
gut wie unbegreiflich. Das Verhältniß der republikanischen Schweiz gegenüber
dem monarchischen Ausland macht den politischen Inhalt aller Schauspiele über
Wilhelm Tell aus, und die verschiedenartigen Auffassungen, die über dieses Ver¬
hältniß in der Schweiz selbst herrschend werden, ergeben zugleich die ver¬
schiedenen dramatischen Redactionen und Bearbeitungen, die hier zu Land die
Tellengeschichte erlebt hat. Hat doch sogar Schillers Tell schließlich ebenfalls
kein anderes Ziel gefunden. Auch dort hängt ein Ulrich von Rudenz nicht
seiner Heimath, sondern dem östreichischen Adelsprunke an; auch er meint, mit
seinem Blute Oestreichs Kriege zu zahlen, sei das Ruhmvolle. Allein ganz im
Sinne schweizerischer Reformatoren und Patrioten erwidert ihm daraus (im
zweiten Aufzug) sein Oheim Attinghaufen aus eingeborenen Adelssinne:


Nein, wenn wir unser Blut dran setzen wollen.
So sei's für uns; wohlfeiler kaufen wir
Die Freiheit als die Knechtschaft ein.

Dieses Wort Attinghausens war bereits im fünfzehnten Jahrhundert das
Schlagwort politisch weitsichtiger Männer gewesen; fremder Herren und fremder
Pensionen müßig gehen, war der Tagsatzungen Beschluß gewesen, und daher
schärft der Herold in jenem Tcllenspiele, das nach seinem Schauplatze zu Uri
unter dem Namen Urnerspiel vorhanden ist, es zum Schluß des Stückes den
Zuhörern besonders ein:


Wie Mink' und Gaben verblenden.

Daß alles dies gegen die Soldirer und Pensionirer unter fremden Fahnen,
gegen die sogenanten welschen "Kronenfresser" gerichtet gewesen ist, bedarf keines
Beweises. Am entschiedensten aber singt hierüber das Tellenlied selbst, aus
dessen Wortlaut sich das Tellenspicl erst aufgebaut hat. Hier eröffnet Tell
seinen Landsleuten folgende Zukunft:


getrieben wird. Der Staatskalender der berner Regenten leitet nun diese Ge¬
ringfügigkeit mit folgenden Wachtmcistergedanken ein:

„Es ist gewiß, daß unsre Nation nicht nur eine der berühmtesten in der
Welt, sondern auch so zu reden, eine der nützlichsten Mitgliedern unter allen
europäischen Nationen ist. Wie oft hat sie durch ihren Beistand ganze König¬
reiche vom augenscheinlichen Untergang errettet!"

Wozu nun aber dieser kriegsgeschichtliche Excurs in einer Arbeit, welche sich
die Entstehung und Fortbildung der Schauspiele von Wilhelm Tell zur Aufgabe
gesetzt hat? Die Antwort hierauf lautet: Ohne einen Ueberblick gewonnen zu
haben über die militärischen und politischen Parteiungen der Schweiz des fünf¬
zehnten und sechzehnten Jahrhunderts, bleibt das damals entstandene früheste
Schauspiel Wilhelm Tell sammt seinen gleichnamigen Nachfolgern späterer Zeit so
gut wie unbegreiflich. Das Verhältniß der republikanischen Schweiz gegenüber
dem monarchischen Ausland macht den politischen Inhalt aller Schauspiele über
Wilhelm Tell aus, und die verschiedenartigen Auffassungen, die über dieses Ver¬
hältniß in der Schweiz selbst herrschend werden, ergeben zugleich die ver¬
schiedenen dramatischen Redactionen und Bearbeitungen, die hier zu Land die
Tellengeschichte erlebt hat. Hat doch sogar Schillers Tell schließlich ebenfalls
kein anderes Ziel gefunden. Auch dort hängt ein Ulrich von Rudenz nicht
seiner Heimath, sondern dem östreichischen Adelsprunke an; auch er meint, mit
seinem Blute Oestreichs Kriege zu zahlen, sei das Ruhmvolle. Allein ganz im
Sinne schweizerischer Reformatoren und Patrioten erwidert ihm daraus (im
zweiten Aufzug) sein Oheim Attinghaufen aus eingeborenen Adelssinne:


Nein, wenn wir unser Blut dran setzen wollen.
So sei's für uns; wohlfeiler kaufen wir
Die Freiheit als die Knechtschaft ein.

Dieses Wort Attinghausens war bereits im fünfzehnten Jahrhundert das
Schlagwort politisch weitsichtiger Männer gewesen; fremder Herren und fremder
Pensionen müßig gehen, war der Tagsatzungen Beschluß gewesen, und daher
schärft der Herold in jenem Tcllenspiele, das nach seinem Schauplatze zu Uri
unter dem Namen Urnerspiel vorhanden ist, es zum Schluß des Stückes den
Zuhörern besonders ein:


Wie Mink' und Gaben verblenden.

Daß alles dies gegen die Soldirer und Pensionirer unter fremden Fahnen,
gegen die sogenanten welschen „Kronenfresser" gerichtet gewesen ist, bedarf keines
Beweises. Am entschiedensten aber singt hierüber das Tellenlied selbst, aus
dessen Wortlaut sich das Tellenspicl erst aufgebaut hat. Hier eröffnet Tell
seinen Landsleuten folgende Zukunft:


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[0135] getrieben wird. Der Staatskalender der berner Regenten leitet nun diese Ge¬ ringfügigkeit mit folgenden Wachtmcistergedanken ein: „Es ist gewiß, daß unsre Nation nicht nur eine der berühmtesten in der Welt, sondern auch so zu reden, eine der nützlichsten Mitgliedern unter allen europäischen Nationen ist. Wie oft hat sie durch ihren Beistand ganze König¬ reiche vom augenscheinlichen Untergang errettet!" Wozu nun aber dieser kriegsgeschichtliche Excurs in einer Arbeit, welche sich die Entstehung und Fortbildung der Schauspiele von Wilhelm Tell zur Aufgabe gesetzt hat? Die Antwort hierauf lautet: Ohne einen Ueberblick gewonnen zu haben über die militärischen und politischen Parteiungen der Schweiz des fünf¬ zehnten und sechzehnten Jahrhunderts, bleibt das damals entstandene früheste Schauspiel Wilhelm Tell sammt seinen gleichnamigen Nachfolgern späterer Zeit so gut wie unbegreiflich. Das Verhältniß der republikanischen Schweiz gegenüber dem monarchischen Ausland macht den politischen Inhalt aller Schauspiele über Wilhelm Tell aus, und die verschiedenartigen Auffassungen, die über dieses Ver¬ hältniß in der Schweiz selbst herrschend werden, ergeben zugleich die ver¬ schiedenen dramatischen Redactionen und Bearbeitungen, die hier zu Land die Tellengeschichte erlebt hat. Hat doch sogar Schillers Tell schließlich ebenfalls kein anderes Ziel gefunden. Auch dort hängt ein Ulrich von Rudenz nicht seiner Heimath, sondern dem östreichischen Adelsprunke an; auch er meint, mit seinem Blute Oestreichs Kriege zu zahlen, sei das Ruhmvolle. Allein ganz im Sinne schweizerischer Reformatoren und Patrioten erwidert ihm daraus (im zweiten Aufzug) sein Oheim Attinghaufen aus eingeborenen Adelssinne: Nein, wenn wir unser Blut dran setzen wollen. So sei's für uns; wohlfeiler kaufen wir Die Freiheit als die Knechtschaft ein. Dieses Wort Attinghausens war bereits im fünfzehnten Jahrhundert das Schlagwort politisch weitsichtiger Männer gewesen; fremder Herren und fremder Pensionen müßig gehen, war der Tagsatzungen Beschluß gewesen, und daher schärft der Herold in jenem Tcllenspiele, das nach seinem Schauplatze zu Uri unter dem Namen Urnerspiel vorhanden ist, es zum Schluß des Stückes den Zuhörern besonders ein: Wie Mink' und Gaben verblenden. Daß alles dies gegen die Soldirer und Pensionirer unter fremden Fahnen, gegen die sogenanten welschen „Kronenfresser" gerichtet gewesen ist, bedarf keines Beweises. Am entschiedensten aber singt hierüber das Tellenlied selbst, aus dessen Wortlaut sich das Tellenspicl erst aufgebaut hat. Hier eröffnet Tell seinen Landsleuten folgende Zukunft:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/135>, abgerufen am 28.09.2024.