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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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wo die einheimischen Kaufleute ihr Wesen treiben. Zwei bis drei Fuß hoch
über dem Fußboden unterbrechen Löcher die Maucrfläche, wohl sechs Fuß lang,
vier Fuß hoch und vielleicht drei Fuß tief. Sie sind durch eine Klappe gegen
die Straße verschließbar, und wenn aus dieser nicht schon das Himmelslicht
ausgesperrt ist, durch kleine hervorspringende Rohrdächer gegen die Sonne ge¬
schützt. Es sind dies die Läden, in denen der Inhaber mit gekreuzten Beinen
und fortwährend an dem langen Pfeifenrohr saugend, mitten unter seinen
Waaren sitzt, in schweigsamer Würde ruhig wartend, bis ein Käufer sich findet.
Die maurischen Kaufleute unterschieden sich übrigens sehr vortheilhaft von den
jüdischen. Während diese so unverschämt forderten, und ebenso unverschämt
herabließen, daß es zuletzt Regel wurde, nur die Hälfte des Geforderten zu
bieten, wobei der Käufer sich noch oft arg geprellt sah, kannten die Mauren
das Abdingen gar nicht. "Nimm etwas Anderes," sagten sie einfach, "wenn
dir dieses zu theuer ist."

Sämmtliche Straßen sind ungepflastert, doch war in den Hauptstraßen
wenigstens, deren Reinigung die Spanier nach ihrem Einzuge in die Hand ge-
nommen hatten, der Unrath in die Winkel gekehrt. In den entlegeneren Stadt¬
theilen lagen überall Steine. Scherben und Lumpen, todte Katzen und todte
Hunde herum. Dagegen waren die lebenden Hunde, die Plage aller moha-
medanischen Städte, aus der Ringmauer verschwunden. Das Wegräumen der
todten Thiere aus den Straßen und einige wohlgezielte Schüsse der Spanier
hatten die halbwilden Rudel in die Niederung am Flusse, wo vor der Ein¬
nahme von Tetuan das Lager stand, verjagt, und dort stritt sich die widerliche
Gesellschaft mit den Geiern um die halbverscharrten Aeser von Maulthieren,
Pferden und Kameelen, die dem Krieg in großer Anzahl zum Opfer gefallen
waren.

Einen einzigen größeren Platz besitzt Tetuan, den Zol. Er ist von ganz
unregelmäßiger Gestalt, über 2000 Fuß lang und von sehr verschiedener Breite,
uneben und ungepflastert wie die ganze Stadt; aber Luft und Sonne haben
Zutritt zu ihm, so daß er einen viel freundlicheren und anziehenderer Anblick
gewährt, als die finsteren Straßen, zumal da-auch den ganzen Tag ein reges
Treiben auf ihm herrscht.

An den Zol grenzt das Judcnviertel, das nur den einen von diesem Platze
aus hineinführenden Eingang hat. Es unterscheidet sich von der ganzen übrigen
Stadt durch seine geradlinigen Straßen, die sich von Norden nach Süden und
von Osten nach Westen kreuzen. Im klebrigen sind sie ebenso eng und eben¬
so schmutzig, wie die Straßen der maurischen Stadt, und sehr schwer ist es,
sich in ihnen zurecht zu finden. Wie in die Judenstadt vom Zol aus nur ein
einziges Thor führt, so haben auch die beiden Hälften von der großen, durch
die ganze Länge des Viertels laufenden Hauptstraße aus nur je einen Zugang.


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wo die einheimischen Kaufleute ihr Wesen treiben. Zwei bis drei Fuß hoch
über dem Fußboden unterbrechen Löcher die Maucrfläche, wohl sechs Fuß lang,
vier Fuß hoch und vielleicht drei Fuß tief. Sie sind durch eine Klappe gegen
die Straße verschließbar, und wenn aus dieser nicht schon das Himmelslicht
ausgesperrt ist, durch kleine hervorspringende Rohrdächer gegen die Sonne ge¬
schützt. Es sind dies die Läden, in denen der Inhaber mit gekreuzten Beinen
und fortwährend an dem langen Pfeifenrohr saugend, mitten unter seinen
Waaren sitzt, in schweigsamer Würde ruhig wartend, bis ein Käufer sich findet.
Die maurischen Kaufleute unterschieden sich übrigens sehr vortheilhaft von den
jüdischen. Während diese so unverschämt forderten, und ebenso unverschämt
herabließen, daß es zuletzt Regel wurde, nur die Hälfte des Geforderten zu
bieten, wobei der Käufer sich noch oft arg geprellt sah, kannten die Mauren
das Abdingen gar nicht. „Nimm etwas Anderes," sagten sie einfach, „wenn
dir dieses zu theuer ist."

Sämmtliche Straßen sind ungepflastert, doch war in den Hauptstraßen
wenigstens, deren Reinigung die Spanier nach ihrem Einzuge in die Hand ge-
nommen hatten, der Unrath in die Winkel gekehrt. In den entlegeneren Stadt¬
theilen lagen überall Steine. Scherben und Lumpen, todte Katzen und todte
Hunde herum. Dagegen waren die lebenden Hunde, die Plage aller moha-
medanischen Städte, aus der Ringmauer verschwunden. Das Wegräumen der
todten Thiere aus den Straßen und einige wohlgezielte Schüsse der Spanier
hatten die halbwilden Rudel in die Niederung am Flusse, wo vor der Ein¬
nahme von Tetuan das Lager stand, verjagt, und dort stritt sich die widerliche
Gesellschaft mit den Geiern um die halbverscharrten Aeser von Maulthieren,
Pferden und Kameelen, die dem Krieg in großer Anzahl zum Opfer gefallen
waren.

Einen einzigen größeren Platz besitzt Tetuan, den Zol. Er ist von ganz
unregelmäßiger Gestalt, über 2000 Fuß lang und von sehr verschiedener Breite,
uneben und ungepflastert wie die ganze Stadt; aber Luft und Sonne haben
Zutritt zu ihm, so daß er einen viel freundlicheren und anziehenderer Anblick
gewährt, als die finsteren Straßen, zumal da-auch den ganzen Tag ein reges
Treiben auf ihm herrscht.

An den Zol grenzt das Judcnviertel, das nur den einen von diesem Platze
aus hineinführenden Eingang hat. Es unterscheidet sich von der ganzen übrigen
Stadt durch seine geradlinigen Straßen, die sich von Norden nach Süden und
von Osten nach Westen kreuzen. Im klebrigen sind sie ebenso eng und eben¬
so schmutzig, wie die Straßen der maurischen Stadt, und sehr schwer ist es,
sich in ihnen zurecht zu finden. Wie in die Judenstadt vom Zol aus nur ein
einziges Thor führt, so haben auch die beiden Hälften von der großen, durch
die ganze Länge des Viertels laufenden Hauptstraße aus nur je einen Zugang.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/115>, abgerufen am 28.09.2024.