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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Die Audienz der Gesandten bei O'Donnell dauerte nicht lange, da er keine
Vollmacht hatte wegen des Friedens zu verhandeln, und erst nach Madrid be¬
richten mußte. Es wurde daher eine zweite Zusammenkunft angesetzt und die
Mauren entfernten sich, wie sie gekommen waren.

Die preußischen Offiziere konnten diese gezwungene Pause bis zum Tage
der Entscheidung nicht besser anwenden, als zur Besichtigung des bisherigen
Kriegsschauplatzes in der nächsten Umgebung des Lagers. Vor allem zog sie
Tetuan an, das von ihren Zelten aus einen herrlichen Anblick darbot. Fünf¬
hundert Schritt vor ihnen, nur durch eine Einsenkung von dem diesseitigen
Bergrücken getrennt, erhob sich die heilige Stadt der Marokkaner auf steil nach
dem Flusse Uad-Al-Chelu abfallender Felswand, fleckenlos weiß, von schlanken
Minarets verschiedenster Höhe überragt, umringt von einer hohen, ebenfalls
weißen Mauer, die mit Schießscharten versehen und von vielen Thürmen flan-
kirt ist, während über dem Ganzen das feste Schloß, die.Kassaba thront. Malerisch
hebt sich die Stadt aus dem üppigen Grün der Gärten, die ihre nächste Um¬
gebung bilden, hervor. Orangen, Citronen, Feigen, Mandeln und baumhohe
Cactus, selbst jetzt noch im letzten Wintermvnat grün und zum Theil Blätter
und Blüthen treibend, bilden die vorherrschenden Gewächse dieser Gärten, die
durch Hecken von Myrthen, Lorbeer und Oleander und anderen immergrünen
Gesträuchen von einander getrennt sind. Rechts und links von dieser Garten¬
landschaft, deren Mittelpunkt die weiße Stadt bildet, steigt ganz steil, kahl und
unzugänglich die Gebirgskette der Sierra Bermeja empor.

Das Innere Tetuans entsprach nun freilich dem malerischen Aeußeren nicht.
Einige Schuld daran trugen die vorhergegangenen kriegerischen Ereignisse. Nach¬
dem die Schlacht vom 31. Januar verloren worden, stürzte sich ein Theil der
fliehenden Kabylen in die Stadt und fiel dort, als die Spanier nicht nachrückten,
während der Nacht plündernd über das Judenviertel her. Den ersten Horden
folgten am nächsten Tage neue nach, die zuletzt auch die maurischen Stadttheile
nicht verschonten. Zweimal vierundzwanzig Stunden lang wurde die Stadt
von Mord, Brand und Plünderung heimgesucht, und als die Spanier endlich
einrückten, bot sich ihren Augen das traurigste Schauspiel dar. Im Juden¬
viertel waren alle Thüren eingeschlagen, die Kaufbuden zertrümmert, die Straßen
bedeckt mit zerbrochenen Hausrath und zerrissenen oder in Staub und Koth
getretenen Stoffen. Die maurischen Stadttheile waren wie ausgestorben; denn
wer von den maurischen Einwohnern nicht entflohen war, hatte sich wenigstens
in sein Haus eingeschlossen. Leichen von Menschen und Thieren lagen vielfach
umher, und Trupps heulender halbwilder Hunde zogen durch die Straßen,
überall nach ekelhaftem Fraß suchend, während Tausende von Juden, Männer,
Weiber und Kinder in Lumpen gehüllt und halb nackt, mit Wimmern und
Schreien die Spanier umringten und über die erlittene Plünderung jammerten,


Grenzboten III. 18K4. 14

Die Audienz der Gesandten bei O'Donnell dauerte nicht lange, da er keine
Vollmacht hatte wegen des Friedens zu verhandeln, und erst nach Madrid be¬
richten mußte. Es wurde daher eine zweite Zusammenkunft angesetzt und die
Mauren entfernten sich, wie sie gekommen waren.

Die preußischen Offiziere konnten diese gezwungene Pause bis zum Tage
der Entscheidung nicht besser anwenden, als zur Besichtigung des bisherigen
Kriegsschauplatzes in der nächsten Umgebung des Lagers. Vor allem zog sie
Tetuan an, das von ihren Zelten aus einen herrlichen Anblick darbot. Fünf¬
hundert Schritt vor ihnen, nur durch eine Einsenkung von dem diesseitigen
Bergrücken getrennt, erhob sich die heilige Stadt der Marokkaner auf steil nach
dem Flusse Uad-Al-Chelu abfallender Felswand, fleckenlos weiß, von schlanken
Minarets verschiedenster Höhe überragt, umringt von einer hohen, ebenfalls
weißen Mauer, die mit Schießscharten versehen und von vielen Thürmen flan-
kirt ist, während über dem Ganzen das feste Schloß, die.Kassaba thront. Malerisch
hebt sich die Stadt aus dem üppigen Grün der Gärten, die ihre nächste Um¬
gebung bilden, hervor. Orangen, Citronen, Feigen, Mandeln und baumhohe
Cactus, selbst jetzt noch im letzten Wintermvnat grün und zum Theil Blätter
und Blüthen treibend, bilden die vorherrschenden Gewächse dieser Gärten, die
durch Hecken von Myrthen, Lorbeer und Oleander und anderen immergrünen
Gesträuchen von einander getrennt sind. Rechts und links von dieser Garten¬
landschaft, deren Mittelpunkt die weiße Stadt bildet, steigt ganz steil, kahl und
unzugänglich die Gebirgskette der Sierra Bermeja empor.

Das Innere Tetuans entsprach nun freilich dem malerischen Aeußeren nicht.
Einige Schuld daran trugen die vorhergegangenen kriegerischen Ereignisse. Nach¬
dem die Schlacht vom 31. Januar verloren worden, stürzte sich ein Theil der
fliehenden Kabylen in die Stadt und fiel dort, als die Spanier nicht nachrückten,
während der Nacht plündernd über das Judenviertel her. Den ersten Horden
folgten am nächsten Tage neue nach, die zuletzt auch die maurischen Stadttheile
nicht verschonten. Zweimal vierundzwanzig Stunden lang wurde die Stadt
von Mord, Brand und Plünderung heimgesucht, und als die Spanier endlich
einrückten, bot sich ihren Augen das traurigste Schauspiel dar. Im Juden¬
viertel waren alle Thüren eingeschlagen, die Kaufbuden zertrümmert, die Straßen
bedeckt mit zerbrochenen Hausrath und zerrissenen oder in Staub und Koth
getretenen Stoffen. Die maurischen Stadttheile waren wie ausgestorben; denn
wer von den maurischen Einwohnern nicht entflohen war, hatte sich wenigstens
in sein Haus eingeschlossen. Leichen von Menschen und Thieren lagen vielfach
umher, und Trupps heulender halbwilder Hunde zogen durch die Straßen,
überall nach ekelhaftem Fraß suchend, während Tausende von Juden, Männer,
Weiber und Kinder in Lumpen gehüllt und halb nackt, mit Wimmern und
Schreien die Spanier umringten und über die erlittene Plünderung jammerten,


Grenzboten III. 18K4. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/113>, abgerufen am 28.09.2024.