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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Kanal strömen, daß sein im Entstehen begriffnes Eisenbahnnetz und Kanalsystem,
welches in nicht allzulanger Zeit einen großen Theil des Handels zwischen
Europa und Asien vermitteln muß, sich an der Ostsee concentriren und nach
dieser Richtung die innersten Landestheile dem Weltmarkt eröffnen wird?"

Dies ist keine Uebertreibung. Das Wasserstraßennetz des russischen Reiches
kann zunächst durch die vermittelst eines nur zehn Meilen langen Kanals zu
bewirkende Vereinigung des Dinestr mit der Weichsel ergänzt und so die Ostsee
mit dein schwarzen Meere verbunden werden. Bewerkstelligt aber später Ru߬
land noch die Verbindung des letzteren mit dem kaspischen und die des kas-
pischen mit dem Aralsee, so erhält es im südöstlichen Theile seines ausgedehnten
Gebiets ein Kanalsystem, dessen handelspolitische Bedeutung kaum hoch genug
anzuschlagen ist.

Und so hat der Verfasser sich in Betreff unsres Gegenstandes keinen über¬
schwenglichen Phantasien hingegeben, wenn er meint, daß der Handelsverkehr
von Nord- und Mittelrußland mit den atlantischen Gestaden und den wichtigsten
Küstenländern Amerikas künftig vorwiegend über die Ostsee und durch den pro-
jectirten Kanal gehen und daß dieser letztere in höherem Grade als der ägyp¬
tische ein weltverbindender werden wird.

An den Ufern des Kanals werden schon von seiner Eröffnung an Massen
von Erzeugnissen Rußlands lagern, da die Häfen dieses Reichs fünf Monate
des Jahres durch Eis verschlossen sind. Aber auch die fremden Producte, deren
die Bevölkerung desselben bedarf, müssen aus demselben Grunde daselbst aufge¬
stapelt werden. Man wird also in den Speichern am Kanal nicht allein die
Erzeugnisse des Nordens mit Einschluß Schwedens und Dänemarks finden,
nicht blos Rußlands Getreide, Flachs, Talg u. s. w., Schwedens Eisen und
Holz, Dänemarks Stall- und Feldprvducte, sondern auch den Zucker und Tabak
Westindiens, das Palmöl, die kostbaren Hölzer und die Drvguen Afrikas, das
Welschkorn, das Bergöl und die Baumwolle Amerikas, Chinas Thee, Bra¬
siliens Kaffee, Perus Guano, Frankreichs Weine und Mvdewaaren, Italiens
Oel und Schwefel, kurz alle Producte der Welt, die im Osten und Norden
Europas gebraucht werden, ohne daselbst zu wachsen.

Diese Lagerung von Gütern aus allen Himmelsstrichen, die Entnahme von
allerlei Schiffsbedürfnissen, Proviant, Wasser u. s. w., der Durchgang so vieler
Fahrzeuge, die mit der Zeit den in die Themse und den Mersey einlaufenden
an Zahl kaum nachstehen würden, selbst die häufigen durch Havarie nöthig
werdenden Ausbesserungen der von Süden, Westen und Osten kommenden
Schiffe, welche wegen des leichten Zugangs zu den Seitenbassins und wegen
der verhältnißmäßig wohlfeilen Herstellung der letzteren nirgends so zweckmäßig
und mit so geringen Kosten auszuführen sein würden -- alles das muß die Ufer
des norddeutschen Kanals in nicht vielen Jahren zu einem Weltmarkt im aus-


Kanal strömen, daß sein im Entstehen begriffnes Eisenbahnnetz und Kanalsystem,
welches in nicht allzulanger Zeit einen großen Theil des Handels zwischen
Europa und Asien vermitteln muß, sich an der Ostsee concentriren und nach
dieser Richtung die innersten Landestheile dem Weltmarkt eröffnen wird?"

Dies ist keine Uebertreibung. Das Wasserstraßennetz des russischen Reiches
kann zunächst durch die vermittelst eines nur zehn Meilen langen Kanals zu
bewirkende Vereinigung des Dinestr mit der Weichsel ergänzt und so die Ostsee
mit dein schwarzen Meere verbunden werden. Bewerkstelligt aber später Ru߬
land noch die Verbindung des letzteren mit dem kaspischen und die des kas-
pischen mit dem Aralsee, so erhält es im südöstlichen Theile seines ausgedehnten
Gebiets ein Kanalsystem, dessen handelspolitische Bedeutung kaum hoch genug
anzuschlagen ist.

Und so hat der Verfasser sich in Betreff unsres Gegenstandes keinen über¬
schwenglichen Phantasien hingegeben, wenn er meint, daß der Handelsverkehr
von Nord- und Mittelrußland mit den atlantischen Gestaden und den wichtigsten
Küstenländern Amerikas künftig vorwiegend über die Ostsee und durch den pro-
jectirten Kanal gehen und daß dieser letztere in höherem Grade als der ägyp¬
tische ein weltverbindender werden wird.

An den Ufern des Kanals werden schon von seiner Eröffnung an Massen
von Erzeugnissen Rußlands lagern, da die Häfen dieses Reichs fünf Monate
des Jahres durch Eis verschlossen sind. Aber auch die fremden Producte, deren
die Bevölkerung desselben bedarf, müssen aus demselben Grunde daselbst aufge¬
stapelt werden. Man wird also in den Speichern am Kanal nicht allein die
Erzeugnisse des Nordens mit Einschluß Schwedens und Dänemarks finden,
nicht blos Rußlands Getreide, Flachs, Talg u. s. w., Schwedens Eisen und
Holz, Dänemarks Stall- und Feldprvducte, sondern auch den Zucker und Tabak
Westindiens, das Palmöl, die kostbaren Hölzer und die Drvguen Afrikas, das
Welschkorn, das Bergöl und die Baumwolle Amerikas, Chinas Thee, Bra¬
siliens Kaffee, Perus Guano, Frankreichs Weine und Mvdewaaren, Italiens
Oel und Schwefel, kurz alle Producte der Welt, die im Osten und Norden
Europas gebraucht werden, ohne daselbst zu wachsen.

Diese Lagerung von Gütern aus allen Himmelsstrichen, die Entnahme von
allerlei Schiffsbedürfnissen, Proviant, Wasser u. s. w., der Durchgang so vieler
Fahrzeuge, die mit der Zeit den in die Themse und den Mersey einlaufenden
an Zahl kaum nachstehen würden, selbst die häufigen durch Havarie nöthig
werdenden Ausbesserungen der von Süden, Westen und Osten kommenden
Schiffe, welche wegen des leichten Zugangs zu den Seitenbassins und wegen
der verhältnißmäßig wohlfeilen Herstellung der letzteren nirgends so zweckmäßig
und mit so geringen Kosten auszuführen sein würden — alles das muß die Ufer
des norddeutschen Kanals in nicht vielen Jahren zu einem Weltmarkt im aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/509>, abgerufen am 23.07.2024.