Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liehen Zügen noch ein andrer jüngerer Künstler, neben dem großen Kunstgcstirn
des Tages noch wenig genannt, Raffel, und studirte, mit der Kaltblütigkeit
des alten in Waffen ergrauten Soldaten im Kugelregen haltend, die künstlerische
Erscheinung des Kriegs an der ersten Quelle, um das Gesehene und skizzirte
dann auf kleinere Steinplatten lithographisch ausgeführt als anspruchslose flie¬
gende Blätter, Illustrationen zur Kriegsgeschichte der Gegenwart in aller Hände
gehn zu lassen. Kleine Bildchen freilich und nichts weniger als mit saubrer
Eleganz ausgeführt, aber wer die heut so selten und kostbar gewordenen zur
Hand nimmt (vor allem die zu den beiden Expeditionen gegen Konstantine)
wird sich von einem Schauer der furchtbar ernsten Wahrheit angeweht fühlen,
wie er nur von sehr Wenigen der vermischen Niesenbilder ausgeht, und er¬
griffen von einem darin niedergelegten Reichthum des tiefsten künstlerischen Wis¬
sens und reifsten Könnens, wie er es in vielen der gepnesensten Tafeln zeit¬
genössischer Meister vergebens suchen mag.

Seit diesen beiden Künstlern hat die Sitte, den Krieg im Kriege und
durch eigne Anschauung zu studiren, bei den Malern und Zeichnern eine bis
dahin nicht gekannte Verbreitung und Annahme gefunden. Sie ist bei Eng¬
ländern, Deutschen und Franzosen wesentlich durch die in jene Zeit, den An¬
fang der vierziger Jahre, fallende Begründung der großen illustrirten Journale,
bei der letztgenannten Nation noch durch die Existenz des versailler Museums
höchst gefördert und unterstützt worden. Die Photographie hat unsern Blick
verwöhnt, unsre Forderungen und Ansprüche an die Bilder wirklicher Ereignisse
gewandelt und gesteigert. Bei Schlachten und kriegerischen Scenen der Ver¬
gangenheit verstatten wir dem Künstler gern, ihr Bild freischöpferisch aus "der
Idee" zu gestalten. Wo es sich um die Kämpfe der Gegenwart handelt, ver¬
langt sein Publicum, daß er Augenzeuge gewesen, -- oder uns dies wenigstens
glauben mache. Denn auf letzteres reducirt sich doch der Anspruch. So sehen
Wir während der letzten zwanzig Jahre überall, wo nur auf der Erde Kanonen¬
donner erdröhnt und Menschenblut dem unsterblichen Ares zum Opfer fließt,
den "Specialartisten" erscheinen. Die großen Schlachten sind ihm keineswegs
die Hauptsache: er weiß sehr wohl, daß er im Handgemenge so wenig sehn
als zeichnen kann; sieht doch jeder Mitkämpfer, wenn es der Pulverdampf über¬
haupt gestattet, nichts als die zunächst vor ihm stehenden Gegne-r oder zunächst
umgebenden Kameraden. Diese großen Actionen besorgen die zu Hause Ge¬
bliebenen besser nach der bekannten Schablone, die nur nach den Uniformen
der gerade Mitwirkenden und nach dem wechselnden Terrain der Schlachtfelder
die nöthigen Modificationen erfährt. Aber die tausend interessanten, immer
malerisch reizenden Scenen der Märsche, des Lagers, der Feldwächter; Ein¬
quartierung. Fvuragirung, Schlachtfelder nach der Schlacht und, erwünschter
als alles, eine längere Belagerung: -- das ist sein Feld, da hält er seine


liehen Zügen noch ein andrer jüngerer Künstler, neben dem großen Kunstgcstirn
des Tages noch wenig genannt, Raffel, und studirte, mit der Kaltblütigkeit
des alten in Waffen ergrauten Soldaten im Kugelregen haltend, die künstlerische
Erscheinung des Kriegs an der ersten Quelle, um das Gesehene und skizzirte
dann auf kleinere Steinplatten lithographisch ausgeführt als anspruchslose flie¬
gende Blätter, Illustrationen zur Kriegsgeschichte der Gegenwart in aller Hände
gehn zu lassen. Kleine Bildchen freilich und nichts weniger als mit saubrer
Eleganz ausgeführt, aber wer die heut so selten und kostbar gewordenen zur
Hand nimmt (vor allem die zu den beiden Expeditionen gegen Konstantine)
wird sich von einem Schauer der furchtbar ernsten Wahrheit angeweht fühlen,
wie er nur von sehr Wenigen der vermischen Niesenbilder ausgeht, und er¬
griffen von einem darin niedergelegten Reichthum des tiefsten künstlerischen Wis¬
sens und reifsten Könnens, wie er es in vielen der gepnesensten Tafeln zeit¬
genössischer Meister vergebens suchen mag.

Seit diesen beiden Künstlern hat die Sitte, den Krieg im Kriege und
durch eigne Anschauung zu studiren, bei den Malern und Zeichnern eine bis
dahin nicht gekannte Verbreitung und Annahme gefunden. Sie ist bei Eng¬
ländern, Deutschen und Franzosen wesentlich durch die in jene Zeit, den An¬
fang der vierziger Jahre, fallende Begründung der großen illustrirten Journale,
bei der letztgenannten Nation noch durch die Existenz des versailler Museums
höchst gefördert und unterstützt worden. Die Photographie hat unsern Blick
verwöhnt, unsre Forderungen und Ansprüche an die Bilder wirklicher Ereignisse
gewandelt und gesteigert. Bei Schlachten und kriegerischen Scenen der Ver¬
gangenheit verstatten wir dem Künstler gern, ihr Bild freischöpferisch aus „der
Idee" zu gestalten. Wo es sich um die Kämpfe der Gegenwart handelt, ver¬
langt sein Publicum, daß er Augenzeuge gewesen, — oder uns dies wenigstens
glauben mache. Denn auf letzteres reducirt sich doch der Anspruch. So sehen
Wir während der letzten zwanzig Jahre überall, wo nur auf der Erde Kanonen¬
donner erdröhnt und Menschenblut dem unsterblichen Ares zum Opfer fließt,
den „Specialartisten" erscheinen. Die großen Schlachten sind ihm keineswegs
die Hauptsache: er weiß sehr wohl, daß er im Handgemenge so wenig sehn
als zeichnen kann; sieht doch jeder Mitkämpfer, wenn es der Pulverdampf über¬
haupt gestattet, nichts als die zunächst vor ihm stehenden Gegne-r oder zunächst
umgebenden Kameraden. Diese großen Actionen besorgen die zu Hause Ge¬
bliebenen besser nach der bekannten Schablone, die nur nach den Uniformen
der gerade Mitwirkenden und nach dem wechselnden Terrain der Schlachtfelder
die nöthigen Modificationen erfährt. Aber die tausend interessanten, immer
malerisch reizenden Scenen der Märsche, des Lagers, der Feldwächter; Ein¬
quartierung. Fvuragirung, Schlachtfelder nach der Schlacht und, erwünschter
als alles, eine längere Belagerung: — das ist sein Feld, da hält er seine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189062"/>
          <p xml:id="ID_1702" prev="#ID_1701"> liehen Zügen noch ein andrer jüngerer Künstler, neben dem großen Kunstgcstirn<lb/>
des Tages noch wenig genannt, Raffel, und studirte, mit der Kaltblütigkeit<lb/>
des alten in Waffen ergrauten Soldaten im Kugelregen haltend, die künstlerische<lb/>
Erscheinung des Kriegs an der ersten Quelle, um das Gesehene und skizzirte<lb/>
dann auf kleinere Steinplatten lithographisch ausgeführt als anspruchslose flie¬<lb/>
gende Blätter, Illustrationen zur Kriegsgeschichte der Gegenwart in aller Hände<lb/>
gehn zu lassen. Kleine Bildchen freilich und nichts weniger als mit saubrer<lb/>
Eleganz ausgeführt, aber wer die heut so selten und kostbar gewordenen zur<lb/>
Hand nimmt (vor allem die zu den beiden Expeditionen gegen Konstantine)<lb/>
wird sich von einem Schauer der furchtbar ernsten Wahrheit angeweht fühlen,<lb/>
wie er nur von sehr Wenigen der vermischen Niesenbilder ausgeht, und er¬<lb/>
griffen von einem darin niedergelegten Reichthum des tiefsten künstlerischen Wis¬<lb/>
sens und reifsten Könnens, wie er es in vielen der gepnesensten Tafeln zeit¬<lb/>
genössischer Meister vergebens suchen mag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1703" next="#ID_1704"> Seit diesen beiden Künstlern hat die Sitte, den Krieg im Kriege und<lb/>
durch eigne Anschauung zu studiren, bei den Malern und Zeichnern eine bis<lb/>
dahin nicht gekannte Verbreitung und Annahme gefunden. Sie ist bei Eng¬<lb/>
ländern, Deutschen und Franzosen wesentlich durch die in jene Zeit, den An¬<lb/>
fang der vierziger Jahre, fallende Begründung der großen illustrirten Journale,<lb/>
bei der letztgenannten Nation noch durch die Existenz des versailler Museums<lb/>
höchst gefördert und unterstützt worden. Die Photographie hat unsern Blick<lb/>
verwöhnt, unsre Forderungen und Ansprüche an die Bilder wirklicher Ereignisse<lb/>
gewandelt und gesteigert. Bei Schlachten und kriegerischen Scenen der Ver¬<lb/>
gangenheit verstatten wir dem Künstler gern, ihr Bild freischöpferisch aus &#x201E;der<lb/>
Idee" zu gestalten. Wo es sich um die Kämpfe der Gegenwart handelt, ver¬<lb/>
langt sein Publicum, daß er Augenzeuge gewesen, &#x2014; oder uns dies wenigstens<lb/>
glauben mache. Denn auf letzteres reducirt sich doch der Anspruch. So sehen<lb/>
Wir während der letzten zwanzig Jahre überall, wo nur auf der Erde Kanonen¬<lb/>
donner erdröhnt und Menschenblut dem unsterblichen Ares zum Opfer fließt,<lb/>
den &#x201E;Specialartisten" erscheinen. Die großen Schlachten sind ihm keineswegs<lb/>
die Hauptsache: er weiß sehr wohl, daß er im Handgemenge so wenig sehn<lb/>
als zeichnen kann; sieht doch jeder Mitkämpfer, wenn es der Pulverdampf über¬<lb/>
haupt gestattet, nichts als die zunächst vor ihm stehenden Gegne-r oder zunächst<lb/>
umgebenden Kameraden. Diese großen Actionen besorgen die zu Hause Ge¬<lb/>
bliebenen besser nach der bekannten Schablone, die nur nach den Uniformen<lb/>
der gerade Mitwirkenden und nach dem wechselnden Terrain der Schlachtfelder<lb/>
die nöthigen Modificationen erfährt. Aber die tausend interessanten, immer<lb/>
malerisch reizenden Scenen der Märsche, des Lagers, der Feldwächter; Ein¬<lb/>
quartierung. Fvuragirung, Schlachtfelder nach der Schlacht und, erwünschter<lb/>
als alles, eine längere Belagerung: &#x2014; das ist sein Feld, da hält er seine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] liehen Zügen noch ein andrer jüngerer Künstler, neben dem großen Kunstgcstirn des Tages noch wenig genannt, Raffel, und studirte, mit der Kaltblütigkeit des alten in Waffen ergrauten Soldaten im Kugelregen haltend, die künstlerische Erscheinung des Kriegs an der ersten Quelle, um das Gesehene und skizzirte dann auf kleinere Steinplatten lithographisch ausgeführt als anspruchslose flie¬ gende Blätter, Illustrationen zur Kriegsgeschichte der Gegenwart in aller Hände gehn zu lassen. Kleine Bildchen freilich und nichts weniger als mit saubrer Eleganz ausgeführt, aber wer die heut so selten und kostbar gewordenen zur Hand nimmt (vor allem die zu den beiden Expeditionen gegen Konstantine) wird sich von einem Schauer der furchtbar ernsten Wahrheit angeweht fühlen, wie er nur von sehr Wenigen der vermischen Niesenbilder ausgeht, und er¬ griffen von einem darin niedergelegten Reichthum des tiefsten künstlerischen Wis¬ sens und reifsten Könnens, wie er es in vielen der gepnesensten Tafeln zeit¬ genössischer Meister vergebens suchen mag. Seit diesen beiden Künstlern hat die Sitte, den Krieg im Kriege und durch eigne Anschauung zu studiren, bei den Malern und Zeichnern eine bis dahin nicht gekannte Verbreitung und Annahme gefunden. Sie ist bei Eng¬ ländern, Deutschen und Franzosen wesentlich durch die in jene Zeit, den An¬ fang der vierziger Jahre, fallende Begründung der großen illustrirten Journale, bei der letztgenannten Nation noch durch die Existenz des versailler Museums höchst gefördert und unterstützt worden. Die Photographie hat unsern Blick verwöhnt, unsre Forderungen und Ansprüche an die Bilder wirklicher Ereignisse gewandelt und gesteigert. Bei Schlachten und kriegerischen Scenen der Ver¬ gangenheit verstatten wir dem Künstler gern, ihr Bild freischöpferisch aus „der Idee" zu gestalten. Wo es sich um die Kämpfe der Gegenwart handelt, ver¬ langt sein Publicum, daß er Augenzeuge gewesen, — oder uns dies wenigstens glauben mache. Denn auf letzteres reducirt sich doch der Anspruch. So sehen Wir während der letzten zwanzig Jahre überall, wo nur auf der Erde Kanonen¬ donner erdröhnt und Menschenblut dem unsterblichen Ares zum Opfer fließt, den „Specialartisten" erscheinen. Die großen Schlachten sind ihm keineswegs die Hauptsache: er weiß sehr wohl, daß er im Handgemenge so wenig sehn als zeichnen kann; sieht doch jeder Mitkämpfer, wenn es der Pulverdampf über¬ haupt gestattet, nichts als die zunächst vor ihm stehenden Gegne-r oder zunächst umgebenden Kameraden. Diese großen Actionen besorgen die zu Hause Ge¬ bliebenen besser nach der bekannten Schablone, die nur nach den Uniformen der gerade Mitwirkenden und nach dem wechselnden Terrain der Schlachtfelder die nöthigen Modificationen erfährt. Aber die tausend interessanten, immer malerisch reizenden Scenen der Märsche, des Lagers, der Feldwächter; Ein¬ quartierung. Fvuragirung, Schlachtfelder nach der Schlacht und, erwünschter als alles, eine längere Belagerung: — das ist sein Feld, da hält er seine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/501>, abgerufen am 23.07.2024.