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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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gewisse einschränkende Bestimmungen beigefügt: dieselbe darf nur nach sorg¬
fältiger Erwägung ihrer Zweckmäßigkeit in dem einzelnen Falle, unter Berück¬
sichtigung des Alters, der körperlichen Beschaffenheit, der äußeren Verhältnisse
und der sonstigen Persönlichkeit des Schuldigen erkannt und sie darf nicht voll¬
streckt werden, wenn sie mit Gefahr für die Gesundheit des zu Bestrafenden
verbunden sein könnte; sie ist auch nicht öffentlich, serner nichl auf den ent¬
blößten Körper oder auf das bloße Hemd zu vollziehen. Die dazu benutzten
"Röhrchen" dürfen nicht über IV4 Elle lang und nicht stärker als ^/^ Zoll im
Durchmesser sein. Das hier angegebene Maß der "Röhrchen" ward, da es
nach Ansicht der Minister nicht in allen Fällen dem beabsichtigten Zwecke ge-
nügte, durch die Verordnung vom 27, Jan, 1853 auf IV2 Elle Länge und
V2 Zoll Durchmesser erhöht.

Diese näheren Begrenzungen hat die Verordnung vom 2. April im Auge,
wenn sie unter den Strafen wegen Dienstvergehen die körperliche Züchtigung
mit dem beschränkenden Satze: "soweit dieselbe nach den Verordnungen vom
29. Jan. 1852 und 27. Jan. 1853 statthaft ist" aufführt. Danach darf also
der Gutsherr z. B. nicht einen Kranken prügeln lassen, zur Vollstreckung nicht
"Röhrchen" anwenden, die zwei Ellen lang sind oder einen Zoll im Durch¬
messer halten u. s. w. Auf diese Bestimmungen bezieht sich der beschränkende
Satz, und die ministerielle Denkschrift befindet sich im augenfälligen Irrthum,
wenn sie behauptet, daß es nicht die Absicht des Gesetzes sei, die körperliche
Züchtigung auf Dienstvergehen in Anwendung zu bringen, und daß durch jenen
Satz dieselbe auf die "wenigen" Fälle habe beschränkt bleiben sollen, in welchen
sie schon ohnehin als Strafmittel gesetzlich zulässig war. Auf jene "wenigen"
Fälle, deren Register wir oben mitgetheilt haben!

In einer anderen Beziehung freilich kommen diese "wenigen" Fälle hier
noch sehr stark in Betracht. Wenn der Gutsherr Dienstvergehen selbst polizei¬
lich untersuchen und bestrafen darf, so erhält er damit auch nach der Verord'
mung vom 29. Jan. 1852 das Recht, die Strafe der körperlichen Züchtigung
während der Untersuchung und im Gefängniß zu verhängen. Er kann, wenn
er bei dem von ihm angestellten polizeilichen Verhör den Inculpaten wieder¬
holt auf Lüge" ertappt zu haben glaubt, auf 15 Hiebe, und wenn er einen
Angeschuldigten in Untersuchungshaft hält oder ihn zur Strafhaft gebracht hat.
"zur Aufrechthaltung der Disciplin im Gefängnisse" sogar auf 50 Hiebe gegen
ihn erkennen, und diese Executionen auch wiederholen, so lange die Unter¬
suchung oder die Haft dauert. Ein snspensives Rechtsmittel gegen die aus
diesen Gründen decretirten Hiebe giebt es nicht.

Diese ungezählten Streiche, welche für den Inculpaten bei dem Polizei-
richterlichen Verfahren des Gutsherrn gegen ihn noch nebenher gesetzlich ab¬
falle" können, hat die ministerielle Denkschrift keiner Erwähnung gewürdigt,


gewisse einschränkende Bestimmungen beigefügt: dieselbe darf nur nach sorg¬
fältiger Erwägung ihrer Zweckmäßigkeit in dem einzelnen Falle, unter Berück¬
sichtigung des Alters, der körperlichen Beschaffenheit, der äußeren Verhältnisse
und der sonstigen Persönlichkeit des Schuldigen erkannt und sie darf nicht voll¬
streckt werden, wenn sie mit Gefahr für die Gesundheit des zu Bestrafenden
verbunden sein könnte; sie ist auch nicht öffentlich, serner nichl auf den ent¬
blößten Körper oder auf das bloße Hemd zu vollziehen. Die dazu benutzten
„Röhrchen" dürfen nicht über IV4 Elle lang und nicht stärker als ^/^ Zoll im
Durchmesser sein. Das hier angegebene Maß der „Röhrchen" ward, da es
nach Ansicht der Minister nicht in allen Fällen dem beabsichtigten Zwecke ge-
nügte, durch die Verordnung vom 27, Jan, 1853 auf IV2 Elle Länge und
V2 Zoll Durchmesser erhöht.

Diese näheren Begrenzungen hat die Verordnung vom 2. April im Auge,
wenn sie unter den Strafen wegen Dienstvergehen die körperliche Züchtigung
mit dem beschränkenden Satze: „soweit dieselbe nach den Verordnungen vom
29. Jan. 1852 und 27. Jan. 1853 statthaft ist" aufführt. Danach darf also
der Gutsherr z. B. nicht einen Kranken prügeln lassen, zur Vollstreckung nicht
„Röhrchen" anwenden, die zwei Ellen lang sind oder einen Zoll im Durch¬
messer halten u. s. w. Auf diese Bestimmungen bezieht sich der beschränkende
Satz, und die ministerielle Denkschrift befindet sich im augenfälligen Irrthum,
wenn sie behauptet, daß es nicht die Absicht des Gesetzes sei, die körperliche
Züchtigung auf Dienstvergehen in Anwendung zu bringen, und daß durch jenen
Satz dieselbe auf die „wenigen" Fälle habe beschränkt bleiben sollen, in welchen
sie schon ohnehin als Strafmittel gesetzlich zulässig war. Auf jene „wenigen"
Fälle, deren Register wir oben mitgetheilt haben!

In einer anderen Beziehung freilich kommen diese „wenigen" Fälle hier
noch sehr stark in Betracht. Wenn der Gutsherr Dienstvergehen selbst polizei¬
lich untersuchen und bestrafen darf, so erhält er damit auch nach der Verord'
mung vom 29. Jan. 1852 das Recht, die Strafe der körperlichen Züchtigung
während der Untersuchung und im Gefängniß zu verhängen. Er kann, wenn
er bei dem von ihm angestellten polizeilichen Verhör den Inculpaten wieder¬
holt auf Lüge» ertappt zu haben glaubt, auf 15 Hiebe, und wenn er einen
Angeschuldigten in Untersuchungshaft hält oder ihn zur Strafhaft gebracht hat.
„zur Aufrechthaltung der Disciplin im Gefängnisse" sogar auf 50 Hiebe gegen
ihn erkennen, und diese Executionen auch wiederholen, so lange die Unter¬
suchung oder die Haft dauert. Ein snspensives Rechtsmittel gegen die aus
diesen Gründen decretirten Hiebe giebt es nicht.

Diese ungezählten Streiche, welche für den Inculpaten bei dem Polizei-
richterlichen Verfahren des Gutsherrn gegen ihn noch nebenher gesetzlich ab¬
falle» können, hat die ministerielle Denkschrift keiner Erwähnung gewürdigt,


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[0462] gewisse einschränkende Bestimmungen beigefügt: dieselbe darf nur nach sorg¬ fältiger Erwägung ihrer Zweckmäßigkeit in dem einzelnen Falle, unter Berück¬ sichtigung des Alters, der körperlichen Beschaffenheit, der äußeren Verhältnisse und der sonstigen Persönlichkeit des Schuldigen erkannt und sie darf nicht voll¬ streckt werden, wenn sie mit Gefahr für die Gesundheit des zu Bestrafenden verbunden sein könnte; sie ist auch nicht öffentlich, serner nichl auf den ent¬ blößten Körper oder auf das bloße Hemd zu vollziehen. Die dazu benutzten „Röhrchen" dürfen nicht über IV4 Elle lang und nicht stärker als ^/^ Zoll im Durchmesser sein. Das hier angegebene Maß der „Röhrchen" ward, da es nach Ansicht der Minister nicht in allen Fällen dem beabsichtigten Zwecke ge- nügte, durch die Verordnung vom 27, Jan, 1853 auf IV2 Elle Länge und V2 Zoll Durchmesser erhöht. Diese näheren Begrenzungen hat die Verordnung vom 2. April im Auge, wenn sie unter den Strafen wegen Dienstvergehen die körperliche Züchtigung mit dem beschränkenden Satze: „soweit dieselbe nach den Verordnungen vom 29. Jan. 1852 und 27. Jan. 1853 statthaft ist" aufführt. Danach darf also der Gutsherr z. B. nicht einen Kranken prügeln lassen, zur Vollstreckung nicht „Röhrchen" anwenden, die zwei Ellen lang sind oder einen Zoll im Durch¬ messer halten u. s. w. Auf diese Bestimmungen bezieht sich der beschränkende Satz, und die ministerielle Denkschrift befindet sich im augenfälligen Irrthum, wenn sie behauptet, daß es nicht die Absicht des Gesetzes sei, die körperliche Züchtigung auf Dienstvergehen in Anwendung zu bringen, und daß durch jenen Satz dieselbe auf die „wenigen" Fälle habe beschränkt bleiben sollen, in welchen sie schon ohnehin als Strafmittel gesetzlich zulässig war. Auf jene „wenigen" Fälle, deren Register wir oben mitgetheilt haben! In einer anderen Beziehung freilich kommen diese „wenigen" Fälle hier noch sehr stark in Betracht. Wenn der Gutsherr Dienstvergehen selbst polizei¬ lich untersuchen und bestrafen darf, so erhält er damit auch nach der Verord' mung vom 29. Jan. 1852 das Recht, die Strafe der körperlichen Züchtigung während der Untersuchung und im Gefängniß zu verhängen. Er kann, wenn er bei dem von ihm angestellten polizeilichen Verhör den Inculpaten wieder¬ holt auf Lüge» ertappt zu haben glaubt, auf 15 Hiebe, und wenn er einen Angeschuldigten in Untersuchungshaft hält oder ihn zur Strafhaft gebracht hat. „zur Aufrechthaltung der Disciplin im Gefängnisse" sogar auf 50 Hiebe gegen ihn erkennen, und diese Executionen auch wiederholen, so lange die Unter¬ suchung oder die Haft dauert. Ein snspensives Rechtsmittel gegen die aus diesen Gründen decretirten Hiebe giebt es nicht. Diese ungezählten Streiche, welche für den Inculpaten bei dem Polizei- richterlichen Verfahren des Gutsherrn gegen ihn noch nebenher gesetzlich ab¬ falle» können, hat die ministerielle Denkschrift keiner Erwähnung gewürdigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/462>, abgerufen am 23.07.2024.