Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Auslegung der ministeriellen Denkschrift, nach welcher die im Gesetz
vorgesehene Strafe der körperlichen Züchtigung sich nicht auf "eigentliche"
Dienstvergehen, sondern auf anderweitige im Dienste begangene Vergeben be¬
ziehen soll, ist aber auch vollkommen unbegründet. Die officiösen Artikel des
..Norddeutschen Correspondenten" selbst gehen von der entgegengesetzten Auf¬
fassung aus, indem sie die Strafe der körperlichen Züchtigung, ebenso wie die
damit in Parallele gestellten Strafen, in Uebereinstimmung mit dem Comitc-
bericht des Landtags, auf Dienstvergehen beziehen; sie suchen die Sacke auf an-
derm Wege zu mildern, indem sie die körperliche Züchtigung als eine nur
eventuelle, erst nach fruchtloser Anwendung der sonstigen Strafmittel zur An¬
wendung kommende Strafe darstellen, welches letztere freilich ebenfalls in dem
Gesetze keine" Grund bat. sondern willkürlich in dasselbe hineingetragen wird.
Um die Unrichtigkeit der ministeriellen Auslegung zu erkennen, genügt es, sich
den Wortlaut des Gesetzes zu vergegenwärtigen. "Die Ortsobrigkcit ist nicht
befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere Strafe
als eine Geldstrafe von fünf Thalern, oder eine Gefängnißstrafe von einer
Woche, oder .... fünfundzwanzig Streiche .... polizeilich zu erkennen."
Nur dadurch, das, die Denkschrift bei ihrer Reproduktion des Satzes die ent¬
scheidenden Worte "wegen der bezeichneten Dienstvergehen", sowie das "oder"
ausläßt, kann sie sich überhaupt erst die Möglichkeit für ihre Deutung bahnen.

Der wahre Sinn der beschränkenden Bestimmung ergiebt sich leicht aus
einem näheren Eingehen in den Inhalt der beiden Verordnungen, welche die
Befugnis; der körperlichen Züchtigung, die der §. 2 den Gutsherrn ermächtigt
als Strafe von Dienstvergehen zu erkennen, limitiren sollen.

Nachdem auf Antrag der Kammer der Abgeordneten die Strafe der kör¬
perlichen Züchtigung durch ein specielles Gesetz vom 11. Jan. 1849 ganz allge¬
mein aufgehoben war, erklärte auf dem Landtage von 1851 das Ministerium,
welches im Jahre 1850 die Aufgabe erwählt hatte, die feudale Landesver¬
fassung wiederherzustellen, daß ein "Bedürfniß" vorliege, auch die körperliche
Züchtigung theilweise wieder ins Leben zu rufen. Mit Zustimmung der wie¬
derhergestellten Ritter- und Landschaft erschien am 29. Jan. 1852 eine Verord¬
nung, welche jene Strafe für folgende Fälle wieder einführte: 1) zur Aufrecht-
Haltung der Disciplin in Gefängnissen u. s. w.. 2) zur Ahndung von Lügen
und Winkelzügen in gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter ge¬
wissen näher angegebenen Voraussetzungen, 3) zur Bestrafung des gewerb-
mäßigen Bettelns. der mit Unfug oder öffentlichem Aergernisse verbundenen
Trunkenheit, der Böllern und Liederlichkeit, der Unzucht und unzüchtiger Hand¬
lungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener, sowie der thätlichen
Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forstfrevel, des Betrugs
und der Fälschung. Für die Anwendung und Vollstreckung der Strafe wurden


Die Auslegung der ministeriellen Denkschrift, nach welcher die im Gesetz
vorgesehene Strafe der körperlichen Züchtigung sich nicht auf „eigentliche"
Dienstvergehen, sondern auf anderweitige im Dienste begangene Vergeben be¬
ziehen soll, ist aber auch vollkommen unbegründet. Die officiösen Artikel des
..Norddeutschen Correspondenten" selbst gehen von der entgegengesetzten Auf¬
fassung aus, indem sie die Strafe der körperlichen Züchtigung, ebenso wie die
damit in Parallele gestellten Strafen, in Uebereinstimmung mit dem Comitc-
bericht des Landtags, auf Dienstvergehen beziehen; sie suchen die Sacke auf an-
derm Wege zu mildern, indem sie die körperliche Züchtigung als eine nur
eventuelle, erst nach fruchtloser Anwendung der sonstigen Strafmittel zur An¬
wendung kommende Strafe darstellen, welches letztere freilich ebenfalls in dem
Gesetze keine» Grund bat. sondern willkürlich in dasselbe hineingetragen wird.
Um die Unrichtigkeit der ministeriellen Auslegung zu erkennen, genügt es, sich
den Wortlaut des Gesetzes zu vergegenwärtigen. „Die Ortsobrigkcit ist nicht
befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere Strafe
als eine Geldstrafe von fünf Thalern, oder eine Gefängnißstrafe von einer
Woche, oder .... fünfundzwanzig Streiche .... polizeilich zu erkennen."
Nur dadurch, das, die Denkschrift bei ihrer Reproduktion des Satzes die ent¬
scheidenden Worte „wegen der bezeichneten Dienstvergehen", sowie das „oder"
ausläßt, kann sie sich überhaupt erst die Möglichkeit für ihre Deutung bahnen.

Der wahre Sinn der beschränkenden Bestimmung ergiebt sich leicht aus
einem näheren Eingehen in den Inhalt der beiden Verordnungen, welche die
Befugnis; der körperlichen Züchtigung, die der §. 2 den Gutsherrn ermächtigt
als Strafe von Dienstvergehen zu erkennen, limitiren sollen.

Nachdem auf Antrag der Kammer der Abgeordneten die Strafe der kör¬
perlichen Züchtigung durch ein specielles Gesetz vom 11. Jan. 1849 ganz allge¬
mein aufgehoben war, erklärte auf dem Landtage von 1851 das Ministerium,
welches im Jahre 1850 die Aufgabe erwählt hatte, die feudale Landesver¬
fassung wiederherzustellen, daß ein „Bedürfniß" vorliege, auch die körperliche
Züchtigung theilweise wieder ins Leben zu rufen. Mit Zustimmung der wie¬
derhergestellten Ritter- und Landschaft erschien am 29. Jan. 1852 eine Verord¬
nung, welche jene Strafe für folgende Fälle wieder einführte: 1) zur Aufrecht-
Haltung der Disciplin in Gefängnissen u. s. w.. 2) zur Ahndung von Lügen
und Winkelzügen in gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter ge¬
wissen näher angegebenen Voraussetzungen, 3) zur Bestrafung des gewerb-
mäßigen Bettelns. der mit Unfug oder öffentlichem Aergernisse verbundenen
Trunkenheit, der Böllern und Liederlichkeit, der Unzucht und unzüchtiger Hand¬
lungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener, sowie der thätlichen
Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forstfrevel, des Betrugs
und der Fälschung. Für die Anwendung und Vollstreckung der Strafe wurden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189022"/>
          <p xml:id="ID_1558"> Die Auslegung der ministeriellen Denkschrift, nach welcher die im Gesetz<lb/>
vorgesehene Strafe der körperlichen Züchtigung sich nicht auf &#x201E;eigentliche"<lb/>
Dienstvergehen, sondern auf anderweitige im Dienste begangene Vergeben be¬<lb/>
ziehen soll, ist aber auch vollkommen unbegründet. Die officiösen Artikel des<lb/>
..Norddeutschen Correspondenten" selbst gehen von der entgegengesetzten Auf¬<lb/>
fassung aus, indem sie die Strafe der körperlichen Züchtigung, ebenso wie die<lb/>
damit in Parallele gestellten Strafen, in Uebereinstimmung mit dem Comitc-<lb/>
bericht des Landtags, auf Dienstvergehen beziehen; sie suchen die Sacke auf an-<lb/>
derm Wege zu mildern, indem sie die körperliche Züchtigung als eine nur<lb/>
eventuelle, erst nach fruchtloser Anwendung der sonstigen Strafmittel zur An¬<lb/>
wendung kommende Strafe darstellen, welches letztere freilich ebenfalls in dem<lb/>
Gesetze keine» Grund bat. sondern willkürlich in dasselbe hineingetragen wird.<lb/>
Um die Unrichtigkeit der ministeriellen Auslegung zu erkennen, genügt es, sich<lb/>
den Wortlaut des Gesetzes zu vergegenwärtigen. &#x201E;Die Ortsobrigkcit ist nicht<lb/>
befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere Strafe<lb/>
als eine Geldstrafe von fünf Thalern, oder eine Gefängnißstrafe von einer<lb/>
Woche, oder .... fünfundzwanzig Streiche .... polizeilich zu erkennen."<lb/>
Nur dadurch, das, die Denkschrift bei ihrer Reproduktion des Satzes die ent¬<lb/>
scheidenden Worte &#x201E;wegen der bezeichneten Dienstvergehen", sowie das &#x201E;oder"<lb/>
ausläßt, kann sie sich überhaupt erst die Möglichkeit für ihre Deutung bahnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1559"> Der wahre Sinn der beschränkenden Bestimmung ergiebt sich leicht aus<lb/>
einem näheren Eingehen in den Inhalt der beiden Verordnungen, welche die<lb/>
Befugnis; der körperlichen Züchtigung, die der §. 2 den Gutsherrn ermächtigt<lb/>
als Strafe von Dienstvergehen zu erkennen, limitiren sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1560" next="#ID_1561"> Nachdem auf Antrag der Kammer der Abgeordneten die Strafe der kör¬<lb/>
perlichen Züchtigung durch ein specielles Gesetz vom 11. Jan. 1849 ganz allge¬<lb/>
mein aufgehoben war, erklärte auf dem Landtage von 1851 das Ministerium,<lb/>
welches im Jahre 1850 die Aufgabe erwählt hatte, die feudale Landesver¬<lb/>
fassung wiederherzustellen, daß ein &#x201E;Bedürfniß" vorliege, auch die körperliche<lb/>
Züchtigung theilweise wieder ins Leben zu rufen. Mit Zustimmung der wie¬<lb/>
derhergestellten Ritter- und Landschaft erschien am 29. Jan. 1852 eine Verord¬<lb/>
nung, welche jene Strafe für folgende Fälle wieder einführte: 1) zur Aufrecht-<lb/>
Haltung der Disciplin in Gefängnissen u. s. w.. 2) zur Ahndung von Lügen<lb/>
und Winkelzügen in gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter ge¬<lb/>
wissen näher angegebenen Voraussetzungen, 3) zur Bestrafung des gewerb-<lb/>
mäßigen Bettelns. der mit Unfug oder öffentlichem Aergernisse verbundenen<lb/>
Trunkenheit, der Böllern und Liederlichkeit, der Unzucht und unzüchtiger Hand¬<lb/>
lungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener, sowie der thätlichen<lb/>
Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forstfrevel, des Betrugs<lb/>
und der Fälschung. Für die Anwendung und Vollstreckung der Strafe wurden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] Die Auslegung der ministeriellen Denkschrift, nach welcher die im Gesetz vorgesehene Strafe der körperlichen Züchtigung sich nicht auf „eigentliche" Dienstvergehen, sondern auf anderweitige im Dienste begangene Vergeben be¬ ziehen soll, ist aber auch vollkommen unbegründet. Die officiösen Artikel des ..Norddeutschen Correspondenten" selbst gehen von der entgegengesetzten Auf¬ fassung aus, indem sie die Strafe der körperlichen Züchtigung, ebenso wie die damit in Parallele gestellten Strafen, in Uebereinstimmung mit dem Comitc- bericht des Landtags, auf Dienstvergehen beziehen; sie suchen die Sacke auf an- derm Wege zu mildern, indem sie die körperliche Züchtigung als eine nur eventuelle, erst nach fruchtloser Anwendung der sonstigen Strafmittel zur An¬ wendung kommende Strafe darstellen, welches letztere freilich ebenfalls in dem Gesetze keine» Grund bat. sondern willkürlich in dasselbe hineingetragen wird. Um die Unrichtigkeit der ministeriellen Auslegung zu erkennen, genügt es, sich den Wortlaut des Gesetzes zu vergegenwärtigen. „Die Ortsobrigkcit ist nicht befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere Strafe als eine Geldstrafe von fünf Thalern, oder eine Gefängnißstrafe von einer Woche, oder .... fünfundzwanzig Streiche .... polizeilich zu erkennen." Nur dadurch, das, die Denkschrift bei ihrer Reproduktion des Satzes die ent¬ scheidenden Worte „wegen der bezeichneten Dienstvergehen", sowie das „oder" ausläßt, kann sie sich überhaupt erst die Möglichkeit für ihre Deutung bahnen. Der wahre Sinn der beschränkenden Bestimmung ergiebt sich leicht aus einem näheren Eingehen in den Inhalt der beiden Verordnungen, welche die Befugnis; der körperlichen Züchtigung, die der §. 2 den Gutsherrn ermächtigt als Strafe von Dienstvergehen zu erkennen, limitiren sollen. Nachdem auf Antrag der Kammer der Abgeordneten die Strafe der kör¬ perlichen Züchtigung durch ein specielles Gesetz vom 11. Jan. 1849 ganz allge¬ mein aufgehoben war, erklärte auf dem Landtage von 1851 das Ministerium, welches im Jahre 1850 die Aufgabe erwählt hatte, die feudale Landesver¬ fassung wiederherzustellen, daß ein „Bedürfniß" vorliege, auch die körperliche Züchtigung theilweise wieder ins Leben zu rufen. Mit Zustimmung der wie¬ derhergestellten Ritter- und Landschaft erschien am 29. Jan. 1852 eine Verord¬ nung, welche jene Strafe für folgende Fälle wieder einführte: 1) zur Aufrecht- Haltung der Disciplin in Gefängnissen u. s. w.. 2) zur Ahndung von Lügen und Winkelzügen in gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter ge¬ wissen näher angegebenen Voraussetzungen, 3) zur Bestrafung des gewerb- mäßigen Bettelns. der mit Unfug oder öffentlichem Aergernisse verbundenen Trunkenheit, der Böllern und Liederlichkeit, der Unzucht und unzüchtiger Hand¬ lungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener, sowie der thätlichen Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forstfrevel, des Betrugs und der Fälschung. Für die Anwendung und Vollstreckung der Strafe wurden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/461>, abgerufen am 23.07.2024.