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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Hausherrn. Am Fenster sitzt die Großmutter am Spinnrad oder der Gro߬
vater bei der Postille. Bettstellen sind nicht zu sehen. Da schließt die Haus¬
frau eine der Schrantthüren auf, welche etwa in Dreiviertel-Mannshöhe die
ganze eine Seite der Doms einnehmen, und wir haben die Betten vor uns.
Es sind eben Wandschränke, in denen man hier zu Lande schläft, gefüllt mit
rundbauchigen Federkissen, in die wir so tief einsinken, daß es, um das Auf¬
stehen und Herauskommen zu ermöglichen, nothwendig war, an der Decke einen
Quast als Handhabe anzubringen.

Der Pesel ist die Putzstube, der Ort für die Haupt- und Staatsactionen
im Leben des hiesigen Landmanns. Hier werden die Hochzeiten, die Kindtauf-
schmäusc und. wenn eine Seele in die himmlische Doms abgerufen worden ist,
die Leichencssen gehalten. Auch fremder Besuch pflegt hier einquartirt zu wer¬
den, und der Pesel der Wohlhabenden ist ein gar stattliches und anspruchs¬
volles Gemach. Tische und Stühle von polirtem Holz, selbst Mahagonimöbel,
ein Polstersopha, hübsche Gardinen, modische Lampen sind manchen Gegenden
hier nichts Seltenes. Sogar ein Pianoforte kommt bisweilen vor. Vor allem
aber ziert den Pesel höhern Stils eine gute Auswahl silberbeschlagncr Mecr-
schaumpfeifen, nächst schönem Viel) der Hauptstvlz des Bauern der Herzogthümer.

Für die Milchkammer, welche im Osten der wichtigste Theil einer größern
Wirthschaft ist, giebt es einen eignen Anbau, indem man die, natürlich bunt-
angestrichnen, oft mit Messingreifen beschlagenen Holzgcfäße in langen Reihen
aufgestellt sieht. Alles ist hier äußerst blank und sauber gehalten -- vermuth¬
lich ein Erbtheil der Holländer, welche vor etwa zweihundert Jahren die
Butterfabrikation hier einführten.

Das Gesinde hat seine Schlafstellen auf der Dehl neben den Viehständen.
Festlichkeiten, welche viel Raum erfordern, werden auf der Tenne abgehalten,
und ein Auszug beim Ningreiten oder ein Erntetanz in diesem Halbdunkel, vor
dem flackernden Heerdfeuer und unter den rauchumwirbelten Stangen des Ge¬
treidebodens, an deren mittelster dann ein laubumwundencr, mit Lichtern be¬
steckter Faßreifen als Kronleuchter herabhängt, möchte mit seinen Lichtreflexen
keinen üblen Gegenstand für den Pinsel eines Genremalers abgeben.

Das geschilderte Haus ist das normale. Aermere müssen sich selbstverständ¬
lich enger und mit weniger Aufwand von Farben einrichten, und aus der hohen
Geest giebt es nicht wenige dürftige Hütten. In einigen Gegenden Wagriens
und in der Propstei sowie im Amte Cismar steht man häusig Schornsteine und
von dem Wohnhaus getrennte Wirthschaftsgebäude. Im Amte Neinfeld haben
die Häuser eine Durchfahrt, die durch das Ganze der Länge nach hindurchgeht,
und die Wohnzimmer liegen vorn an der Dehl. In der Wilstcrmarsch giebt
man den Gebäuden meist die Gestalt eines Kreuzes, indem man das Haus seine
Langseite der Straße zukehren läßt und Stall und Scheune hinten anbaut, so


Hausherrn. Am Fenster sitzt die Großmutter am Spinnrad oder der Gro߬
vater bei der Postille. Bettstellen sind nicht zu sehen. Da schließt die Haus¬
frau eine der Schrantthüren auf, welche etwa in Dreiviertel-Mannshöhe die
ganze eine Seite der Doms einnehmen, und wir haben die Betten vor uns.
Es sind eben Wandschränke, in denen man hier zu Lande schläft, gefüllt mit
rundbauchigen Federkissen, in die wir so tief einsinken, daß es, um das Auf¬
stehen und Herauskommen zu ermöglichen, nothwendig war, an der Decke einen
Quast als Handhabe anzubringen.

Der Pesel ist die Putzstube, der Ort für die Haupt- und Staatsactionen
im Leben des hiesigen Landmanns. Hier werden die Hochzeiten, die Kindtauf-
schmäusc und. wenn eine Seele in die himmlische Doms abgerufen worden ist,
die Leichencssen gehalten. Auch fremder Besuch pflegt hier einquartirt zu wer¬
den, und der Pesel der Wohlhabenden ist ein gar stattliches und anspruchs¬
volles Gemach. Tische und Stühle von polirtem Holz, selbst Mahagonimöbel,
ein Polstersopha, hübsche Gardinen, modische Lampen sind manchen Gegenden
hier nichts Seltenes. Sogar ein Pianoforte kommt bisweilen vor. Vor allem
aber ziert den Pesel höhern Stils eine gute Auswahl silberbeschlagncr Mecr-
schaumpfeifen, nächst schönem Viel) der Hauptstvlz des Bauern der Herzogthümer.

Für die Milchkammer, welche im Osten der wichtigste Theil einer größern
Wirthschaft ist, giebt es einen eignen Anbau, indem man die, natürlich bunt-
angestrichnen, oft mit Messingreifen beschlagenen Holzgcfäße in langen Reihen
aufgestellt sieht. Alles ist hier äußerst blank und sauber gehalten — vermuth¬
lich ein Erbtheil der Holländer, welche vor etwa zweihundert Jahren die
Butterfabrikation hier einführten.

Das Gesinde hat seine Schlafstellen auf der Dehl neben den Viehständen.
Festlichkeiten, welche viel Raum erfordern, werden auf der Tenne abgehalten,
und ein Auszug beim Ningreiten oder ein Erntetanz in diesem Halbdunkel, vor
dem flackernden Heerdfeuer und unter den rauchumwirbelten Stangen des Ge¬
treidebodens, an deren mittelster dann ein laubumwundencr, mit Lichtern be¬
steckter Faßreifen als Kronleuchter herabhängt, möchte mit seinen Lichtreflexen
keinen üblen Gegenstand für den Pinsel eines Genremalers abgeben.

Das geschilderte Haus ist das normale. Aermere müssen sich selbstverständ¬
lich enger und mit weniger Aufwand von Farben einrichten, und aus der hohen
Geest giebt es nicht wenige dürftige Hütten. In einigen Gegenden Wagriens
und in der Propstei sowie im Amte Cismar steht man häusig Schornsteine und
von dem Wohnhaus getrennte Wirthschaftsgebäude. Im Amte Neinfeld haben
die Häuser eine Durchfahrt, die durch das Ganze der Länge nach hindurchgeht,
und die Wohnzimmer liegen vorn an der Dehl. In der Wilstcrmarsch giebt
man den Gebäuden meist die Gestalt eines Kreuzes, indem man das Haus seine
Langseite der Straße zukehren läßt und Stall und Scheune hinten anbaut, so


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[0046] Hausherrn. Am Fenster sitzt die Großmutter am Spinnrad oder der Gro߬ vater bei der Postille. Bettstellen sind nicht zu sehen. Da schließt die Haus¬ frau eine der Schrantthüren auf, welche etwa in Dreiviertel-Mannshöhe die ganze eine Seite der Doms einnehmen, und wir haben die Betten vor uns. Es sind eben Wandschränke, in denen man hier zu Lande schläft, gefüllt mit rundbauchigen Federkissen, in die wir so tief einsinken, daß es, um das Auf¬ stehen und Herauskommen zu ermöglichen, nothwendig war, an der Decke einen Quast als Handhabe anzubringen. Der Pesel ist die Putzstube, der Ort für die Haupt- und Staatsactionen im Leben des hiesigen Landmanns. Hier werden die Hochzeiten, die Kindtauf- schmäusc und. wenn eine Seele in die himmlische Doms abgerufen worden ist, die Leichencssen gehalten. Auch fremder Besuch pflegt hier einquartirt zu wer¬ den, und der Pesel der Wohlhabenden ist ein gar stattliches und anspruchs¬ volles Gemach. Tische und Stühle von polirtem Holz, selbst Mahagonimöbel, ein Polstersopha, hübsche Gardinen, modische Lampen sind manchen Gegenden hier nichts Seltenes. Sogar ein Pianoforte kommt bisweilen vor. Vor allem aber ziert den Pesel höhern Stils eine gute Auswahl silberbeschlagncr Mecr- schaumpfeifen, nächst schönem Viel) der Hauptstvlz des Bauern der Herzogthümer. Für die Milchkammer, welche im Osten der wichtigste Theil einer größern Wirthschaft ist, giebt es einen eignen Anbau, indem man die, natürlich bunt- angestrichnen, oft mit Messingreifen beschlagenen Holzgcfäße in langen Reihen aufgestellt sieht. Alles ist hier äußerst blank und sauber gehalten — vermuth¬ lich ein Erbtheil der Holländer, welche vor etwa zweihundert Jahren die Butterfabrikation hier einführten. Das Gesinde hat seine Schlafstellen auf der Dehl neben den Viehständen. Festlichkeiten, welche viel Raum erfordern, werden auf der Tenne abgehalten, und ein Auszug beim Ningreiten oder ein Erntetanz in diesem Halbdunkel, vor dem flackernden Heerdfeuer und unter den rauchumwirbelten Stangen des Ge¬ treidebodens, an deren mittelster dann ein laubumwundencr, mit Lichtern be¬ steckter Faßreifen als Kronleuchter herabhängt, möchte mit seinen Lichtreflexen keinen üblen Gegenstand für den Pinsel eines Genremalers abgeben. Das geschilderte Haus ist das normale. Aermere müssen sich selbstverständ¬ lich enger und mit weniger Aufwand von Farben einrichten, und aus der hohen Geest giebt es nicht wenige dürftige Hütten. In einigen Gegenden Wagriens und in der Propstei sowie im Amte Cismar steht man häusig Schornsteine und von dem Wohnhaus getrennte Wirthschaftsgebäude. Im Amte Neinfeld haben die Häuser eine Durchfahrt, die durch das Ganze der Länge nach hindurchgeht, und die Wohnzimmer liegen vorn an der Dehl. In der Wilstcrmarsch giebt man den Gebäuden meist die Gestalt eines Kreuzes, indem man das Haus seine Langseite der Straße zukehren läßt und Stall und Scheune hinten anbaut, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/46>, abgerufen am 23.07.2024.