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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Mittel sein darf. Wenn endlich die Macht der Farbe auf einer kräftigen Sinn¬
lichkeit beruht, so geht bei Sealssield diese Sinnlichkeit bisweilen in etwas An¬
deres, Häßliches über, wovon man in "Süden und Norden" in "Morton"
u. s. w. abschreckende Beispiele findet.

Der zweite Vorzug ist eine ganz ungewöhnliche allgemeine Bildung und eine
damit verbundene Feinfühligkeit für fremde Art zu sein. Sealssield gleicht nicht
den herkömmlichen mittelmäßigen Touristen, die ihre zufälligen Gewohnheiten
und selbst Unarten als Maßstab mitbringen, er bemüht sich überall mit Ernst
und oft mit Erfolg, fremdes Leben nachzufühlen. Freilich begegnet ihm dann
leicht, daß das Fremde als solches ihm imponirt, und daß er mit jener Vir¬
tuosität eines deutschen Philosophen, die er selbst verspottet, auch das absolut
Unvernünftige vom höheren Standpunkt aus als das Vernünftige zu construiren
sucht. Daher sind seine Urtheile nicht unbedingt zuverlässig; seine Vertheidigung
der Sklaverei wird schon durch den gesunden Menschensinn widerlegt, sie ist
neuerdings schlagend durch die Geschichte widerlegt worden. Aber seine Ur¬
theile sind nie aus der Oberfläche geschöpft, sie zeugen überall von großem
Scharfsinn und umfassender Welterfahrung, und auch wo er irrt, kann man mehr
von ihm lernen als von correcteren Reifenden, die den gebahnten Wegen fol¬
gen. Und zwar liegt das darin, daß er nie oder doch nur selten beim bloßen
Raisonnement stehn bleibt, daß er vielmehr die Sachen, um die es sich handelt,
dem Leser sinnlich vor die Augen führt und ihm so die Mittel an die Hand
giebt, das Urtheil zu berichtigen. Mitunter hat sich seine historische Anschauung
doch glänzend bewahrheitet. Ich will nur an zwei Punkte erinnern, die Ana¬
lyse der Colonisirung von Louisiana und Texas, und der Nachweis, daß Mexico
zwar alle Elemente zu einer großen Monarchie, aber kein einziges zu einer Re¬
publik in sich enthält. Die beiden Figuren, Nathan der Squatter und der Conde
ti San Jago werden bleiben.

Die Zeit, in welcher Sealssield wirkte, 1833 bis 1842, pflegt man als die
jungdeutsche zu bezeichnen. Sie umfaßt in Deutschland Heine, Börne und
ihre Schule sowie die Junghegelianer, in Frankreich George Sand und Balzac,
in England hauptsächlich Bulwer. Sie ist vorwiegend kritisch gegen ihre un-
mittelbare Vorgängerin, die dritte Epoche der Romantik, die etwa mit dem
wiener Congreß beginnt und sich noch über die Julirevolution hinaus ausdehnt,
und deren Typen unsere Novellisten, Hoffmann. Tieck, Leopold Schefer, Stef¬
fens, ferner die ästhetischen Althegeliancr, im Ausland W.Scott, Cooper und
etwa V. Hugo sind.

Zwischen diesen beiden Epochen steht Sealssield in der Mitte. Seiner
principiellen Neigung nach ist er so entschieden jungdeutsch, wie es nur
einem Dichter möglich ist; dagegen erinnern seine Kunstmittel weit mehr an


Grenzboten II. 18K4. S5

Mittel sein darf. Wenn endlich die Macht der Farbe auf einer kräftigen Sinn¬
lichkeit beruht, so geht bei Sealssield diese Sinnlichkeit bisweilen in etwas An¬
deres, Häßliches über, wovon man in „Süden und Norden" in „Morton"
u. s. w. abschreckende Beispiele findet.

Der zweite Vorzug ist eine ganz ungewöhnliche allgemeine Bildung und eine
damit verbundene Feinfühligkeit für fremde Art zu sein. Sealssield gleicht nicht
den herkömmlichen mittelmäßigen Touristen, die ihre zufälligen Gewohnheiten
und selbst Unarten als Maßstab mitbringen, er bemüht sich überall mit Ernst
und oft mit Erfolg, fremdes Leben nachzufühlen. Freilich begegnet ihm dann
leicht, daß das Fremde als solches ihm imponirt, und daß er mit jener Vir¬
tuosität eines deutschen Philosophen, die er selbst verspottet, auch das absolut
Unvernünftige vom höheren Standpunkt aus als das Vernünftige zu construiren
sucht. Daher sind seine Urtheile nicht unbedingt zuverlässig; seine Vertheidigung
der Sklaverei wird schon durch den gesunden Menschensinn widerlegt, sie ist
neuerdings schlagend durch die Geschichte widerlegt worden. Aber seine Ur¬
theile sind nie aus der Oberfläche geschöpft, sie zeugen überall von großem
Scharfsinn und umfassender Welterfahrung, und auch wo er irrt, kann man mehr
von ihm lernen als von correcteren Reifenden, die den gebahnten Wegen fol¬
gen. Und zwar liegt das darin, daß er nie oder doch nur selten beim bloßen
Raisonnement stehn bleibt, daß er vielmehr die Sachen, um die es sich handelt,
dem Leser sinnlich vor die Augen führt und ihm so die Mittel an die Hand
giebt, das Urtheil zu berichtigen. Mitunter hat sich seine historische Anschauung
doch glänzend bewahrheitet. Ich will nur an zwei Punkte erinnern, die Ana¬
lyse der Colonisirung von Louisiana und Texas, und der Nachweis, daß Mexico
zwar alle Elemente zu einer großen Monarchie, aber kein einziges zu einer Re¬
publik in sich enthält. Die beiden Figuren, Nathan der Squatter und der Conde
ti San Jago werden bleiben.

Die Zeit, in welcher Sealssield wirkte, 1833 bis 1842, pflegt man als die
jungdeutsche zu bezeichnen. Sie umfaßt in Deutschland Heine, Börne und
ihre Schule sowie die Junghegelianer, in Frankreich George Sand und Balzac,
in England hauptsächlich Bulwer. Sie ist vorwiegend kritisch gegen ihre un-
mittelbare Vorgängerin, die dritte Epoche der Romantik, die etwa mit dem
wiener Congreß beginnt und sich noch über die Julirevolution hinaus ausdehnt,
und deren Typen unsere Novellisten, Hoffmann. Tieck, Leopold Schefer, Stef¬
fens, ferner die ästhetischen Althegeliancr, im Ausland W.Scott, Cooper und
etwa V. Hugo sind.

Zwischen diesen beiden Epochen steht Sealssield in der Mitte. Seiner
principiellen Neigung nach ist er so entschieden jungdeutsch, wie es nur
einem Dichter möglich ist; dagegen erinnern seine Kunstmittel weit mehr an


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[0441] Mittel sein darf. Wenn endlich die Macht der Farbe auf einer kräftigen Sinn¬ lichkeit beruht, so geht bei Sealssield diese Sinnlichkeit bisweilen in etwas An¬ deres, Häßliches über, wovon man in „Süden und Norden" in „Morton" u. s. w. abschreckende Beispiele findet. Der zweite Vorzug ist eine ganz ungewöhnliche allgemeine Bildung und eine damit verbundene Feinfühligkeit für fremde Art zu sein. Sealssield gleicht nicht den herkömmlichen mittelmäßigen Touristen, die ihre zufälligen Gewohnheiten und selbst Unarten als Maßstab mitbringen, er bemüht sich überall mit Ernst und oft mit Erfolg, fremdes Leben nachzufühlen. Freilich begegnet ihm dann leicht, daß das Fremde als solches ihm imponirt, und daß er mit jener Vir¬ tuosität eines deutschen Philosophen, die er selbst verspottet, auch das absolut Unvernünftige vom höheren Standpunkt aus als das Vernünftige zu construiren sucht. Daher sind seine Urtheile nicht unbedingt zuverlässig; seine Vertheidigung der Sklaverei wird schon durch den gesunden Menschensinn widerlegt, sie ist neuerdings schlagend durch die Geschichte widerlegt worden. Aber seine Ur¬ theile sind nie aus der Oberfläche geschöpft, sie zeugen überall von großem Scharfsinn und umfassender Welterfahrung, und auch wo er irrt, kann man mehr von ihm lernen als von correcteren Reifenden, die den gebahnten Wegen fol¬ gen. Und zwar liegt das darin, daß er nie oder doch nur selten beim bloßen Raisonnement stehn bleibt, daß er vielmehr die Sachen, um die es sich handelt, dem Leser sinnlich vor die Augen führt und ihm so die Mittel an die Hand giebt, das Urtheil zu berichtigen. Mitunter hat sich seine historische Anschauung doch glänzend bewahrheitet. Ich will nur an zwei Punkte erinnern, die Ana¬ lyse der Colonisirung von Louisiana und Texas, und der Nachweis, daß Mexico zwar alle Elemente zu einer großen Monarchie, aber kein einziges zu einer Re¬ publik in sich enthält. Die beiden Figuren, Nathan der Squatter und der Conde ti San Jago werden bleiben. Die Zeit, in welcher Sealssield wirkte, 1833 bis 1842, pflegt man als die jungdeutsche zu bezeichnen. Sie umfaßt in Deutschland Heine, Börne und ihre Schule sowie die Junghegelianer, in Frankreich George Sand und Balzac, in England hauptsächlich Bulwer. Sie ist vorwiegend kritisch gegen ihre un- mittelbare Vorgängerin, die dritte Epoche der Romantik, die etwa mit dem wiener Congreß beginnt und sich noch über die Julirevolution hinaus ausdehnt, und deren Typen unsere Novellisten, Hoffmann. Tieck, Leopold Schefer, Stef¬ fens, ferner die ästhetischen Althegeliancr, im Ausland W.Scott, Cooper und etwa V. Hugo sind. Zwischen diesen beiden Epochen steht Sealssield in der Mitte. Seiner principiellen Neigung nach ist er so entschieden jungdeutsch, wie es nur einem Dichter möglich ist; dagegen erinnern seine Kunstmittel weit mehr an Grenzboten II. 18K4. S5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/441>, abgerufen am 25.08.2024.