Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.Werth. Daß es zu Rom entstanden ist, dafür sprechen sowohl sprachliche Fassen wir alles zusammen, so fällt für die Frage, wo wir die ursprüng¬ Werth. Daß es zu Rom entstanden ist, dafür sprechen sowohl sprachliche Fassen wir alles zusammen, so fällt für die Frage, wo wir die ursprüng¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188997"/> <p xml:id="ID_1488" prev="#ID_1487"> Werth. Daß es zu Rom entstanden ist, dafür sprechen sowohl sprachliche<lb/> Eigenthümlichkeiten als der neutrale katholisirende Charakter, der eben dieser<lb/> Gemeinde im zweiten Jahrhundert eigen war. Auf den Namen des Marcus<lb/> wurde'es ohne Zweifel deshalb getauft, weil Marcus ein Schüler des Petrus,<lb/> später aber auch ein Begleiter des Paulus war, und schwerlich ein anderer in<lb/> die apostolische Zeit hinausreichender Name sich fand, der so wie er die Ver¬<lb/> einigung beider Richtungen zu repräsentiren geeignet war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1489" next="#ID_1490"> Fassen wir alles zusammen, so fällt für die Frage, wo wir die ursprüng¬<lb/> lichste und urkundlichste Darstellung der evangelischen Geschichte haben, das Ueber¬<lb/> gewicht auf Seite des Matthäus; freilich nur in sofern, als wir diesen nicht<lb/> mehr auf höhere Quellen, die wir gleichwohl voraussetzen müssen, zurückführen<lb/> können. Im Verhältniß zu den andern Evangelien sind bei ihm die Reden<lb/> Jesu in ursprünglicherer Form erhalten, die Thatsachen in naiverer, absichts¬<lb/> loserer Weise erzählt. Trägt auch er das Gepräge einer bestimmten dogmatischen<lb/> Anschauungsweise, so rührt dies nur daher, daß daS älteste Christenthum über¬<lb/> haupt noch judcnstisch gefärbt war und erst allmälig den Einwirkungen des<lb/> Paulinismus sich öffnete. Seine dogmatische Färbung ist also vielmehr ein<lb/> Zeichen Höheren Alters wenigstens der Grundlagen seiner Erzählung, und ein<lb/> Zeichen des Ursprungs in einer den Thatsachen nahestehenden Gegend. Eine<lb/> andere Frage ist nun aber die, ob nicht das älteste Christenthum mit seiner<lb/> particularistischen Richtung um ein Beträchtliches hinter Jesus selbst zurückging<lb/> und den Reden desselben ein jüdischeres Gepräge gab, als sie ursprünglich<lb/> hatten. Dieser Gedanke liegt um so näher, als es in den Evangelien — und<lb/> nicht blos bei Lucas — keineswegs an-Spuren fehlt, daß Jesus alle Ursache<lb/> hatte sich über Nichtverstandcnsein von Seiten der Jünger zu beklagen,<lb/> welche später in der jerusalemischen Hauptgcmeinde das große Wort führten.<lb/> Je exclusiver sich hier die judcnchristliche Richtung ausbildete, welcher dann der<lb/> Apostel Paulus mit so scharfen Waffen entgegentrat, um so mehr fragt es sich,<lb/> ob wir nicht schon im ältesten Evangelium ein getrübtes Medium haben, durch<lb/> welches uns das Leben Jesu übermittelt ist. Insbesondere wollen solche Aus¬<lb/> sprüche Jesu wie der von der fortdauernden Giltigkeit auch des Gesetzesbuch¬<lb/> stabens wenig stimmen zu dem Bilde, das wir uns doch aus anderen Nach¬<lb/> richten von seiner Wirksamkeit und Denkungsart machen müssen. Wenn also<lb/> die folgenden Evangelisten solche Aussprüche wegließen, ist es Wohl möglich,<lb/> daß sie damit Züge entfernten, welche dem echten Christusbild fremd und nur<lb/> durch die sich verhärtende judenchristliche Gesinnung der ersten Gemeinde in<lb/> dasselbe hineingetragen worden waren. Ebensowenig können wir im Voraus<lb/> in Abrede stellen, daß Lucas der evangelischen Geschichte einen wirklichen Zu¬<lb/> wachs von Erzählungen, die in glaubwürdiger Ueberlieferung fortgepflanzt waren,<lb/> zugeführt hat. Wir wissen ja, daß Lucas neben dem Matthäus zahlreiche ander-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0436]
Werth. Daß es zu Rom entstanden ist, dafür sprechen sowohl sprachliche
Eigenthümlichkeiten als der neutrale katholisirende Charakter, der eben dieser
Gemeinde im zweiten Jahrhundert eigen war. Auf den Namen des Marcus
wurde'es ohne Zweifel deshalb getauft, weil Marcus ein Schüler des Petrus,
später aber auch ein Begleiter des Paulus war, und schwerlich ein anderer in
die apostolische Zeit hinausreichender Name sich fand, der so wie er die Ver¬
einigung beider Richtungen zu repräsentiren geeignet war.
Fassen wir alles zusammen, so fällt für die Frage, wo wir die ursprüng¬
lichste und urkundlichste Darstellung der evangelischen Geschichte haben, das Ueber¬
gewicht auf Seite des Matthäus; freilich nur in sofern, als wir diesen nicht
mehr auf höhere Quellen, die wir gleichwohl voraussetzen müssen, zurückführen
können. Im Verhältniß zu den andern Evangelien sind bei ihm die Reden
Jesu in ursprünglicherer Form erhalten, die Thatsachen in naiverer, absichts¬
loserer Weise erzählt. Trägt auch er das Gepräge einer bestimmten dogmatischen
Anschauungsweise, so rührt dies nur daher, daß daS älteste Christenthum über¬
haupt noch judcnstisch gefärbt war und erst allmälig den Einwirkungen des
Paulinismus sich öffnete. Seine dogmatische Färbung ist also vielmehr ein
Zeichen Höheren Alters wenigstens der Grundlagen seiner Erzählung, und ein
Zeichen des Ursprungs in einer den Thatsachen nahestehenden Gegend. Eine
andere Frage ist nun aber die, ob nicht das älteste Christenthum mit seiner
particularistischen Richtung um ein Beträchtliches hinter Jesus selbst zurückging
und den Reden desselben ein jüdischeres Gepräge gab, als sie ursprünglich
hatten. Dieser Gedanke liegt um so näher, als es in den Evangelien — und
nicht blos bei Lucas — keineswegs an-Spuren fehlt, daß Jesus alle Ursache
hatte sich über Nichtverstandcnsein von Seiten der Jünger zu beklagen,
welche später in der jerusalemischen Hauptgcmeinde das große Wort führten.
Je exclusiver sich hier die judcnchristliche Richtung ausbildete, welcher dann der
Apostel Paulus mit so scharfen Waffen entgegentrat, um so mehr fragt es sich,
ob wir nicht schon im ältesten Evangelium ein getrübtes Medium haben, durch
welches uns das Leben Jesu übermittelt ist. Insbesondere wollen solche Aus¬
sprüche Jesu wie der von der fortdauernden Giltigkeit auch des Gesetzesbuch¬
stabens wenig stimmen zu dem Bilde, das wir uns doch aus anderen Nach¬
richten von seiner Wirksamkeit und Denkungsart machen müssen. Wenn also
die folgenden Evangelisten solche Aussprüche wegließen, ist es Wohl möglich,
daß sie damit Züge entfernten, welche dem echten Christusbild fremd und nur
durch die sich verhärtende judenchristliche Gesinnung der ersten Gemeinde in
dasselbe hineingetragen worden waren. Ebensowenig können wir im Voraus
in Abrede stellen, daß Lucas der evangelischen Geschichte einen wirklichen Zu¬
wachs von Erzählungen, die in glaubwürdiger Ueberlieferung fortgepflanzt waren,
zugeführt hat. Wir wissen ja, daß Lucas neben dem Matthäus zahlreiche ander-
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