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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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nisse über den Reichthum, und besonders verschiedene Züge der Kindheits-
geschichte. Allein gleich an der Kindheitsgeschrchte sehen wir auch deutlich,
welche Tendenz der Evangelist durchaus verfolgt. So ist es doch gewiß nicht
zufällig, daß er chronologische Bestimmungen an die Spitze seiner Erzählung
stellt, welche aus der Prvfangcschichte genommen sind (die übrigens ungeschicht-
liche Schätzung unter Kaiser Augusius). gleich als wollte er damit das Leben
Jesu von vornherein aus dem Particularismus der jüdischen Volksgeschichte in
den Universalismus der Weltgeschichte hinaussehen. So ist ferner das im
judenchristlichen Sinn verfaßte Geschlechtsregister. das die Abstammung Jesu
von David und Abraham beweisen sollte, zwar aufgenommen, aber bis zu
Gott verlängert, womit ihm natürlich die jüdische Spitze abgebrochen, ja wodurch
es eigentlich für den Zweck, dem es dienen soll, unbrauchbar gemacht wird. Die
Bergrede, welche bei Matthäus so bestimmt als Programm der an das jüdische
Gesetz anknüpfenden Wirksamkeit Jesu erscheint, ist zurückgestellt, und statt ihrer
das erste Wunder in Kapharnaum erzählt, welches als Austreibung von Dämo¬
nen, in denen man sich heidnische Mächte verkörpert dachte, ebenso eine Be¬
ziehung zum paulinischen Universalismus. wie die Bergrede ihre Bedeutung in
dem Verhältniß Jesu zum Gesetz hat. Die Bergrcde selbst ist zu einer Thal¬
rede gemacht, damit sie weniger an das Borbild der Gesetzgebung auf dem
Berg Sinai erinnere, die Stelle über die Fortdauer des Gesetzes ist daraus
weggelassen, wie später die Erzählung vom kananäischen Weib fehlt (wegen
des Ausspruches Jesu, er sei blos zu den verlorenen Schafen Israels gesandt),
und ebensowenig ein Verbot an die Jünger ergeht, den Weg der Heiden zu
betreten.

Besonders eigenthümlich ist dem Lucas das große Gewicht, das auf die
Lehrtätigkeit Jesu in Samaria fällt. Vom neunten Capitel an ist der Schau¬
platz derselben nicht mehr Galilcia. sonder" Jesus ist fortgehend als auf einer
Reise durch Samaria begriffen dargestellt, eine Wanderung, von welcher Mat¬
thäus nichts erzählt, die aber in dem Zusammenhange des Lucas um so be¬
deutsamer ist, als die Samariter als halbe Heiden Von den Juden verachtet
und bereits als der Uebergang vom Judenthum zum Heidenthum angesehen
wurden. Mit dieser Wendung der Geschichte ist also bereits dem Evangelium
der Weg nach der Heidenwelt gezeigt, und die Züge gottgefälligen Sinns an
Samaritern, welche in Gleichnissen und sonst mit Vorliebe geschildert werden,
unter deutlichen Seitenblicken auf das hochmüthige werkheilige Judenthum. er¬
scheinen wie ein Vorspiel der späteren Erfolge der Mission unter den Heide".
Damit hängt denn auch die Erzählung zusammen, die sich nur bei Lucas findet,
daß Jesus bald nach seinem Betreten des samarischcn Bodens siebzig Jünger
ausgesendet habe. Da die andern Evangelien nichts von diesem wichtigen
Ereigmß wissen, darf man wohl an seiner Geschichtlichkeit zweifeln, um so mehr,


nisse über den Reichthum, und besonders verschiedene Züge der Kindheits-
geschichte. Allein gleich an der Kindheitsgeschrchte sehen wir auch deutlich,
welche Tendenz der Evangelist durchaus verfolgt. So ist es doch gewiß nicht
zufällig, daß er chronologische Bestimmungen an die Spitze seiner Erzählung
stellt, welche aus der Prvfangcschichte genommen sind (die übrigens ungeschicht-
liche Schätzung unter Kaiser Augusius). gleich als wollte er damit das Leben
Jesu von vornherein aus dem Particularismus der jüdischen Volksgeschichte in
den Universalismus der Weltgeschichte hinaussehen. So ist ferner das im
judenchristlichen Sinn verfaßte Geschlechtsregister. das die Abstammung Jesu
von David und Abraham beweisen sollte, zwar aufgenommen, aber bis zu
Gott verlängert, womit ihm natürlich die jüdische Spitze abgebrochen, ja wodurch
es eigentlich für den Zweck, dem es dienen soll, unbrauchbar gemacht wird. Die
Bergrede, welche bei Matthäus so bestimmt als Programm der an das jüdische
Gesetz anknüpfenden Wirksamkeit Jesu erscheint, ist zurückgestellt, und statt ihrer
das erste Wunder in Kapharnaum erzählt, welches als Austreibung von Dämo¬
nen, in denen man sich heidnische Mächte verkörpert dachte, ebenso eine Be¬
ziehung zum paulinischen Universalismus. wie die Bergrede ihre Bedeutung in
dem Verhältniß Jesu zum Gesetz hat. Die Bergrcde selbst ist zu einer Thal¬
rede gemacht, damit sie weniger an das Borbild der Gesetzgebung auf dem
Berg Sinai erinnere, die Stelle über die Fortdauer des Gesetzes ist daraus
weggelassen, wie später die Erzählung vom kananäischen Weib fehlt (wegen
des Ausspruches Jesu, er sei blos zu den verlorenen Schafen Israels gesandt),
und ebensowenig ein Verbot an die Jünger ergeht, den Weg der Heiden zu
betreten.

Besonders eigenthümlich ist dem Lucas das große Gewicht, das auf die
Lehrtätigkeit Jesu in Samaria fällt. Vom neunten Capitel an ist der Schau¬
platz derselben nicht mehr Galilcia. sonder» Jesus ist fortgehend als auf einer
Reise durch Samaria begriffen dargestellt, eine Wanderung, von welcher Mat¬
thäus nichts erzählt, die aber in dem Zusammenhange des Lucas um so be¬
deutsamer ist, als die Samariter als halbe Heiden Von den Juden verachtet
und bereits als der Uebergang vom Judenthum zum Heidenthum angesehen
wurden. Mit dieser Wendung der Geschichte ist also bereits dem Evangelium
der Weg nach der Heidenwelt gezeigt, und die Züge gottgefälligen Sinns an
Samaritern, welche in Gleichnissen und sonst mit Vorliebe geschildert werden,
unter deutlichen Seitenblicken auf das hochmüthige werkheilige Judenthum. er¬
scheinen wie ein Vorspiel der späteren Erfolge der Mission unter den Heide».
Damit hängt denn auch die Erzählung zusammen, die sich nur bei Lucas findet,
daß Jesus bald nach seinem Betreten des samarischcn Bodens siebzig Jünger
ausgesendet habe. Da die andern Evangelien nichts von diesem wichtigen
Ereigmß wissen, darf man wohl an seiner Geschichtlichkeit zweifeln, um so mehr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/432>, abgerufen am 23.07.2024.