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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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und mit denen er im auffälligen Gegensatz zu dem Volke sächsischen Stammes
im Süden steht -- Zeugnisse dafür, daß die Verschmelzung mit dem herauf¬
dringenden niederdeutschen Wesen hier noch nicht völlig vollendet ist.

Damit soll nicht gesagt werden, daß die Angler Dänen oder doch ein
skandinavischer Stamm sind. Auch die Juden, wenigstens die Südjüten, sind,
wie zu zeigen sein wird, keine Skandinavier oder doch nur der Uebergang zu diesen.

Versuchen wir die älteste Geschichte der Angler, soweit es die dürftigen
Nachrichten über dieselbe zulassen, für unsren Zweck aufzuhellen, so werden
wir zu dem Resultat kommen, daß sie ein Mischvolk, bestehend aus der Ver¬
schmelzung von Resten des urzeitlichen Stammes der Angeln mit Juden und mit
Sachsen sind, und daß sie vor Annahme der deutschen Sprache eines der Mittel¬
glieder zwischen Deutschen und Dänen bildeten.

Die Angeln, vom Süden der Elbe heraufgezogen -- von wo ist mit Be¬
stimmtheit nicht zu sagen -- waren sicher zu Ende der Völkerwanderung im
Besitz eines großen Theils des heutigen Schleswig, sehr wahrscheinlich hatten
sie die ganze Ostküste inne. Ethelwerd läßt sie zwischen den Sachsen und den
Juden wohnen und nennt Schleswig als ihre Hauptstadt. Ebenso gewiß ist,
daß sie an dem Zuge niederdeutscher Stämme theilnahmen, der, gewöhnlich
als Hengists und Horsas Zug bezeichnet, die Eroberung Britanniens zur Folge
hatte. Nach Beda waren sie und ebenso die Juden Deutsche, und sehr wahr¬
scheinlich redeten sie in dieser Periode im Wesentlichen die Sprache, von der
uns im Beowulfslied und im Stop schriftliche Denkmale erhalten sind, eine
Sprache, die von dem Dialekt der Sachsen damaliger Zeit kaum sehr verschieden
gewesen sein dürste, mit dem alten Dänisch aber wohl nur das gemein hatte,
worin alle niederdeutschen Mundarten den skandinavischen sich nähern. Ein
Nachklang dieses Idioms scheint der Name des Dorfes Querr zwischen Flens-
burg und Kappeln zu sein, mit dem man das angelsächsische Wort eveorn
(Mühle) vergleichen mag. Ferner hat die früher in Angeln gesprochne Mund¬
art Ähnlichkeit mit dem Angelsächsischen durch ihre vielen gedehnt. und fast
doppelt ausgesprochnen Vocale, und endlich giebt es in derselben eine Anzahl
Redensarten und Wörter, die sich weder bei den Dänen noch bei den Friesen
finden, wohl aber bei den heutigen Engländern. Proben davon sind das Wort
"Krickcr" (Grillen, Heimchen), welches den englischen eriekets entsprickt, wo¬
gegen der Däne dafür Faarkyllinger (wörtlich übersetzt: Schafsküchlein), der
Friese Faarkocker sagt, und die Redensart: "Ac wander Brod", die im Eng¬
lischen ^ nimt dreaä heißt, während sie auf Dänisch mit "nig Sattes Brod"
ausgedrückt wird.

Die Auswanderung der Angler nach Britannien, die sich nicht blos aus
den einen soeben erwähnten Zug beschränkte, scheint nun den größten Theil des
Stammes der Heimath entführt und nur in dem jetzt noch dessen Namen tragen-


und mit denen er im auffälligen Gegensatz zu dem Volke sächsischen Stammes
im Süden steht — Zeugnisse dafür, daß die Verschmelzung mit dem herauf¬
dringenden niederdeutschen Wesen hier noch nicht völlig vollendet ist.

Damit soll nicht gesagt werden, daß die Angler Dänen oder doch ein
skandinavischer Stamm sind. Auch die Juden, wenigstens die Südjüten, sind,
wie zu zeigen sein wird, keine Skandinavier oder doch nur der Uebergang zu diesen.

Versuchen wir die älteste Geschichte der Angler, soweit es die dürftigen
Nachrichten über dieselbe zulassen, für unsren Zweck aufzuhellen, so werden
wir zu dem Resultat kommen, daß sie ein Mischvolk, bestehend aus der Ver¬
schmelzung von Resten des urzeitlichen Stammes der Angeln mit Juden und mit
Sachsen sind, und daß sie vor Annahme der deutschen Sprache eines der Mittel¬
glieder zwischen Deutschen und Dänen bildeten.

Die Angeln, vom Süden der Elbe heraufgezogen — von wo ist mit Be¬
stimmtheit nicht zu sagen — waren sicher zu Ende der Völkerwanderung im
Besitz eines großen Theils des heutigen Schleswig, sehr wahrscheinlich hatten
sie die ganze Ostküste inne. Ethelwerd läßt sie zwischen den Sachsen und den
Juden wohnen und nennt Schleswig als ihre Hauptstadt. Ebenso gewiß ist,
daß sie an dem Zuge niederdeutscher Stämme theilnahmen, der, gewöhnlich
als Hengists und Horsas Zug bezeichnet, die Eroberung Britanniens zur Folge
hatte. Nach Beda waren sie und ebenso die Juden Deutsche, und sehr wahr¬
scheinlich redeten sie in dieser Periode im Wesentlichen die Sprache, von der
uns im Beowulfslied und im Stop schriftliche Denkmale erhalten sind, eine
Sprache, die von dem Dialekt der Sachsen damaliger Zeit kaum sehr verschieden
gewesen sein dürste, mit dem alten Dänisch aber wohl nur das gemein hatte,
worin alle niederdeutschen Mundarten den skandinavischen sich nähern. Ein
Nachklang dieses Idioms scheint der Name des Dorfes Querr zwischen Flens-
burg und Kappeln zu sein, mit dem man das angelsächsische Wort eveorn
(Mühle) vergleichen mag. Ferner hat die früher in Angeln gesprochne Mund¬
art Ähnlichkeit mit dem Angelsächsischen durch ihre vielen gedehnt. und fast
doppelt ausgesprochnen Vocale, und endlich giebt es in derselben eine Anzahl
Redensarten und Wörter, die sich weder bei den Dänen noch bei den Friesen
finden, wohl aber bei den heutigen Engländern. Proben davon sind das Wort
„Krickcr" (Grillen, Heimchen), welches den englischen eriekets entsprickt, wo¬
gegen der Däne dafür Faarkyllinger (wörtlich übersetzt: Schafsküchlein), der
Friese Faarkocker sagt, und die Redensart: „Ac wander Brod", die im Eng¬
lischen ^ nimt dreaä heißt, während sie auf Dänisch mit „nig Sattes Brod"
ausgedrückt wird.

Die Auswanderung der Angler nach Britannien, die sich nicht blos aus
den einen soeben erwähnten Zug beschränkte, scheint nun den größten Theil des
Stammes der Heimath entführt und nur in dem jetzt noch dessen Namen tragen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/412>, abgerufen am 23.07.2024.