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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Die Nordschleswiger.
' 1. Ihre Abstammung, Sprache und Sitte.

Auf der londoner Konferenz ist, dem Vernehmen nach, seit das Project
der Personalunion gescheitert, der früher schon einmal für kurze Zeit aufgetauchte
Plan einer Theilung Schleswigs nach dem Maßstabe, den die Nationalität an
die Hand giebt, von Neuem zur Sprache gekommen, "und die deutsche Presse
hat begonnen, diesen Gedanken zu discutiren. Indem wir im Folgenden in
die Erörterung der Sache eintreten, beantworten wir zuvörderst nach zwei Seiten
hin die Frage: Wer sind die Nordschleswiger, um dann die Lösung der fer¬
neren zu versuchen: Ist eine Theilung überhaupt zulässig und welche? Leiden¬
der Grundsah wird uns dabei sein, nur der Gerechtigkeit und Wahrheit zu
dienen, Leidenschaftlichkeit zu vermeiden und die Regel zu beachten, nach welcher
zu viel beweisen wollen nichts beweisen heißt.

Fassen wir also das Herzogthum Schleswig nach der Nationalität seiner
Bewohner ins Auge, so finden wir, daß dasselbe im Allgemeinen, d. h. wenn
man von einzelnen hier wie in allen Grenzländern vorkommenden Ausnahmen
absieht, in zwei große Hälften zerfällt, eine im Süden, die weit überwiegend
deutsch, respective verdeutscht ist, und eine im Norden, deren Charakterisirung wir
spater vornehmen werden.

Reine und ursprüngliche Deutsche sind von der Bevölkerung jener Süd-
Hälfte zunächst die zum Stamme der Sachsen gehörigen Bewohner der Landes¬
mitte von den hüttener Bergen bis zum Zusammenfluß der Eider und der Treene
und von der holsteinischen Grenze bis zum Dannewerk. Dann die Marschleute
Eiderstedts und die östlichen Nachbarn derselben auf der Geest bis zur Mitte
des Laufs der Treene. Endlich die an der Westküste von Husum bis zur Windau
sich hinaufziehenden, die Nordseeinseln Sylt, Föhr, Pelworm, Nordstrand und
die Halligen bewohnenden Friesen.

Gemische dagegen mit ursprünglich fremden Elementen, jetzt aber gleich den
Slaven Südostholsteins schon längst vollkommen verdeutscht sind die Bewohner
der Halbinseln Dänisch-Wohld und Schwansen. Aehnliches, nicht ganz das
Gleiche, gilt von den südlichen Anglern und von dem weitaus größten Theil
der nördlichen, sowie von der Bevölkerung zwischen Angeln und den friesischen


Grenzboten II. 1864. 51
Die Nordschleswiger.
' 1. Ihre Abstammung, Sprache und Sitte.

Auf der londoner Konferenz ist, dem Vernehmen nach, seit das Project
der Personalunion gescheitert, der früher schon einmal für kurze Zeit aufgetauchte
Plan einer Theilung Schleswigs nach dem Maßstabe, den die Nationalität an
die Hand giebt, von Neuem zur Sprache gekommen, "und die deutsche Presse
hat begonnen, diesen Gedanken zu discutiren. Indem wir im Folgenden in
die Erörterung der Sache eintreten, beantworten wir zuvörderst nach zwei Seiten
hin die Frage: Wer sind die Nordschleswiger, um dann die Lösung der fer¬
neren zu versuchen: Ist eine Theilung überhaupt zulässig und welche? Leiden¬
der Grundsah wird uns dabei sein, nur der Gerechtigkeit und Wahrheit zu
dienen, Leidenschaftlichkeit zu vermeiden und die Regel zu beachten, nach welcher
zu viel beweisen wollen nichts beweisen heißt.

Fassen wir also das Herzogthum Schleswig nach der Nationalität seiner
Bewohner ins Auge, so finden wir, daß dasselbe im Allgemeinen, d. h. wenn
man von einzelnen hier wie in allen Grenzländern vorkommenden Ausnahmen
absieht, in zwei große Hälften zerfällt, eine im Süden, die weit überwiegend
deutsch, respective verdeutscht ist, und eine im Norden, deren Charakterisirung wir
spater vornehmen werden.

Reine und ursprüngliche Deutsche sind von der Bevölkerung jener Süd-
Hälfte zunächst die zum Stamme der Sachsen gehörigen Bewohner der Landes¬
mitte von den hüttener Bergen bis zum Zusammenfluß der Eider und der Treene
und von der holsteinischen Grenze bis zum Dannewerk. Dann die Marschleute
Eiderstedts und die östlichen Nachbarn derselben auf der Geest bis zur Mitte
des Laufs der Treene. Endlich die an der Westküste von Husum bis zur Windau
sich hinaufziehenden, die Nordseeinseln Sylt, Föhr, Pelworm, Nordstrand und
die Halligen bewohnenden Friesen.

Gemische dagegen mit ursprünglich fremden Elementen, jetzt aber gleich den
Slaven Südostholsteins schon längst vollkommen verdeutscht sind die Bewohner
der Halbinseln Dänisch-Wohld und Schwansen. Aehnliches, nicht ganz das
Gleiche, gilt von den südlichen Anglern und von dem weitaus größten Theil
der nördlichen, sowie von der Bevölkerung zwischen Angeln und den friesischen


Grenzboten II. 1864. 51
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[0409] Die Nordschleswiger. ' 1. Ihre Abstammung, Sprache und Sitte. Auf der londoner Konferenz ist, dem Vernehmen nach, seit das Project der Personalunion gescheitert, der früher schon einmal für kurze Zeit aufgetauchte Plan einer Theilung Schleswigs nach dem Maßstabe, den die Nationalität an die Hand giebt, von Neuem zur Sprache gekommen, "und die deutsche Presse hat begonnen, diesen Gedanken zu discutiren. Indem wir im Folgenden in die Erörterung der Sache eintreten, beantworten wir zuvörderst nach zwei Seiten hin die Frage: Wer sind die Nordschleswiger, um dann die Lösung der fer¬ neren zu versuchen: Ist eine Theilung überhaupt zulässig und welche? Leiden¬ der Grundsah wird uns dabei sein, nur der Gerechtigkeit und Wahrheit zu dienen, Leidenschaftlichkeit zu vermeiden und die Regel zu beachten, nach welcher zu viel beweisen wollen nichts beweisen heißt. Fassen wir also das Herzogthum Schleswig nach der Nationalität seiner Bewohner ins Auge, so finden wir, daß dasselbe im Allgemeinen, d. h. wenn man von einzelnen hier wie in allen Grenzländern vorkommenden Ausnahmen absieht, in zwei große Hälften zerfällt, eine im Süden, die weit überwiegend deutsch, respective verdeutscht ist, und eine im Norden, deren Charakterisirung wir spater vornehmen werden. Reine und ursprüngliche Deutsche sind von der Bevölkerung jener Süd- Hälfte zunächst die zum Stamme der Sachsen gehörigen Bewohner der Landes¬ mitte von den hüttener Bergen bis zum Zusammenfluß der Eider und der Treene und von der holsteinischen Grenze bis zum Dannewerk. Dann die Marschleute Eiderstedts und die östlichen Nachbarn derselben auf der Geest bis zur Mitte des Laufs der Treene. Endlich die an der Westküste von Husum bis zur Windau sich hinaufziehenden, die Nordseeinseln Sylt, Föhr, Pelworm, Nordstrand und die Halligen bewohnenden Friesen. Gemische dagegen mit ursprünglich fremden Elementen, jetzt aber gleich den Slaven Südostholsteins schon längst vollkommen verdeutscht sind die Bewohner der Halbinseln Dänisch-Wohld und Schwansen. Aehnliches, nicht ganz das Gleiche, gilt von den südlichen Anglern und von dem weitaus größten Theil der nördlichen, sowie von der Bevölkerung zwischen Angeln und den friesischen Grenzboten II. 1864. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/409>, abgerufen am 23.07.2024.