Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wieder entdeckt wurde, wenigstens in einigen seiner Stücke, wo nicht dem Na¬
men nach, den Deutschen bekannt gewesen, hat neuere Forschung klar heraus¬
gestellt. Schon im sechzehnten Jahrhundert zogen die sogenannten englischen
Komödianten durch das Reich. Gauklerbanden, die das hohe und niedere
Publicum zunächst durch Kunststücke aller Art. dann auch durch Schauspiele mit
allerlei aufregenden Scenen, blutigen Mordthaten, Hinrichtungen. Tyrannen
und Teufeln im Geschmack der Zeit vergnügten, zu denen ihnen als Grund¬
lage Dramen von Shakespeare und dessen Zeitgenossen dienten. In ähnlicher
Weise verfuhren die meist aus verlaufenen Studenten zusammengesetzten Wander-
gcscllschaften deutscher Herkunft, die auch die Producte heimischer Poeten benutzten.
Doch mußte man sich diese sowie Shakespeares Dramen nach den bisher be¬
kannten Proben als tief ins Prosaische, Bänkelsängerhafte und Wüste gezogen
vorstellen, die Clowns ihrer Persönlichkeit entkleidet oder durch den einen Hans¬
wurst ersetzt, der nicht Person, nicht Individuum, sondern in seinem ganzen
Empfinden und Thu" nur die verkörperte Lust der namentlich durch den
dreißigjährigen Krieg furchtbar herabgekommenen niedern Classe, alles, auch das
Edelste und Zarteste, in den Koth zu ziehen, nur die menschgewordene Gemein¬
heit und Pöbelhaftigkeit war. Der Schwung Shakespeares wurde von seinen
Verarbeitcrn in Schwulst verwandelt, an die Stelle seines Humors trat der
reine unverfälschte Blödsinn, seine Ironie wurde in Hanswursts Munde zur
Gefühllosigkeit, zur Freude am Schlechten, zum Sieg der Bestialität über
den Geist. Der Wahlspruch Hanswurste war: "Es muß alles verruinirt
werden."

Ist diese Vorstellung von der deutschen Volksbühne im siebzehnten Jahr-
hundert. im Allgemeinen richtig, und wird dieser klägliche Zustand derselben
(Dichter wie Gryphius schrieben für die bloße Lectüre und nach antiken Vor¬
bildern, daher zu gelehrt für das Volk, anch Weise war zu steif und langweilig,
um auf dem Volkstheater beliebt werden zu können) sich nach dem großen
Kriege nur gesteigert und verallgemeinert haben, so scheint die Regel doch nicht
ohne Ausnahmen gewesen zu sein, und zwar selbst nicht in der am meisten
verwilderten Zeit.

So wenigstens läßt uns die oben angeführte Bearbeitung des bekannten
shakespearcschcn Lustspiels schließen, die bisher, wenigstens den-Literarhistorikern
der neuesten Zeit, so gut wie unbekannt war. Gottsched erwähnt das Stück zwar,
setzt es aber in ein falsches Jahr (16S3) und weiß überdies nicht, daß es zu
Shakespeares Komödie in nächster Verwandtschaft steht. Eschenburg gedenkt
desselben und zugleich seiner Beziehung zur "Zähmung einer Widerspenstigen".
Auch Simrock und einige andere Forscher kennen es als Nachbildung eines
shakespearcschcn Originals. In den Geschichten der deutschen Dichtung und der
deutschen Bühnendichtung insbesondere sucht man aber vergebens darnach; denn


wieder entdeckt wurde, wenigstens in einigen seiner Stücke, wo nicht dem Na¬
men nach, den Deutschen bekannt gewesen, hat neuere Forschung klar heraus¬
gestellt. Schon im sechzehnten Jahrhundert zogen die sogenannten englischen
Komödianten durch das Reich. Gauklerbanden, die das hohe und niedere
Publicum zunächst durch Kunststücke aller Art. dann auch durch Schauspiele mit
allerlei aufregenden Scenen, blutigen Mordthaten, Hinrichtungen. Tyrannen
und Teufeln im Geschmack der Zeit vergnügten, zu denen ihnen als Grund¬
lage Dramen von Shakespeare und dessen Zeitgenossen dienten. In ähnlicher
Weise verfuhren die meist aus verlaufenen Studenten zusammengesetzten Wander-
gcscllschaften deutscher Herkunft, die auch die Producte heimischer Poeten benutzten.
Doch mußte man sich diese sowie Shakespeares Dramen nach den bisher be¬
kannten Proben als tief ins Prosaische, Bänkelsängerhafte und Wüste gezogen
vorstellen, die Clowns ihrer Persönlichkeit entkleidet oder durch den einen Hans¬
wurst ersetzt, der nicht Person, nicht Individuum, sondern in seinem ganzen
Empfinden und Thu» nur die verkörperte Lust der namentlich durch den
dreißigjährigen Krieg furchtbar herabgekommenen niedern Classe, alles, auch das
Edelste und Zarteste, in den Koth zu ziehen, nur die menschgewordene Gemein¬
heit und Pöbelhaftigkeit war. Der Schwung Shakespeares wurde von seinen
Verarbeitcrn in Schwulst verwandelt, an die Stelle seines Humors trat der
reine unverfälschte Blödsinn, seine Ironie wurde in Hanswursts Munde zur
Gefühllosigkeit, zur Freude am Schlechten, zum Sieg der Bestialität über
den Geist. Der Wahlspruch Hanswurste war: „Es muß alles verruinirt
werden."

Ist diese Vorstellung von der deutschen Volksbühne im siebzehnten Jahr-
hundert. im Allgemeinen richtig, und wird dieser klägliche Zustand derselben
(Dichter wie Gryphius schrieben für die bloße Lectüre und nach antiken Vor¬
bildern, daher zu gelehrt für das Volk, anch Weise war zu steif und langweilig,
um auf dem Volkstheater beliebt werden zu können) sich nach dem großen
Kriege nur gesteigert und verallgemeinert haben, so scheint die Regel doch nicht
ohne Ausnahmen gewesen zu sein, und zwar selbst nicht in der am meisten
verwilderten Zeit.

So wenigstens läßt uns die oben angeführte Bearbeitung des bekannten
shakespearcschcn Lustspiels schließen, die bisher, wenigstens den-Literarhistorikern
der neuesten Zeit, so gut wie unbekannt war. Gottsched erwähnt das Stück zwar,
setzt es aber in ein falsches Jahr (16S3) und weiß überdies nicht, daß es zu
Shakespeares Komödie in nächster Verwandtschaft steht. Eschenburg gedenkt
desselben und zugleich seiner Beziehung zur „Zähmung einer Widerspenstigen".
Auch Simrock und einige andere Forscher kennen es als Nachbildung eines
shakespearcschcn Originals. In den Geschichten der deutschen Dichtung und der
deutschen Bühnendichtung insbesondere sucht man aber vergebens darnach; denn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188960"/>
          <p xml:id="ID_1342" prev="#ID_1341"> wieder entdeckt wurde, wenigstens in einigen seiner Stücke, wo nicht dem Na¬<lb/>
men nach, den Deutschen bekannt gewesen, hat neuere Forschung klar heraus¬<lb/>
gestellt. Schon im sechzehnten Jahrhundert zogen die sogenannten englischen<lb/>
Komödianten durch das Reich. Gauklerbanden, die das hohe und niedere<lb/>
Publicum zunächst durch Kunststücke aller Art. dann auch durch Schauspiele mit<lb/>
allerlei aufregenden Scenen, blutigen Mordthaten, Hinrichtungen. Tyrannen<lb/>
und Teufeln im Geschmack der Zeit vergnügten, zu denen ihnen als Grund¬<lb/>
lage Dramen von Shakespeare und dessen Zeitgenossen dienten. In ähnlicher<lb/>
Weise verfuhren die meist aus verlaufenen Studenten zusammengesetzten Wander-<lb/>
gcscllschaften deutscher Herkunft, die auch die Producte heimischer Poeten benutzten.<lb/>
Doch mußte man sich diese sowie Shakespeares Dramen nach den bisher be¬<lb/>
kannten Proben als tief ins Prosaische, Bänkelsängerhafte und Wüste gezogen<lb/>
vorstellen, die Clowns ihrer Persönlichkeit entkleidet oder durch den einen Hans¬<lb/>
wurst ersetzt, der nicht Person, nicht Individuum, sondern in seinem ganzen<lb/>
Empfinden und Thu» nur die verkörperte Lust der namentlich durch den<lb/>
dreißigjährigen Krieg furchtbar herabgekommenen niedern Classe, alles, auch das<lb/>
Edelste und Zarteste, in den Koth zu ziehen, nur die menschgewordene Gemein¬<lb/>
heit und Pöbelhaftigkeit war. Der Schwung Shakespeares wurde von seinen<lb/>
Verarbeitcrn in Schwulst verwandelt, an die Stelle seines Humors trat der<lb/>
reine unverfälschte Blödsinn, seine Ironie wurde in Hanswursts Munde zur<lb/>
Gefühllosigkeit, zur Freude am Schlechten, zum Sieg der Bestialität über<lb/>
den Geist. Der Wahlspruch Hanswurste war: &#x201E;Es muß alles verruinirt<lb/>
werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1343"> Ist diese Vorstellung von der deutschen Volksbühne im siebzehnten Jahr-<lb/>
hundert. im Allgemeinen richtig, und wird dieser klägliche Zustand derselben<lb/>
(Dichter wie Gryphius schrieben für die bloße Lectüre und nach antiken Vor¬<lb/>
bildern, daher zu gelehrt für das Volk, anch Weise war zu steif und langweilig,<lb/>
um auf dem Volkstheater beliebt werden zu können) sich nach dem großen<lb/>
Kriege nur gesteigert und verallgemeinert haben, so scheint die Regel doch nicht<lb/>
ohne Ausnahmen gewesen zu sein, und zwar selbst nicht in der am meisten<lb/>
verwilderten Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1344" next="#ID_1345"> So wenigstens läßt uns die oben angeführte Bearbeitung des bekannten<lb/>
shakespearcschcn Lustspiels schließen, die bisher, wenigstens den-Literarhistorikern<lb/>
der neuesten Zeit, so gut wie unbekannt war. Gottsched erwähnt das Stück zwar,<lb/>
setzt es aber in ein falsches Jahr (16S3) und weiß überdies nicht, daß es zu<lb/>
Shakespeares Komödie in nächster Verwandtschaft steht. Eschenburg gedenkt<lb/>
desselben und zugleich seiner Beziehung zur &#x201E;Zähmung einer Widerspenstigen".<lb/>
Auch Simrock und einige andere Forscher kennen es als Nachbildung eines<lb/>
shakespearcschcn Originals. In den Geschichten der deutschen Dichtung und der<lb/>
deutschen Bühnendichtung insbesondere sucht man aber vergebens darnach; denn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] wieder entdeckt wurde, wenigstens in einigen seiner Stücke, wo nicht dem Na¬ men nach, den Deutschen bekannt gewesen, hat neuere Forschung klar heraus¬ gestellt. Schon im sechzehnten Jahrhundert zogen die sogenannten englischen Komödianten durch das Reich. Gauklerbanden, die das hohe und niedere Publicum zunächst durch Kunststücke aller Art. dann auch durch Schauspiele mit allerlei aufregenden Scenen, blutigen Mordthaten, Hinrichtungen. Tyrannen und Teufeln im Geschmack der Zeit vergnügten, zu denen ihnen als Grund¬ lage Dramen von Shakespeare und dessen Zeitgenossen dienten. In ähnlicher Weise verfuhren die meist aus verlaufenen Studenten zusammengesetzten Wander- gcscllschaften deutscher Herkunft, die auch die Producte heimischer Poeten benutzten. Doch mußte man sich diese sowie Shakespeares Dramen nach den bisher be¬ kannten Proben als tief ins Prosaische, Bänkelsängerhafte und Wüste gezogen vorstellen, die Clowns ihrer Persönlichkeit entkleidet oder durch den einen Hans¬ wurst ersetzt, der nicht Person, nicht Individuum, sondern in seinem ganzen Empfinden und Thu» nur die verkörperte Lust der namentlich durch den dreißigjährigen Krieg furchtbar herabgekommenen niedern Classe, alles, auch das Edelste und Zarteste, in den Koth zu ziehen, nur die menschgewordene Gemein¬ heit und Pöbelhaftigkeit war. Der Schwung Shakespeares wurde von seinen Verarbeitcrn in Schwulst verwandelt, an die Stelle seines Humors trat der reine unverfälschte Blödsinn, seine Ironie wurde in Hanswursts Munde zur Gefühllosigkeit, zur Freude am Schlechten, zum Sieg der Bestialität über den Geist. Der Wahlspruch Hanswurste war: „Es muß alles verruinirt werden." Ist diese Vorstellung von der deutschen Volksbühne im siebzehnten Jahr- hundert. im Allgemeinen richtig, und wird dieser klägliche Zustand derselben (Dichter wie Gryphius schrieben für die bloße Lectüre und nach antiken Vor¬ bildern, daher zu gelehrt für das Volk, anch Weise war zu steif und langweilig, um auf dem Volkstheater beliebt werden zu können) sich nach dem großen Kriege nur gesteigert und verallgemeinert haben, so scheint die Regel doch nicht ohne Ausnahmen gewesen zu sein, und zwar selbst nicht in der am meisten verwilderten Zeit. So wenigstens läßt uns die oben angeführte Bearbeitung des bekannten shakespearcschcn Lustspiels schließen, die bisher, wenigstens den-Literarhistorikern der neuesten Zeit, so gut wie unbekannt war. Gottsched erwähnt das Stück zwar, setzt es aber in ein falsches Jahr (16S3) und weiß überdies nicht, daß es zu Shakespeares Komödie in nächster Verwandtschaft steht. Eschenburg gedenkt desselben und zugleich seiner Beziehung zur „Zähmung einer Widerspenstigen". Auch Simrock und einige andere Forscher kennen es als Nachbildung eines shakespearcschcn Originals. In den Geschichten der deutschen Dichtung und der deutschen Bühnendichtung insbesondere sucht man aber vergebens darnach; denn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/399>, abgerufen am 23.07.2024.