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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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in mehr als einer Stadt ein "Gablcnzplatz", eine "Oeverseebrücke", eine "Veilc-
stiege" oder ein "Gondrecvurtanger" zu finden sein. In Wien wurde gar der
sinnreiche Vorschlag gemacht, in dem -- bekanntlich wiederholt zum Stichblatte
guter und schlechter Witze gewordenen -- Stadtparte drei junge Eichen zu
Pflanzen und denselben die Namen "Obersell". "Oeversee" und "Vene" zu
geben, damit, wie man sagte, "auch die kommenden Jahrhunderte an die Tha¬
ten der Oestreichs gegen die Dänen erinnert würden."

Obwohl der gesunde Sinn des groben Publicums diesen Lächerlichkeiten
im Allgemeinen fern bleibt, giebt es doch Einzelne, welche, theils um sich be¬
merkbar zu machen und das Wohlgefallen der "höchsten und allerhöchsten Herr¬
schaften" zu erlangen, theils im Solde der Negierung. theils aus purer Ein¬
falt sich zu gleichen Uebertreibungen und Lobhudeleien gebrauchen lassen. --
Die Extrablätter der Zeitungen, die zahlreichen Illustrationen der Gefechte und
die zum Verkaufe aufgehängten Portraits "der Helden vom Königsberg und
von Oeversee" entspringen mehr der Nothwendigkeit, die Neu- und Wißbegierde
des Publicums zu befriedigen, und der Speculation; dieselben dürfen also
nicht hierher gerechnet werden. Ebenso die officiellen und halbofsiciellen Blät¬
ter, da diese eben nur nachschreiben mußten, was man ihnen dictirte. Indessen
gab es auch unabhängige und sogar liberal sein wollende Journale. welche die
ruhmreichen Thaten der Oestreicher bis in den Himmel erhoben, alles Andere
aber energisch mit Schmutz bewarfen. Kaufleute und Fabrikanten suchten ihre
Artikel in Mode zu bringen, wenn sie denselben die Namen der in den Be¬
richten vom Kriegsschauplatz eine Rolle spielenden Männer und Ortschaften
beilegten, mochte es nun passen oder nicht. Einer hing gar ein Gondrccourt-
Schnürleibchen heraus, mußte es aber auf Geheiß der Polizei wieder beseitigen.
Stuwer gab ein Feuerwerk, dessen eine Abtheilung den Titel "der Angriff der
Oestreicher auf Beile in Sahle s wi g" führte. Der gute Mann mochte eben noch
nichts von Jütland gehört haben.

Auch auf die Bühne verpflanzte sich dieser Schwindel. Tableaus, lebende
Bilder und Ovationen aus dem Stegreif waren das Geringste. Dann kam
auch ein Gablenz-Marsch, beiläufig- eine Piece ohne Melodie und Charakter,
und diesem folgten die verschiedennamigen Erzeugnisse der Dichter der Volks¬
bühne. Das Großartigste in diesem Genre leistete der Redacteur des ..Hanns
Jörgel". Dieser rührige und in früherer Zeit für liberal gehaltene Schriftsteller
scheint neuerlich sich um jeden Preis die Gunst der Regierung erwerben zu
wollen, wofern er nicht bereits in deren Diensten steht. Nachdem er in dem
genannten Blatte, welches bekanntlich eine im Dialekt des wiener Pöbels ge¬
schriebene Scandalchronik aller irgendwo von den Landsleuten (Niederöstreichern)
des Verfassers etwa begangenen Unverschämtheiten und Gemeinheiten und eine
unerschöpfliche Sammlung von wiener Abderitenstreichen ist und eben darum
von jedem gebildeten Wiener ungelesen bleibt, hohe Politik zu treiben begonnen


Grenzboten II. 1864. 4t)

in mehr als einer Stadt ein „Gablcnzplatz", eine „Oeverseebrücke", eine „Veilc-
stiege" oder ein „Gondrecvurtanger" zu finden sein. In Wien wurde gar der
sinnreiche Vorschlag gemacht, in dem — bekanntlich wiederholt zum Stichblatte
guter und schlechter Witze gewordenen — Stadtparte drei junge Eichen zu
Pflanzen und denselben die Namen „Obersell". „Oeversee" und „Vene" zu
geben, damit, wie man sagte, „auch die kommenden Jahrhunderte an die Tha¬
ten der Oestreichs gegen die Dänen erinnert würden."

Obwohl der gesunde Sinn des groben Publicums diesen Lächerlichkeiten
im Allgemeinen fern bleibt, giebt es doch Einzelne, welche, theils um sich be¬
merkbar zu machen und das Wohlgefallen der „höchsten und allerhöchsten Herr¬
schaften" zu erlangen, theils im Solde der Negierung. theils aus purer Ein¬
falt sich zu gleichen Uebertreibungen und Lobhudeleien gebrauchen lassen. —
Die Extrablätter der Zeitungen, die zahlreichen Illustrationen der Gefechte und
die zum Verkaufe aufgehängten Portraits „der Helden vom Königsberg und
von Oeversee" entspringen mehr der Nothwendigkeit, die Neu- und Wißbegierde
des Publicums zu befriedigen, und der Speculation; dieselben dürfen also
nicht hierher gerechnet werden. Ebenso die officiellen und halbofsiciellen Blät¬
ter, da diese eben nur nachschreiben mußten, was man ihnen dictirte. Indessen
gab es auch unabhängige und sogar liberal sein wollende Journale. welche die
ruhmreichen Thaten der Oestreicher bis in den Himmel erhoben, alles Andere
aber energisch mit Schmutz bewarfen. Kaufleute und Fabrikanten suchten ihre
Artikel in Mode zu bringen, wenn sie denselben die Namen der in den Be¬
richten vom Kriegsschauplatz eine Rolle spielenden Männer und Ortschaften
beilegten, mochte es nun passen oder nicht. Einer hing gar ein Gondrccourt-
Schnürleibchen heraus, mußte es aber auf Geheiß der Polizei wieder beseitigen.
Stuwer gab ein Feuerwerk, dessen eine Abtheilung den Titel „der Angriff der
Oestreicher auf Beile in Sahle s wi g" führte. Der gute Mann mochte eben noch
nichts von Jütland gehört haben.

Auch auf die Bühne verpflanzte sich dieser Schwindel. Tableaus, lebende
Bilder und Ovationen aus dem Stegreif waren das Geringste. Dann kam
auch ein Gablenz-Marsch, beiläufig- eine Piece ohne Melodie und Charakter,
und diesem folgten die verschiedennamigen Erzeugnisse der Dichter der Volks¬
bühne. Das Großartigste in diesem Genre leistete der Redacteur des ..Hanns
Jörgel". Dieser rührige und in früherer Zeit für liberal gehaltene Schriftsteller
scheint neuerlich sich um jeden Preis die Gunst der Regierung erwerben zu
wollen, wofern er nicht bereits in deren Diensten steht. Nachdem er in dem
genannten Blatte, welches bekanntlich eine im Dialekt des wiener Pöbels ge¬
schriebene Scandalchronik aller irgendwo von den Landsleuten (Niederöstreichern)
des Verfassers etwa begangenen Unverschämtheiten und Gemeinheiten und eine
unerschöpfliche Sammlung von wiener Abderitenstreichen ist und eben darum
von jedem gebildeten Wiener ungelesen bleibt, hohe Politik zu treiben begonnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/361>, abgerufen am 23.07.2024.