Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Toback-Stengel, es gab ein beständiges Gelächter, weil alles im Laufen über
sich sah, und folglich viele drollige Fälle, Stösse und Wendungen sich ereig¬
neten; denn es sah just aus, als ob die Einwohner einer volkreichen Stadt
Vor einem großen Unglück flohen, und wer einmal im Strom war, der mußte
entweder mit fortlauffen oder sich derb zerstoßen lassen.

Während dieser lächerlichen Jagd dem Dorfe Thon zu. ereignete sichs. daß
ein Haas aufgejagt wurde, und ungeachtet aller seiner Eilfertigkeit und listigen
Wendungen, gelang es ihm doch nicht das Freye zu erreichen, der Jäger waren
zuviel, das arme Thier wurde erhascht, und da ein jeder an dieser merkwür¬
digen Luftfahrtshaascnjagd Antheil haben wollte, in einer Minute in hundert
Stücke zerrissen. Der eine hatte ein Ohr, der andere einen halben Laus, der
dritte in seinen blutigen Händen ein paar Haare.

Herr Vlanchard flog unterdessen immer nach der nördlichen Gegend zur
linken Seite der Erlanger Chaussee weg, und schien eine Viertelstunde lang
als an die Wolken geheftet, nur mit dem Unterschiede, daß sein Ballon immer
kleiner und zuletzt so klein als ein Zwirnknäulchcn wurde. Doch blieb er be¬
ständig sichtbar. Um zwölf Uhr zwölf Minuten bemerkte man. daß er ziemlich
schnell herabsank, wie er denn auch ein Viertel auf ein Uhr, an dem Wege
beym Boxdorfer Wäldchen nach Braunsbach zu. eine gute Meile von dem Ort
der Auffahrt sich glücklich niederließ, und durch zween Studenten zu Pferde
und einige herbcygccilte Boxdorfer Bauern beym Seil ergriffen wurde.

Da der zur Erde niedergesunkene Aeronaute nicht deutsch und die ihn zu¬
erst ergriffen, nicht französisch verstünden, so gab es eine artige Scene: Er
rief ihnen immer zu: en d-is, M das, sie sollten niederziehen, um die Gondel
zur Erde zu bringen; die Bauern hingegen meinten sie sollten das Seil aus¬
lassen, und waren just auf dem Punkt solches zu thun, als ihnen die anderen
dazukommenden Leute bedeuteten, sie müsten niederziehen und die Gondel mit
den Händen ergreifen, sonst flöge das Ding wieder in die Höhe. In der That
erstaunten sie über die Maßen, daß sie anstatt zu tragen, wie sie glaubten,
unter sich drücken müsten. ..Da dieser Herr," sagten sie. ..auf unserm Grund
und Boden vom Himmel kam, so lassen wir uns auch das Necht nicht nehmen,
ihn, wo er hergekommen ist. hinzubringen," und erhuben ein Freuden-Ge¬
schrey, worein die immer mehr herbeygekommenen Reuter und Fußgänger treulich
mit einstimmt.en. Die Gondel wurde dergestalt umringt und begleitet, daß
Herr Blanchard kaum heraussehen konnte.

Herr Blanchard wurde stehend in seiner Gondel mit dem über ihm schwe¬
benden und noch nicht entkräfteter Ballon, welcher jetzt, da etwa der vierte
Theil Luft herausgelassen war. die Gestalt'einer Birn hatte, nach der Stadt
gezogen. Sogleich kamen auch Se. Hochfürstliche Durchlaucht von Ansvach-
Bayreuth herbeygesvrengt. und Herr Blanchard hatte das Glück Höchstdieselbe


Grenzbote" II. 18K4.

Toback-Stengel, es gab ein beständiges Gelächter, weil alles im Laufen über
sich sah, und folglich viele drollige Fälle, Stösse und Wendungen sich ereig¬
neten; denn es sah just aus, als ob die Einwohner einer volkreichen Stadt
Vor einem großen Unglück flohen, und wer einmal im Strom war, der mußte
entweder mit fortlauffen oder sich derb zerstoßen lassen.

Während dieser lächerlichen Jagd dem Dorfe Thon zu. ereignete sichs. daß
ein Haas aufgejagt wurde, und ungeachtet aller seiner Eilfertigkeit und listigen
Wendungen, gelang es ihm doch nicht das Freye zu erreichen, der Jäger waren
zuviel, das arme Thier wurde erhascht, und da ein jeder an dieser merkwür¬
digen Luftfahrtshaascnjagd Antheil haben wollte, in einer Minute in hundert
Stücke zerrissen. Der eine hatte ein Ohr, der andere einen halben Laus, der
dritte in seinen blutigen Händen ein paar Haare.

Herr Vlanchard flog unterdessen immer nach der nördlichen Gegend zur
linken Seite der Erlanger Chaussee weg, und schien eine Viertelstunde lang
als an die Wolken geheftet, nur mit dem Unterschiede, daß sein Ballon immer
kleiner und zuletzt so klein als ein Zwirnknäulchcn wurde. Doch blieb er be¬
ständig sichtbar. Um zwölf Uhr zwölf Minuten bemerkte man. daß er ziemlich
schnell herabsank, wie er denn auch ein Viertel auf ein Uhr, an dem Wege
beym Boxdorfer Wäldchen nach Braunsbach zu. eine gute Meile von dem Ort
der Auffahrt sich glücklich niederließ, und durch zween Studenten zu Pferde
und einige herbcygccilte Boxdorfer Bauern beym Seil ergriffen wurde.

Da der zur Erde niedergesunkene Aeronaute nicht deutsch und die ihn zu¬
erst ergriffen, nicht französisch verstünden, so gab es eine artige Scene: Er
rief ihnen immer zu: en d-is, M das, sie sollten niederziehen, um die Gondel
zur Erde zu bringen; die Bauern hingegen meinten sie sollten das Seil aus¬
lassen, und waren just auf dem Punkt solches zu thun, als ihnen die anderen
dazukommenden Leute bedeuteten, sie müsten niederziehen und die Gondel mit
den Händen ergreifen, sonst flöge das Ding wieder in die Höhe. In der That
erstaunten sie über die Maßen, daß sie anstatt zu tragen, wie sie glaubten,
unter sich drücken müsten. ..Da dieser Herr," sagten sie. ..auf unserm Grund
und Boden vom Himmel kam, so lassen wir uns auch das Necht nicht nehmen,
ihn, wo er hergekommen ist. hinzubringen," und erhuben ein Freuden-Ge¬
schrey, worein die immer mehr herbeygekommenen Reuter und Fußgänger treulich
mit einstimmt.en. Die Gondel wurde dergestalt umringt und begleitet, daß
Herr Blanchard kaum heraussehen konnte.

Herr Blanchard wurde stehend in seiner Gondel mit dem über ihm schwe¬
benden und noch nicht entkräfteter Ballon, welcher jetzt, da etwa der vierte
Theil Luft herausgelassen war. die Gestalt'einer Birn hatte, nach der Stadt
gezogen. Sogleich kamen auch Se. Hochfürstliche Durchlaucht von Ansvach-
Bayreuth herbeygesvrengt. und Herr Blanchard hatte das Glück Höchstdieselbe


Grenzbote» II. 18K4.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188914"/>
          <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> Toback-Stengel, es gab ein beständiges Gelächter, weil alles im Laufen über<lb/>
sich sah, und folglich viele drollige Fälle, Stösse und Wendungen sich ereig¬<lb/>
neten; denn es sah just aus, als ob die Einwohner einer volkreichen Stadt<lb/>
Vor einem großen Unglück flohen, und wer einmal im Strom war, der mußte<lb/>
entweder mit fortlauffen oder sich derb zerstoßen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1173"> Während dieser lächerlichen Jagd dem Dorfe Thon zu. ereignete sichs. daß<lb/>
ein Haas aufgejagt wurde, und ungeachtet aller seiner Eilfertigkeit und listigen<lb/>
Wendungen, gelang es ihm doch nicht das Freye zu erreichen, der Jäger waren<lb/>
zuviel, das arme Thier wurde erhascht, und da ein jeder an dieser merkwür¬<lb/>
digen Luftfahrtshaascnjagd Antheil haben wollte, in einer Minute in hundert<lb/>
Stücke zerrissen. Der eine hatte ein Ohr, der andere einen halben Laus, der<lb/>
dritte in seinen blutigen Händen ein paar Haare.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1174"> Herr Vlanchard flog unterdessen immer nach der nördlichen Gegend zur<lb/>
linken Seite der Erlanger Chaussee weg, und schien eine Viertelstunde lang<lb/>
als an die Wolken geheftet, nur mit dem Unterschiede, daß sein Ballon immer<lb/>
kleiner und zuletzt so klein als ein Zwirnknäulchcn wurde. Doch blieb er be¬<lb/>
ständig sichtbar. Um zwölf Uhr zwölf Minuten bemerkte man. daß er ziemlich<lb/>
schnell herabsank, wie er denn auch ein Viertel auf ein Uhr, an dem Wege<lb/>
beym Boxdorfer Wäldchen nach Braunsbach zu. eine gute Meile von dem Ort<lb/>
der Auffahrt sich glücklich niederließ, und durch zween Studenten zu Pferde<lb/>
und einige herbcygccilte Boxdorfer Bauern beym Seil ergriffen wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1175"> Da der zur Erde niedergesunkene Aeronaute nicht deutsch und die ihn zu¬<lb/>
erst ergriffen, nicht französisch verstünden, so gab es eine artige Scene: Er<lb/>
rief ihnen immer zu: en d-is, M das, sie sollten niederziehen, um die Gondel<lb/>
zur Erde zu bringen; die Bauern hingegen meinten sie sollten das Seil aus¬<lb/>
lassen, und waren just auf dem Punkt solches zu thun, als ihnen die anderen<lb/>
dazukommenden Leute bedeuteten, sie müsten niederziehen und die Gondel mit<lb/>
den Händen ergreifen, sonst flöge das Ding wieder in die Höhe. In der That<lb/>
erstaunten sie über die Maßen, daß sie anstatt zu tragen, wie sie glaubten,<lb/>
unter sich drücken müsten. ..Da dieser Herr," sagten sie. ..auf unserm Grund<lb/>
und Boden vom Himmel kam, so lassen wir uns auch das Necht nicht nehmen,<lb/>
ihn, wo er hergekommen ist. hinzubringen," und erhuben ein Freuden-Ge¬<lb/>
schrey, worein die immer mehr herbeygekommenen Reuter und Fußgänger treulich<lb/>
mit einstimmt.en. Die Gondel wurde dergestalt umringt und begleitet, daß<lb/>
Herr Blanchard kaum heraussehen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1176" next="#ID_1177"> Herr Blanchard wurde stehend in seiner Gondel mit dem über ihm schwe¬<lb/>
benden und noch nicht entkräfteter Ballon, welcher jetzt, da etwa der vierte<lb/>
Theil Luft herausgelassen war. die Gestalt'einer Birn hatte, nach der Stadt<lb/>
gezogen. Sogleich kamen auch Se. Hochfürstliche Durchlaucht von Ansvach-<lb/>
Bayreuth herbeygesvrengt. und Herr Blanchard hatte das Glück Höchstdieselbe</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbote» II. 18K4.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] Toback-Stengel, es gab ein beständiges Gelächter, weil alles im Laufen über sich sah, und folglich viele drollige Fälle, Stösse und Wendungen sich ereig¬ neten; denn es sah just aus, als ob die Einwohner einer volkreichen Stadt Vor einem großen Unglück flohen, und wer einmal im Strom war, der mußte entweder mit fortlauffen oder sich derb zerstoßen lassen. Während dieser lächerlichen Jagd dem Dorfe Thon zu. ereignete sichs. daß ein Haas aufgejagt wurde, und ungeachtet aller seiner Eilfertigkeit und listigen Wendungen, gelang es ihm doch nicht das Freye zu erreichen, der Jäger waren zuviel, das arme Thier wurde erhascht, und da ein jeder an dieser merkwür¬ digen Luftfahrtshaascnjagd Antheil haben wollte, in einer Minute in hundert Stücke zerrissen. Der eine hatte ein Ohr, der andere einen halben Laus, der dritte in seinen blutigen Händen ein paar Haare. Herr Vlanchard flog unterdessen immer nach der nördlichen Gegend zur linken Seite der Erlanger Chaussee weg, und schien eine Viertelstunde lang als an die Wolken geheftet, nur mit dem Unterschiede, daß sein Ballon immer kleiner und zuletzt so klein als ein Zwirnknäulchcn wurde. Doch blieb er be¬ ständig sichtbar. Um zwölf Uhr zwölf Minuten bemerkte man. daß er ziemlich schnell herabsank, wie er denn auch ein Viertel auf ein Uhr, an dem Wege beym Boxdorfer Wäldchen nach Braunsbach zu. eine gute Meile von dem Ort der Auffahrt sich glücklich niederließ, und durch zween Studenten zu Pferde und einige herbcygccilte Boxdorfer Bauern beym Seil ergriffen wurde. Da der zur Erde niedergesunkene Aeronaute nicht deutsch und die ihn zu¬ erst ergriffen, nicht französisch verstünden, so gab es eine artige Scene: Er rief ihnen immer zu: en d-is, M das, sie sollten niederziehen, um die Gondel zur Erde zu bringen; die Bauern hingegen meinten sie sollten das Seil aus¬ lassen, und waren just auf dem Punkt solches zu thun, als ihnen die anderen dazukommenden Leute bedeuteten, sie müsten niederziehen und die Gondel mit den Händen ergreifen, sonst flöge das Ding wieder in die Höhe. In der That erstaunten sie über die Maßen, daß sie anstatt zu tragen, wie sie glaubten, unter sich drücken müsten. ..Da dieser Herr," sagten sie. ..auf unserm Grund und Boden vom Himmel kam, so lassen wir uns auch das Necht nicht nehmen, ihn, wo er hergekommen ist. hinzubringen," und erhuben ein Freuden-Ge¬ schrey, worein die immer mehr herbeygekommenen Reuter und Fußgänger treulich mit einstimmt.en. Die Gondel wurde dergestalt umringt und begleitet, daß Herr Blanchard kaum heraussehen konnte. Herr Blanchard wurde stehend in seiner Gondel mit dem über ihm schwe¬ benden und noch nicht entkräfteter Ballon, welcher jetzt, da etwa der vierte Theil Luft herausgelassen war. die Gestalt'einer Birn hatte, nach der Stadt gezogen. Sogleich kamen auch Se. Hochfürstliche Durchlaucht von Ansvach- Bayreuth herbeygesvrengt. und Herr Blanchard hatte das Glück Höchstdieselbe Grenzbote» II. 18K4.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/353>, abgerufen am 23.07.2024.