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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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nicht jeden Tag durch dasselbe Thor. Indeß erhielt man doch seine Post heut
von München, morgen von Dresden, den nächsten Tag vielleicht von Hamburg.
Auch hatte fast jede größere Stadt-ihre Zeitung, aber auch diese kleinen Blätter
wurden in der Regel nur dreimal wöchentlich ausgegeben, und die Anzeige¬
blätter des Ortes, welche seit etwa sechszig Jahren eingerichtet waren, an
vielen Orten nur wöchentlich einmal., Und diese regelmäßigen Boten aus der
Welt deckten im Ganzen das Bedürfniß -jener Zeit ausreichend. Zwar wurde
viel über die schlechten Straßen und die langsamen Posten des Reiches geklagt,
aber Warenverkehr und Geschäfte, Credit und Kundschaft waren darauf ein¬
gerichtet, die Abonnenten der meisten Blätter scheinen nicht so zahlreich gewesen
zu sein, daß diese einen wesentlichen Ertrag gewährten, und die Zahl derer,
welche politische Nachrichten aus andern Gegenden Deutschlands und aus frem¬
den Ländern mit dauerndem Interesse lasen, war verhältnißmäßig gering. Und
Solche suchten immer noch aus einzelnen Hauptstädten geschriebene Zeitungen
zu erhalten, deren Abfassung bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
ein Industriezweig war, der jetzt etwa in den lithographirten Korrespondenzen,
den Circularen einiger großen Handelshäuser und hier und da in Diplomaten¬
briefen fortdauert oder neu eingerichtet wird.

Dagegen war nach andern Richtungen der unverwüstliche Trieb der Seele,
neue Nahrung einzunehmen, lebhafter angeregt als jetzt. Die Neuigkeiten der
Stadt selbst und des Privatlebens darin beschäftigten große und kleine Leute
so ernsthaft, ja leidenschaftlich, daß es uns gar nicht leicht wird, diese thätige
Aufnahme zu begreifen. Der Klatsch war unaufhörlich erbittert und bösartig,
und das Gek'lätsch unserer kleinen Residenzen ist dagegen gehalten voll gro߬
artiger Duldsamkeit mit fremde" Schwäche". Jedermann wurde heftig durch
solches Persönliche afficirt; was man mit angenehmem Schauder vom lieben
Nächsten hörte, trug man mit dem größten Eifer weiter. Und es war Freun¬
despflicht dergleichen den Angegriffenen selbst mitzutheilen. Wie schwer üble
Nachrede überwunden wurde, erkennen wir aus zahlreiche" biographischen Auf¬
zeichnungen jener Zeit. Die Klage über Verleumdung, über Mißgunst und
neidische Intrigue" kehrt immer wieder, und die Versicherungen der Klagenden,
daß sie dieselben christlich und unbeirrt ertrugen, läßt jedenfalls merken, wie
verdienstlich ihnen ihre Festigkeit erschien. Außer den mündlichen Angriffen
wurden auch geschriebene, oft in Versen, herumgetragen, zuweilen gedruckt, sie
waren natürlich anonym, aber da die ganze Stadt mit lebhaftem Interesse den
Verfasser suchte, gelang es ihm doch selten unbekannt zu bleiben. Mehr als
einmal wurde die Obrigkeit gegen dergleichen Pamphlete zu Hilfe gerufen, und
noch damals waren strenge Edicte des Rathes nicht ungewöhnlich, in denen
die Verfasser und Verbreiter von "Libellen" kräftig betraut wurden. Denn ein
strenger Rath und hohe Obrigkeit waren selbst darin äußerst empfindlich, auch


nicht jeden Tag durch dasselbe Thor. Indeß erhielt man doch seine Post heut
von München, morgen von Dresden, den nächsten Tag vielleicht von Hamburg.
Auch hatte fast jede größere Stadt-ihre Zeitung, aber auch diese kleinen Blätter
wurden in der Regel nur dreimal wöchentlich ausgegeben, und die Anzeige¬
blätter des Ortes, welche seit etwa sechszig Jahren eingerichtet waren, an
vielen Orten nur wöchentlich einmal., Und diese regelmäßigen Boten aus der
Welt deckten im Ganzen das Bedürfniß -jener Zeit ausreichend. Zwar wurde
viel über die schlechten Straßen und die langsamen Posten des Reiches geklagt,
aber Warenverkehr und Geschäfte, Credit und Kundschaft waren darauf ein¬
gerichtet, die Abonnenten der meisten Blätter scheinen nicht so zahlreich gewesen
zu sein, daß diese einen wesentlichen Ertrag gewährten, und die Zahl derer,
welche politische Nachrichten aus andern Gegenden Deutschlands und aus frem¬
den Ländern mit dauerndem Interesse lasen, war verhältnißmäßig gering. Und
Solche suchten immer noch aus einzelnen Hauptstädten geschriebene Zeitungen
zu erhalten, deren Abfassung bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
ein Industriezweig war, der jetzt etwa in den lithographirten Korrespondenzen,
den Circularen einiger großen Handelshäuser und hier und da in Diplomaten¬
briefen fortdauert oder neu eingerichtet wird.

Dagegen war nach andern Richtungen der unverwüstliche Trieb der Seele,
neue Nahrung einzunehmen, lebhafter angeregt als jetzt. Die Neuigkeiten der
Stadt selbst und des Privatlebens darin beschäftigten große und kleine Leute
so ernsthaft, ja leidenschaftlich, daß es uns gar nicht leicht wird, diese thätige
Aufnahme zu begreifen. Der Klatsch war unaufhörlich erbittert und bösartig,
und das Gek'lätsch unserer kleinen Residenzen ist dagegen gehalten voll gro߬
artiger Duldsamkeit mit fremde» Schwäche». Jedermann wurde heftig durch
solches Persönliche afficirt; was man mit angenehmem Schauder vom lieben
Nächsten hörte, trug man mit dem größten Eifer weiter. Und es war Freun¬
despflicht dergleichen den Angegriffenen selbst mitzutheilen. Wie schwer üble
Nachrede überwunden wurde, erkennen wir aus zahlreiche» biographischen Auf¬
zeichnungen jener Zeit. Die Klage über Verleumdung, über Mißgunst und
neidische Intrigue» kehrt immer wieder, und die Versicherungen der Klagenden,
daß sie dieselben christlich und unbeirrt ertrugen, läßt jedenfalls merken, wie
verdienstlich ihnen ihre Festigkeit erschien. Außer den mündlichen Angriffen
wurden auch geschriebene, oft in Versen, herumgetragen, zuweilen gedruckt, sie
waren natürlich anonym, aber da die ganze Stadt mit lebhaftem Interesse den
Verfasser suchte, gelang es ihm doch selten unbekannt zu bleiben. Mehr als
einmal wurde die Obrigkeit gegen dergleichen Pamphlete zu Hilfe gerufen, und
noch damals waren strenge Edicte des Rathes nicht ungewöhnlich, in denen
die Verfasser und Verbreiter von „Libellen" kräftig betraut wurden. Denn ein
strenger Rath und hohe Obrigkeit waren selbst darin äußerst empfindlich, auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/346>, abgerufen am 23.07.2024.