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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Was endlich die siebzehnte "Machtgruppe" anlangt, so ist zu beklagen,
daß "das Charakterbild der Städtecurie zur Zeit noch in der Geschichte schwankt".
Lübeck soll für die Anerkennung des Herzogs instruirt gehabt haben; doch ein
ganz sicheres Urtheil läßt sich noch nicht fällen. In Frankfurt überwiegt, wie
es scheint, unter den Vätern die günstige Meinung Entschiedener ist Bremen
gesinnt, welches überhaupt weitaus am klarsten auf den Nechtsstandpunkt ge¬
treten ist. Aber Hain bürg ist noch nicht mit sich im Klaren. Gleichviel, ob
die Nähe des Kriegsschauplatzes und die damit zusammenhängende Vorsicht oder
tiefgeheime Rücksichten der hohen Politik oder endlich die Wirkung eines zarten
Platonischen Verhältnisses zu Oestreich das Hinderniß bildet: der "Staat" zögert,
eine bestimmte Haltung in der Frage einzunehmen. Dies ist darum zufällig
von politischer Bedeutung, we>l im Falle der Stimmengleichheit innerhalb der
Curie Hamburg in diesem Jahre den Ausschlag giebt.

Von einer Constatirung der Kundgebungen der beiden Vormächte sehen
wir ab aus zwei Gründen: erstens haben dieselben von vornherein den ganzen
Conflict lediglich aus Gesichtspunkten ihrer europäischen Großmachtstellung ge-
handhabt und sich sonach neben den Bund gestellt; zweitens wird die eigent¬
liche Meinung ihrer officiellen und officiösen Kundgebungen seit dem Beginne
des Krieges im Frischer discutirt. Wir wollen nur kurz daran erinnern, daß
Oestreich rücksichtlich der Erbfvlgefrage seinem schließlichen Votum allerdings in
Positiver Weise dadurch präjudicirt hat, daß es bemüht gewesen ist, die An¬
sprüche des Herzogs Friedrich durch Haranguirung anderer möglicher Präten¬
denten zu neutralisiren. Dies ist mit Oldenburg der Fall gewesen, und auch in
Petersburg soll in diesem Sinne geworben worden sein. Die Versuche waren
bisher ebensowenig von Erfolg gekrönt wie der erste, welcher nach dieser Rich¬
tung gemacht wurde, indem man den älteren Herzog von Glücksburg als Be¬
werber in Aussicht nahm. Seit das Gespenst der ..Landesbefragung" aufgetaucht
ist, würde es der rechbergschen Politik vermuthlich angenehm sei", die Frage
wieder aus der gefährlichen "nationalen" Sphäre in das leichtsinniger Weise
gemiedene Geleis der Legitimität zurückzuschieben; allein dazu dürfte es zu
spät sein.

So wenig directe officielle Kundgebungen von Seiten Preußens auch be¬
kannt sind, so viel geht aus ihnen hervor, daß es die östreichische Auffassung der
Frage entschieden nicht theilt. Es darf gehofft werden, daß die Parole, mit
welcher Preußen in den Krieg ging, eine bloße Maske war. welche die Rück-
sieht auf die europäischen Großmächte ihm aufzwang, und ihm die einzig und allein
ermöglichte, Oestreich in der Sache mit zu engagiren. Wenn aus den jetzigen
Conferenzen mehr oder minder bestimmte Anträge Preußens und Oestreichs zum
Vorschein kommen, so wird man nie vergessen dürfen, daß dieselben nur der
diplomatische Durchschnitt zweier Standpunkte sind, welche in der Schleswig-


Was endlich die siebzehnte „Machtgruppe" anlangt, so ist zu beklagen,
daß „das Charakterbild der Städtecurie zur Zeit noch in der Geschichte schwankt".
Lübeck soll für die Anerkennung des Herzogs instruirt gehabt haben; doch ein
ganz sicheres Urtheil läßt sich noch nicht fällen. In Frankfurt überwiegt, wie
es scheint, unter den Vätern die günstige Meinung Entschiedener ist Bremen
gesinnt, welches überhaupt weitaus am klarsten auf den Nechtsstandpunkt ge¬
treten ist. Aber Hain bürg ist noch nicht mit sich im Klaren. Gleichviel, ob
die Nähe des Kriegsschauplatzes und die damit zusammenhängende Vorsicht oder
tiefgeheime Rücksichten der hohen Politik oder endlich die Wirkung eines zarten
Platonischen Verhältnisses zu Oestreich das Hinderniß bildet: der „Staat" zögert,
eine bestimmte Haltung in der Frage einzunehmen. Dies ist darum zufällig
von politischer Bedeutung, we>l im Falle der Stimmengleichheit innerhalb der
Curie Hamburg in diesem Jahre den Ausschlag giebt.

Von einer Constatirung der Kundgebungen der beiden Vormächte sehen
wir ab aus zwei Gründen: erstens haben dieselben von vornherein den ganzen
Conflict lediglich aus Gesichtspunkten ihrer europäischen Großmachtstellung ge-
handhabt und sich sonach neben den Bund gestellt; zweitens wird die eigent¬
liche Meinung ihrer officiellen und officiösen Kundgebungen seit dem Beginne
des Krieges im Frischer discutirt. Wir wollen nur kurz daran erinnern, daß
Oestreich rücksichtlich der Erbfvlgefrage seinem schließlichen Votum allerdings in
Positiver Weise dadurch präjudicirt hat, daß es bemüht gewesen ist, die An¬
sprüche des Herzogs Friedrich durch Haranguirung anderer möglicher Präten¬
denten zu neutralisiren. Dies ist mit Oldenburg der Fall gewesen, und auch in
Petersburg soll in diesem Sinne geworben worden sein. Die Versuche waren
bisher ebensowenig von Erfolg gekrönt wie der erste, welcher nach dieser Rich¬
tung gemacht wurde, indem man den älteren Herzog von Glücksburg als Be¬
werber in Aussicht nahm. Seit das Gespenst der ..Landesbefragung" aufgetaucht
ist, würde es der rechbergschen Politik vermuthlich angenehm sei», die Frage
wieder aus der gefährlichen „nationalen" Sphäre in das leichtsinniger Weise
gemiedene Geleis der Legitimität zurückzuschieben; allein dazu dürfte es zu
spät sein.

So wenig directe officielle Kundgebungen von Seiten Preußens auch be¬
kannt sind, so viel geht aus ihnen hervor, daß es die östreichische Auffassung der
Frage entschieden nicht theilt. Es darf gehofft werden, daß die Parole, mit
welcher Preußen in den Krieg ging, eine bloße Maske war. welche die Rück-
sieht auf die europäischen Großmächte ihm aufzwang, und ihm die einzig und allein
ermöglichte, Oestreich in der Sache mit zu engagiren. Wenn aus den jetzigen
Conferenzen mehr oder minder bestimmte Anträge Preußens und Oestreichs zum
Vorschein kommen, so wird man nie vergessen dürfen, daß dieselben nur der
diplomatische Durchschnitt zweier Standpunkte sind, welche in der Schleswig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/343>, abgerufen am 23.07.2024.