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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Bayern der ruchlose Familienhader, in Oestreich der Betrug und die Hinterlist
der Verwandten zu Wege brachten, konnte von den Nachfahren Friedrichs gesagt
werden, "daß sie aufgewachsen seien als Rosen und gute Blumen zwischen Dorn
und Distel."

Allein konnte dies einem solchen Mann Ersatz gewähren für das Ein-
geständniß, daß die große Mühe seines Lebens doch eitel gewesen sei? Er am
meisten hatte das Zeug dazu, die Tragweite der Zustände, wie sie jetzt im Reiche
waren, zu bemessen. Ihre Unerträglichkeit war allen offenbar, aber darum nur
desto krampfhafter klammerte sich jeder an das nächste Interesse, um in den
allgemeinen Bankerott nicht hineingerissen zu werden. Der blödsinnige Egoismus,
jedes rettenden Entschlusses baar. glaubte in der Fluth, die man Heranrauschen
hörte, sich mit den eigenen Händen selbst über Wasser halten zu können. Ver-
gebens hatten unvcrzückte Seher die Fremdherrschaft verkündet, die über Deutsch¬
land kommen müsse; vergebens darauf hingemiesen, "daß wie das Reich jetzt
von den Fürsten, so diese einst vom Volke würden verschlungen werden." Die
vollendete Frivolität der herrschenden Richtung war gleichgiltig gegen Furcht
und Schande des gemeinen Wesens. Der Name Vaterland und was Heiliges
damit ausgesprochen ist. hatte seinen Zauber verloren.

Welch ein Abgrund, der sich vor dem einsichtigen Blicke des getreuen
Eckart seiner Nation aufthat. Es konnte nur als eine Frage der Zeit er¬
scheinen, daß auch in Deutschland die Spannung zwischen den populären und
den hierarchisch-feudalistischen Mächten in einem Kampfe aus Leben und Tod
ausbrach. Allenthalben standen die lichten Zeichen am Horizont, die Söhne
und Enkel ereilte das Wetter. Und war wirtlich kein Mittel, die Katastrophe
abzuwenden, des Reiches rechten Hort, ein starkes Kaiserthum von neuem auf¬
zurichten? Der sanguinische Liberalismus, der Sigmund getragen. hatte, war
verraucht und seine Erneuerung war es wahrlich nicht, was jetzt noth that;
aber war alles erschöpft, um für diejenigen conservativen Principien, die den
Markgrafen bei der Neugründung seines Territoriums zu so glücklichem Erfolge
geführt hatten, im Reiche Bekenner und Arbeitsgenossen zu werben? Zu aller¬
meist schien die Enttäuschung der letzten Jahre schuld zu sein an der Stimmung
und Verwilderung der Geister; wie nun, wenn den Erwartungen von ehemals
"och jetzt genug gethan wurde? "Die rechte Reichsrefvrm ist ein Mann an der
rechten Stelle, ein Kaiser, der es nicht nebenbei ist und seine Richtung nicht
nach Interessen nimmt, die dem Reich und der Nation fremd sind, ein Kaiser,
der die Pflicht und das Recht seines Amtes erkennt und dem, was er erkannt
hat. Nachdruck zu geben den klaren Blick, die feste Hand, den Willen und den
Stolz hat." Konnte es zweifelhaft sein, daß Friedrich von Hohenzollern durch
seine Erwägungen sich auf sich selbst zurückgewiesen fühlte? Wahrlich, nicht Ehr¬
geiz allein gehörte zu diesem Schlüsse, sondern in noch viel höherem Grade


Grenzboten II. 18K4. 4

Bayern der ruchlose Familienhader, in Oestreich der Betrug und die Hinterlist
der Verwandten zu Wege brachten, konnte von den Nachfahren Friedrichs gesagt
werden, „daß sie aufgewachsen seien als Rosen und gute Blumen zwischen Dorn
und Distel."

Allein konnte dies einem solchen Mann Ersatz gewähren für das Ein-
geständniß, daß die große Mühe seines Lebens doch eitel gewesen sei? Er am
meisten hatte das Zeug dazu, die Tragweite der Zustände, wie sie jetzt im Reiche
waren, zu bemessen. Ihre Unerträglichkeit war allen offenbar, aber darum nur
desto krampfhafter klammerte sich jeder an das nächste Interesse, um in den
allgemeinen Bankerott nicht hineingerissen zu werden. Der blödsinnige Egoismus,
jedes rettenden Entschlusses baar. glaubte in der Fluth, die man Heranrauschen
hörte, sich mit den eigenen Händen selbst über Wasser halten zu können. Ver-
gebens hatten unvcrzückte Seher die Fremdherrschaft verkündet, die über Deutsch¬
land kommen müsse; vergebens darauf hingemiesen, „daß wie das Reich jetzt
von den Fürsten, so diese einst vom Volke würden verschlungen werden." Die
vollendete Frivolität der herrschenden Richtung war gleichgiltig gegen Furcht
und Schande des gemeinen Wesens. Der Name Vaterland und was Heiliges
damit ausgesprochen ist. hatte seinen Zauber verloren.

Welch ein Abgrund, der sich vor dem einsichtigen Blicke des getreuen
Eckart seiner Nation aufthat. Es konnte nur als eine Frage der Zeit er¬
scheinen, daß auch in Deutschland die Spannung zwischen den populären und
den hierarchisch-feudalistischen Mächten in einem Kampfe aus Leben und Tod
ausbrach. Allenthalben standen die lichten Zeichen am Horizont, die Söhne
und Enkel ereilte das Wetter. Und war wirtlich kein Mittel, die Katastrophe
abzuwenden, des Reiches rechten Hort, ein starkes Kaiserthum von neuem auf¬
zurichten? Der sanguinische Liberalismus, der Sigmund getragen. hatte, war
verraucht und seine Erneuerung war es wahrlich nicht, was jetzt noth that;
aber war alles erschöpft, um für diejenigen conservativen Principien, die den
Markgrafen bei der Neugründung seines Territoriums zu so glücklichem Erfolge
geführt hatten, im Reiche Bekenner und Arbeitsgenossen zu werben? Zu aller¬
meist schien die Enttäuschung der letzten Jahre schuld zu sein an der Stimmung
und Verwilderung der Geister; wie nun, wenn den Erwartungen von ehemals
»och jetzt genug gethan wurde? „Die rechte Reichsrefvrm ist ein Mann an der
rechten Stelle, ein Kaiser, der es nicht nebenbei ist und seine Richtung nicht
nach Interessen nimmt, die dem Reich und der Nation fremd sind, ein Kaiser,
der die Pflicht und das Recht seines Amtes erkennt und dem, was er erkannt
hat. Nachdruck zu geben den klaren Blick, die feste Hand, den Willen und den
Stolz hat." Konnte es zweifelhaft sein, daß Friedrich von Hohenzollern durch
seine Erwägungen sich auf sich selbst zurückgewiesen fühlte? Wahrlich, nicht Ehr¬
geiz allein gehörte zu diesem Schlüsse, sondern in noch viel höherem Grade


Grenzboten II. 18K4. 4
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[0033] Bayern der ruchlose Familienhader, in Oestreich der Betrug und die Hinterlist der Verwandten zu Wege brachten, konnte von den Nachfahren Friedrichs gesagt werden, „daß sie aufgewachsen seien als Rosen und gute Blumen zwischen Dorn und Distel." Allein konnte dies einem solchen Mann Ersatz gewähren für das Ein- geständniß, daß die große Mühe seines Lebens doch eitel gewesen sei? Er am meisten hatte das Zeug dazu, die Tragweite der Zustände, wie sie jetzt im Reiche waren, zu bemessen. Ihre Unerträglichkeit war allen offenbar, aber darum nur desto krampfhafter klammerte sich jeder an das nächste Interesse, um in den allgemeinen Bankerott nicht hineingerissen zu werden. Der blödsinnige Egoismus, jedes rettenden Entschlusses baar. glaubte in der Fluth, die man Heranrauschen hörte, sich mit den eigenen Händen selbst über Wasser halten zu können. Ver- gebens hatten unvcrzückte Seher die Fremdherrschaft verkündet, die über Deutsch¬ land kommen müsse; vergebens darauf hingemiesen, „daß wie das Reich jetzt von den Fürsten, so diese einst vom Volke würden verschlungen werden." Die vollendete Frivolität der herrschenden Richtung war gleichgiltig gegen Furcht und Schande des gemeinen Wesens. Der Name Vaterland und was Heiliges damit ausgesprochen ist. hatte seinen Zauber verloren. Welch ein Abgrund, der sich vor dem einsichtigen Blicke des getreuen Eckart seiner Nation aufthat. Es konnte nur als eine Frage der Zeit er¬ scheinen, daß auch in Deutschland die Spannung zwischen den populären und den hierarchisch-feudalistischen Mächten in einem Kampfe aus Leben und Tod ausbrach. Allenthalben standen die lichten Zeichen am Horizont, die Söhne und Enkel ereilte das Wetter. Und war wirtlich kein Mittel, die Katastrophe abzuwenden, des Reiches rechten Hort, ein starkes Kaiserthum von neuem auf¬ zurichten? Der sanguinische Liberalismus, der Sigmund getragen. hatte, war verraucht und seine Erneuerung war es wahrlich nicht, was jetzt noth that; aber war alles erschöpft, um für diejenigen conservativen Principien, die den Markgrafen bei der Neugründung seines Territoriums zu so glücklichem Erfolge geführt hatten, im Reiche Bekenner und Arbeitsgenossen zu werben? Zu aller¬ meist schien die Enttäuschung der letzten Jahre schuld zu sein an der Stimmung und Verwilderung der Geister; wie nun, wenn den Erwartungen von ehemals »och jetzt genug gethan wurde? „Die rechte Reichsrefvrm ist ein Mann an der rechten Stelle, ein Kaiser, der es nicht nebenbei ist und seine Richtung nicht nach Interessen nimmt, die dem Reich und der Nation fremd sind, ein Kaiser, der die Pflicht und das Recht seines Amtes erkennt und dem, was er erkannt hat. Nachdruck zu geben den klaren Blick, die feste Hand, den Willen und den Stolz hat." Konnte es zweifelhaft sein, daß Friedrich von Hohenzollern durch seine Erwägungen sich auf sich selbst zurückgewiesen fühlte? Wahrlich, nicht Ehr¬ geiz allein gehörte zu diesem Schlüsse, sondern in noch viel höherem Grade Grenzboten II. 18K4. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/33>, abgerufen am 23.07.2024.