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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Ferner aber wird in keiner Armee, wie schon gesagt, die Thatkraft des
Einzelnen dergestalt zur Leistung aufgefordert wie in der französischen. Hier hat
jedes Bataillon seine Elite, die Garde bildet eine solche für die Armee. Jeder
tann jede Stellung in der Armee erreichen, der Leistung folgt als ein Recht,
nicht als eine Gnade die Anerkennung. Das Gesetz regulirt das gewöhnliche
wie das extraordinaire Avancement, bestimmt die Stufen, welche jeder erklim¬
men muß, um weiter zu schreiten, und setzt genau das Jahr fest, in welchem
seine Laufbahn beendigt ist. -- Die Folge davon ist eine Unabhängigkeit der
Charaktere, wie sie keine andere Armee aufzuweisen hat, und die auf dem
Schlachtfeld Thaten hervorruft, welche die Bewunderung der Welt in Italien,
wie in der Krim gefunden haben.

-Auf dieser Emancipation der Individuen beruht auch die Fechtart der Fran¬
zosen, welche ihnen die schönen Siege in der Neuzeit verschafft hat. Eine ge¬
bildete und tüchtige Armeeleitung stattet dort den Soldaten zu allen Zeiten und
für alle Fälle reich und gut aus, führt ihn zur entscheidenden Schlacht und
überläßt dann die Entscheidung den Einzelnen. Sie kann dies allerdings thun,
weil in jedem Einzelnen der Trieb liegt, der Aufgabe des Ganzen zu genügen.
-- Aber in dieser Vertheilung der Aufgabe auf die vielen Einzelnen liegt auch
die große Schwäche und Gefahr der französischen Fecktart. Ebenso wie das
Ganze durch die Stärke, Energie, Furie der Einzelnen den Sieg erringt,
ebenso ist es möglich, das Ganze durch die Schwächen der Einzelnen zu be¬
siegen; und dann mag es ein Sieg werden über einen Complex von tausend
Schwächen.

Wie die radical-demokratische Regierungsform die unruhigste und von den
Impulsen des Moments abhängigste ist, was Frankreich wiederholt gelehrt hat
und was Nordamerika heute lehrt, ebenso ist die Kampfweisc der Franzosen
die gefährlichste und den Erfolg einem ebenbürtigen Gegner gegenüber am
wenigsten sichernde. Die vorzügliche Organisation der französischen Armee¬
leitung und die Gesetzlichkeit der innern Zustände kann und muß jede Armee
nachahmen, die Kampsweise aber überlasse man den Franzosen und trete dieser
mit unserer zuchtvollen und in dem Ganzen aufgehenden Kraft des Einzelnen
gegenüber. Die Erfahrung lehrt, daß keine Armee so wenig eine verlorene
Schlacht verträgt, wie die französische, weil sie mit dem moralischen Element
des Einzelnen den ganzen innern Halt verliert.

Schon in einem der ersten Briefe ist ausgesprochen, daß die stürmischen
Tirailleurlinien der Franzosen einen gefährlichen Gegner in dem ruhigen Linear¬
feuer der Engländer gefunden haben, einen mindestens ebenbürtigen Gegner
bietet eine ruhig feuernde deutsche Schützenlinie. Wenn die Armeeleitung der
Preußen nur einigermaßen der französischen gleicht, wird die preußische mit dein


Ferner aber wird in keiner Armee, wie schon gesagt, die Thatkraft des
Einzelnen dergestalt zur Leistung aufgefordert wie in der französischen. Hier hat
jedes Bataillon seine Elite, die Garde bildet eine solche für die Armee. Jeder
tann jede Stellung in der Armee erreichen, der Leistung folgt als ein Recht,
nicht als eine Gnade die Anerkennung. Das Gesetz regulirt das gewöhnliche
wie das extraordinaire Avancement, bestimmt die Stufen, welche jeder erklim¬
men muß, um weiter zu schreiten, und setzt genau das Jahr fest, in welchem
seine Laufbahn beendigt ist. — Die Folge davon ist eine Unabhängigkeit der
Charaktere, wie sie keine andere Armee aufzuweisen hat, und die auf dem
Schlachtfeld Thaten hervorruft, welche die Bewunderung der Welt in Italien,
wie in der Krim gefunden haben.

-Auf dieser Emancipation der Individuen beruht auch die Fechtart der Fran¬
zosen, welche ihnen die schönen Siege in der Neuzeit verschafft hat. Eine ge¬
bildete und tüchtige Armeeleitung stattet dort den Soldaten zu allen Zeiten und
für alle Fälle reich und gut aus, führt ihn zur entscheidenden Schlacht und
überläßt dann die Entscheidung den Einzelnen. Sie kann dies allerdings thun,
weil in jedem Einzelnen der Trieb liegt, der Aufgabe des Ganzen zu genügen.
— Aber in dieser Vertheilung der Aufgabe auf die vielen Einzelnen liegt auch
die große Schwäche und Gefahr der französischen Fecktart. Ebenso wie das
Ganze durch die Stärke, Energie, Furie der Einzelnen den Sieg erringt,
ebenso ist es möglich, das Ganze durch die Schwächen der Einzelnen zu be¬
siegen; und dann mag es ein Sieg werden über einen Complex von tausend
Schwächen.

Wie die radical-demokratische Regierungsform die unruhigste und von den
Impulsen des Moments abhängigste ist, was Frankreich wiederholt gelehrt hat
und was Nordamerika heute lehrt, ebenso ist die Kampfweisc der Franzosen
die gefährlichste und den Erfolg einem ebenbürtigen Gegner gegenüber am
wenigsten sichernde. Die vorzügliche Organisation der französischen Armee¬
leitung und die Gesetzlichkeit der innern Zustände kann und muß jede Armee
nachahmen, die Kampsweise aber überlasse man den Franzosen und trete dieser
mit unserer zuchtvollen und in dem Ganzen aufgehenden Kraft des Einzelnen
gegenüber. Die Erfahrung lehrt, daß keine Armee so wenig eine verlorene
Schlacht verträgt, wie die französische, weil sie mit dem moralischen Element
des Einzelnen den ganzen innern Halt verliert.

Schon in einem der ersten Briefe ist ausgesprochen, daß die stürmischen
Tirailleurlinien der Franzosen einen gefährlichen Gegner in dem ruhigen Linear¬
feuer der Engländer gefunden haben, einen mindestens ebenbürtigen Gegner
bietet eine ruhig feuernde deutsche Schützenlinie. Wenn die Armeeleitung der
Preußen nur einigermaßen der französischen gleicht, wird die preußische mit dein


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[0324] Ferner aber wird in keiner Armee, wie schon gesagt, die Thatkraft des Einzelnen dergestalt zur Leistung aufgefordert wie in der französischen. Hier hat jedes Bataillon seine Elite, die Garde bildet eine solche für die Armee. Jeder tann jede Stellung in der Armee erreichen, der Leistung folgt als ein Recht, nicht als eine Gnade die Anerkennung. Das Gesetz regulirt das gewöhnliche wie das extraordinaire Avancement, bestimmt die Stufen, welche jeder erklim¬ men muß, um weiter zu schreiten, und setzt genau das Jahr fest, in welchem seine Laufbahn beendigt ist. — Die Folge davon ist eine Unabhängigkeit der Charaktere, wie sie keine andere Armee aufzuweisen hat, und die auf dem Schlachtfeld Thaten hervorruft, welche die Bewunderung der Welt in Italien, wie in der Krim gefunden haben. -Auf dieser Emancipation der Individuen beruht auch die Fechtart der Fran¬ zosen, welche ihnen die schönen Siege in der Neuzeit verschafft hat. Eine ge¬ bildete und tüchtige Armeeleitung stattet dort den Soldaten zu allen Zeiten und für alle Fälle reich und gut aus, führt ihn zur entscheidenden Schlacht und überläßt dann die Entscheidung den Einzelnen. Sie kann dies allerdings thun, weil in jedem Einzelnen der Trieb liegt, der Aufgabe des Ganzen zu genügen. — Aber in dieser Vertheilung der Aufgabe auf die vielen Einzelnen liegt auch die große Schwäche und Gefahr der französischen Fecktart. Ebenso wie das Ganze durch die Stärke, Energie, Furie der Einzelnen den Sieg erringt, ebenso ist es möglich, das Ganze durch die Schwächen der Einzelnen zu be¬ siegen; und dann mag es ein Sieg werden über einen Complex von tausend Schwächen. Wie die radical-demokratische Regierungsform die unruhigste und von den Impulsen des Moments abhängigste ist, was Frankreich wiederholt gelehrt hat und was Nordamerika heute lehrt, ebenso ist die Kampfweisc der Franzosen die gefährlichste und den Erfolg einem ebenbürtigen Gegner gegenüber am wenigsten sichernde. Die vorzügliche Organisation der französischen Armee¬ leitung und die Gesetzlichkeit der innern Zustände kann und muß jede Armee nachahmen, die Kampsweise aber überlasse man den Franzosen und trete dieser mit unserer zuchtvollen und in dem Ganzen aufgehenden Kraft des Einzelnen gegenüber. Die Erfahrung lehrt, daß keine Armee so wenig eine verlorene Schlacht verträgt, wie die französische, weil sie mit dem moralischen Element des Einzelnen den ganzen innern Halt verliert. Schon in einem der ersten Briefe ist ausgesprochen, daß die stürmischen Tirailleurlinien der Franzosen einen gefährlichen Gegner in dem ruhigen Linear¬ feuer der Engländer gefunden haben, einen mindestens ebenbürtigen Gegner bietet eine ruhig feuernde deutsche Schützenlinie. Wenn die Armeeleitung der Preußen nur einigermaßen der französischen gleicht, wird die preußische mit dein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/324>, abgerufen am 23.07.2024.