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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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als er an einem der schwierigsten und bedenklichsten Wendepunkte seines großen
Werkes stand. -- Und als er, in drei Tagen um drei Jahr gealtert, nach der
grausamen Enttäuschung von Villafranca das Staatsruder freiwillig anderen
Händen übergeben hatte, weil er einsah, daß es Zeiten gebe, wo der Staats¬
mann im Interesse der Sache, der er diene, sich selbst in Schatten stellen
müsse, schrieb er von Leri aus an La Farina: "Ich habe Patriotismus genug,
um, wenn nicht als Führer, auch als gemeiner Soldat zu kämpfen," Und
wenn sein König und sein Volk bald wieder in ihm den Einzigen sahen, der
das Staatsschiff glücklich durch die drohende Brandung führen könne, wenn
er selbst, sich seiner Kraft stolz bewußt, nicht zögerte, sich an das Steuer zu
setzen, wer will das Ehrgeiz nennen?

Ein anderes persönliches Motiv seiner politischen Handlungen haben ihm
selbst seine erbittertsten Gegner nicht vorzuwerfen gewagt. Von Nepotismus,
Bereicherung seiner Familie oder gar seiner selbst war keine Rede. Sein be¬
deutendes Privatvermögen hatte sick, wie nach seinem Tode zu Tage kam,
während der neun Jahre seines Ministeriums um 300,000 Franken vermindert.
Abgesehen von seiner persönlichen Freigebigkeit gegen alle Nothleidenden und
Bedürftigen hielt er für den Minister des künftigen Königreichs Italien Aus¬
gaben für geboten, die er den erschöpften Finanzen Piemonts nicht zu-
muthen wollte. --

Besser begründet scheint der Vorwurf der Doppelzüngigkeit, der sich be¬
sonders auf Cavours Benehmen gegen Oestreich vor dem Ausbruch des lom¬
bardischen Krieges und auf die Abläugnung des Vertrages von Plombiöres
stützt. Wenn er mit Klagen über Vertragsverletzungen, feindseliges Betragen
und Drohungen seitens Oestreichs Europa in Athem hielt, so mochten die
wiener Staatsmänner allerdings nicht ohne Grund ausrufen: (Zuis entern
Lirg-eelros av Lvclitionö queröntös? -- und wenn er sein Versprechen, nie einen
Fußbreit italienischen Bodens abzutreten, damit rechtfertigen wollte, daß
Savoyen französisch sei, und er Nizza -- mit Recht oder Unrecht -- nie für
italienisch gehalten habe, so ist darin eine gewisse jesuitische Spitzfindigkeit nicht
zu verkennen. Wenn wir aber auch in beide" Fällen Cavours Benehmen vor
dem Richterstuhle der Moral nicht rechtfertigen wollen, so war er doch -- und
wohl mit Recht -- überzeugt, daß, wenn er die volle Wahrheit gesagt hätte,
er das große Werk, dem er seit einer Reihe von Jahren alle Kräfte gewidmet,
kurz vor der Vollendung der Gefahr vollständiger Vernichtung ausgesetzt haben
würde. Lieber aber setzte er ja seinen persönlichen Ruf als das Wohl des
Vaterlandes auf das Spiel. In seiner Natur war solche Doppelzüngigkeit nicht
begründet. Selbst in der Politik sehen wir ihn sonst immer gerade ausgehen,
alle diplomatischen Rücksichten aus den Augen setzend, alles seinem Ziele
opfernd, selbst seine Sympathien und sein Herz. Aber fein berechnend, die


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als er an einem der schwierigsten und bedenklichsten Wendepunkte seines großen
Werkes stand. — Und als er, in drei Tagen um drei Jahr gealtert, nach der
grausamen Enttäuschung von Villafranca das Staatsruder freiwillig anderen
Händen übergeben hatte, weil er einsah, daß es Zeiten gebe, wo der Staats¬
mann im Interesse der Sache, der er diene, sich selbst in Schatten stellen
müsse, schrieb er von Leri aus an La Farina: „Ich habe Patriotismus genug,
um, wenn nicht als Führer, auch als gemeiner Soldat zu kämpfen," Und
wenn sein König und sein Volk bald wieder in ihm den Einzigen sahen, der
das Staatsschiff glücklich durch die drohende Brandung führen könne, wenn
er selbst, sich seiner Kraft stolz bewußt, nicht zögerte, sich an das Steuer zu
setzen, wer will das Ehrgeiz nennen?

Ein anderes persönliches Motiv seiner politischen Handlungen haben ihm
selbst seine erbittertsten Gegner nicht vorzuwerfen gewagt. Von Nepotismus,
Bereicherung seiner Familie oder gar seiner selbst war keine Rede. Sein be¬
deutendes Privatvermögen hatte sick, wie nach seinem Tode zu Tage kam,
während der neun Jahre seines Ministeriums um 300,000 Franken vermindert.
Abgesehen von seiner persönlichen Freigebigkeit gegen alle Nothleidenden und
Bedürftigen hielt er für den Minister des künftigen Königreichs Italien Aus¬
gaben für geboten, die er den erschöpften Finanzen Piemonts nicht zu-
muthen wollte. —

Besser begründet scheint der Vorwurf der Doppelzüngigkeit, der sich be¬
sonders auf Cavours Benehmen gegen Oestreich vor dem Ausbruch des lom¬
bardischen Krieges und auf die Abläugnung des Vertrages von Plombiöres
stützt. Wenn er mit Klagen über Vertragsverletzungen, feindseliges Betragen
und Drohungen seitens Oestreichs Europa in Athem hielt, so mochten die
wiener Staatsmänner allerdings nicht ohne Grund ausrufen: (Zuis entern
Lirg-eelros av Lvclitionö queröntös? — und wenn er sein Versprechen, nie einen
Fußbreit italienischen Bodens abzutreten, damit rechtfertigen wollte, daß
Savoyen französisch sei, und er Nizza — mit Recht oder Unrecht — nie für
italienisch gehalten habe, so ist darin eine gewisse jesuitische Spitzfindigkeit nicht
zu verkennen. Wenn wir aber auch in beide» Fällen Cavours Benehmen vor
dem Richterstuhle der Moral nicht rechtfertigen wollen, so war er doch — und
wohl mit Recht — überzeugt, daß, wenn er die volle Wahrheit gesagt hätte,
er das große Werk, dem er seit einer Reihe von Jahren alle Kräfte gewidmet,
kurz vor der Vollendung der Gefahr vollständiger Vernichtung ausgesetzt haben
würde. Lieber aber setzte er ja seinen persönlichen Ruf als das Wohl des
Vaterlandes auf das Spiel. In seiner Natur war solche Doppelzüngigkeit nicht
begründet. Selbst in der Politik sehen wir ihn sonst immer gerade ausgehen,
alle diplomatischen Rücksichten aus den Augen setzend, alles seinem Ziele
opfernd, selbst seine Sympathien und sein Herz. Aber fein berechnend, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/307>, abgerufen am 23.07.2024.