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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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was mir als eine mißliche Anwendung, als eine unmittelbar zu verwirklichende
Wahrheit erscheint." Dann liegt klar ausgesprochen, was ihn von den fran¬
zösischen Doktrinärs (obgleich er dieselben, zumal den Herzog von Broglie,
persönlich sehr hochschätzte) und den ^U8t<z-niueo>,8 unserer Tage, den Alt-
liberalen, unterscheidet. Seine Staatskunst besteht nie in einem ängstlichen
Vermeiden beider Extreme. Eine Politik der Neutralität und der freien Hand,
Bezeichnungen, die nur erfunden wurden ^ die Rathlosigkeit oder die Angst vor
jedem entschiednen und selbstbewußten Handeln zu verbergen, mußte einem eben¬
so energischen wie seines Zieles klar bewußten Manne durchaus fern liegen.
Wenn er einmal das Ziel als ein erstrebenswerthcs und erreichbares erkannt
hatte, scheute er kein Hinderniß auf dem Wege, und da es ihm nur um das
Wohl des Vaterlandes, nicht um den Sieg einer Partei oder gar einer Clique
zu thun war, so begrüßte er freudig jeden als Bundesgenossen, der dasselbe
Ziel verfolgte. Die in Deutschland neuerdings beliebte Theorie, daß die gute
Sache zur schlechten werde, sobald auch unsere politischen Gegner sie zu der
ihrigen machen, war ihm lächerlich. Er verschmähte keine Partei, wenn sie sich
mit ihm um die Nationalfahne schaaren wollte, alles wurde in seiner Hand
zum Werkzeug für den großen Zweck. Deshalb bediente er sich ebensowohl
Garibaldis, des italienischen Nationalvercins, ja der revolutionären Propaganda,
wie er nach der Niederlage von Custozza das conservative Ministerium Pinclli
unterstützte und wiederum dessen Gegner und Nachfolger Gioberti vertheidigte,
sobald derselbe, von seinen phantastisch-idealen Träumen zurückkommend, auf die
rechte Bahn einlenkte. So schützte er nach Novara Azeglio gegen die Linke
und Rattazzi gegen die Rechte, -- selbst dann, wenn er ihre Politik im Ein¬
zelnen nicht billigte -- mit echt constitutionellen Tact, so lange keine Aussicht
war, sie durch bessere zu ersetzen, oder eine Ministerkrisis dem Vaterlande Ge¬
fahr gebracht haben würde. Persönliche Bedenklichkeiten, Sympathien und
Antipathien kamen dabei gar nicbt in Betracht. "In der Politik giebt es nichts
Abgeschmackteres als den Groll" wiederholte er öfters, und schrieb einst, als es
sich um ein Bündniß mit Farini (dem späteren Dictator der Emilia) handelte,
welcher bisher zu Azeglio gehalten hatte: "Diejenigen, welche es verschmähen,
sich mit Männern auszusöhnen, mit denen sie zu anderen Zeiten in politischem
Streit und Kampf lebten, verstehen weder von der Politik der Parteien, noch
von der parlamentarischen Geschichte irgend etwas*)".

Auf der anderen Seite war er stets auf den Abfall früherer politischer und
persönlicher Freunde gefaßt. Als er seine berühmte Schwenkung vom rechten



*) Aus: II porte (Ämillo as v^pour, cerni Kiogi'^nei all Imig-i vlriala,, Nsxoti 1861.
-- Vergl. Briefe des Grafen C,, l,erausqca.eben von Berti, Berliner autvrisirte Ucbersctzun-r.
2. Ausgabe. S. 24--2S.

was mir als eine mißliche Anwendung, als eine unmittelbar zu verwirklichende
Wahrheit erscheint." Dann liegt klar ausgesprochen, was ihn von den fran¬
zösischen Doktrinärs (obgleich er dieselben, zumal den Herzog von Broglie,
persönlich sehr hochschätzte) und den ^U8t<z-niueo>,8 unserer Tage, den Alt-
liberalen, unterscheidet. Seine Staatskunst besteht nie in einem ängstlichen
Vermeiden beider Extreme. Eine Politik der Neutralität und der freien Hand,
Bezeichnungen, die nur erfunden wurden ^ die Rathlosigkeit oder die Angst vor
jedem entschiednen und selbstbewußten Handeln zu verbergen, mußte einem eben¬
so energischen wie seines Zieles klar bewußten Manne durchaus fern liegen.
Wenn er einmal das Ziel als ein erstrebenswerthcs und erreichbares erkannt
hatte, scheute er kein Hinderniß auf dem Wege, und da es ihm nur um das
Wohl des Vaterlandes, nicht um den Sieg einer Partei oder gar einer Clique
zu thun war, so begrüßte er freudig jeden als Bundesgenossen, der dasselbe
Ziel verfolgte. Die in Deutschland neuerdings beliebte Theorie, daß die gute
Sache zur schlechten werde, sobald auch unsere politischen Gegner sie zu der
ihrigen machen, war ihm lächerlich. Er verschmähte keine Partei, wenn sie sich
mit ihm um die Nationalfahne schaaren wollte, alles wurde in seiner Hand
zum Werkzeug für den großen Zweck. Deshalb bediente er sich ebensowohl
Garibaldis, des italienischen Nationalvercins, ja der revolutionären Propaganda,
wie er nach der Niederlage von Custozza das conservative Ministerium Pinclli
unterstützte und wiederum dessen Gegner und Nachfolger Gioberti vertheidigte,
sobald derselbe, von seinen phantastisch-idealen Träumen zurückkommend, auf die
rechte Bahn einlenkte. So schützte er nach Novara Azeglio gegen die Linke
und Rattazzi gegen die Rechte, — selbst dann, wenn er ihre Politik im Ein¬
zelnen nicht billigte — mit echt constitutionellen Tact, so lange keine Aussicht
war, sie durch bessere zu ersetzen, oder eine Ministerkrisis dem Vaterlande Ge¬
fahr gebracht haben würde. Persönliche Bedenklichkeiten, Sympathien und
Antipathien kamen dabei gar nicbt in Betracht. „In der Politik giebt es nichts
Abgeschmackteres als den Groll" wiederholte er öfters, und schrieb einst, als es
sich um ein Bündniß mit Farini (dem späteren Dictator der Emilia) handelte,
welcher bisher zu Azeglio gehalten hatte: „Diejenigen, welche es verschmähen,
sich mit Männern auszusöhnen, mit denen sie zu anderen Zeiten in politischem
Streit und Kampf lebten, verstehen weder von der Politik der Parteien, noch
von der parlamentarischen Geschichte irgend etwas*)".

Auf der anderen Seite war er stets auf den Abfall früherer politischer und
persönlicher Freunde gefaßt. Als er seine berühmte Schwenkung vom rechten



*) Aus: II porte (Ämillo as v^pour, cerni Kiogi'^nei all Imig-i vlriala,, Nsxoti 1861.
— Vergl. Briefe des Grafen C,, l,erausqca.eben von Berti, Berliner autvrisirte Ucbersctzun-r.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/303>, abgerufen am 23.07.2024.