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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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-mangelte, verfehlten vollständig ihre Wirkung. Für Wahngebilde der Furcht hatte
er weder Sinn noch Muße; die möglichen Folgen seiner Thaten war er stets
mit vollem Bewußtsein bereit zu tragen.

Als Privatmann hat Cavour wohl nie viele Feinde gehabt. Gesellig,
frohsinnig, warmherzig, ohne Haß und Neid, glänzend ohne Prunk, freigebig
ohne Ostentation, offen und freimüthig, voll unerschöpflichen Humors, war er
bei allen, die ihn näher kannten, von jeher hochbeliebt: Ganzanders als öffent¬
licher Charakter. Cavour hatte nicht das Glück, wie Garibaldi, gleich einem
begeisterten Jünglinge einfach dem Zuge des Herzens folgend, die bewundernden
Blicke der ganzen Welt auf sich ziehen zu können. Auf stürmischem Meere, an
gefährlichen Klippen und Sandbänken vorüber, durch die wilde Brandung
mußte er das schwache Staatsschiff oft bei ungünstigem Winde mühselig lenken,
häufig genug Wider seinen Willen zu trägeren Stillliegen oder Laviren ge¬
zwungen. Als er es, fast über alle und jede Erwartung mit reicher Beute be¬
laden, in einen trefflichen Hafen, nahe dem letzten Ziele gebracht, traten auf
einmal hundert unberufene Tadler auf und wollten zeigen, wie sich der Steuer¬
mann unredlicher Mittel bedient, unnöthige Umwege gemacht, wie er die Mann¬
schaft ganz überflüssiger Weise geplagt und hingehalten habe.

Rüstow und die Männer der Actionspartci verwerfen Cavour und sein
System, weil er Italien nicht rcvvlutionirt, nicht eingesehen habe, daß die
Sturmglocke, welche das ganze Boll zum Aufstand rief, das einzige Mittel ge¬
wesen sei, das den Sieg gegen die vereinigte Macht der Kirche, der Neactions-
partei, Oestreichs und Frankreichs garantirt haben würde. Die Klerikalen und
Legitimisten verfehmen ihn als den Erzrevolutivnär, den gefährlichsten Gegner
der altehrwürdigen Mächte in Staat und Kirche. Sie haben wohl das größere
Recht. Beide extremen Parteien fallen gleichmäßig über ihn her, weil er Recht
und Gerechtigkeit mißachtet, schnöder Gewaltthätigkeiten sich schuldig gemacht;
weil er, ein echter Schüler Macchiavellis, ohne Scrupel Freunde und Grund¬
sätze der Erreichung seines Zweckes geopfert habe. Ja selbst aus den Reihen
seiner eignen Partei, des Centrums, wurde mancher vergiftete Pfeil auf den
Führer abgeschossen. Und trotz aller dieser zahllosen erbitterten Gegner war
Cavours Macht in seinem Baterlande so groß geworden, daß einst jemand mit
Recht ausrufen konnte: "Wir haben eine Presse, eine Kammer, eine Regierung,
und dieses alles heißt Cavour!"

Cavour war seinen politischen Grundsätzen nach ein Mann der rechten
Mitte, wie er selbst auszusprechen liebte, ehe ihm Gelegenheit geboten war,
sein politisches Glaubensbekenntnis; in Thaten niederzulegen, "Ich bin im
.jul-re Milieu, "d, h. ich halte mich nicht in einer gleichmäßigen und klugen
Entfernung von den extremen Meinungen, die sich um die Herrschaft streiten,
gewissermaßen in der Mitte dieser Meinungen, um daraus zu schöpfen,


-mangelte, verfehlten vollständig ihre Wirkung. Für Wahngebilde der Furcht hatte
er weder Sinn noch Muße; die möglichen Folgen seiner Thaten war er stets
mit vollem Bewußtsein bereit zu tragen.

Als Privatmann hat Cavour wohl nie viele Feinde gehabt. Gesellig,
frohsinnig, warmherzig, ohne Haß und Neid, glänzend ohne Prunk, freigebig
ohne Ostentation, offen und freimüthig, voll unerschöpflichen Humors, war er
bei allen, die ihn näher kannten, von jeher hochbeliebt: Ganzanders als öffent¬
licher Charakter. Cavour hatte nicht das Glück, wie Garibaldi, gleich einem
begeisterten Jünglinge einfach dem Zuge des Herzens folgend, die bewundernden
Blicke der ganzen Welt auf sich ziehen zu können. Auf stürmischem Meere, an
gefährlichen Klippen und Sandbänken vorüber, durch die wilde Brandung
mußte er das schwache Staatsschiff oft bei ungünstigem Winde mühselig lenken,
häufig genug Wider seinen Willen zu trägeren Stillliegen oder Laviren ge¬
zwungen. Als er es, fast über alle und jede Erwartung mit reicher Beute be¬
laden, in einen trefflichen Hafen, nahe dem letzten Ziele gebracht, traten auf
einmal hundert unberufene Tadler auf und wollten zeigen, wie sich der Steuer¬
mann unredlicher Mittel bedient, unnöthige Umwege gemacht, wie er die Mann¬
schaft ganz überflüssiger Weise geplagt und hingehalten habe.

Rüstow und die Männer der Actionspartci verwerfen Cavour und sein
System, weil er Italien nicht rcvvlutionirt, nicht eingesehen habe, daß die
Sturmglocke, welche das ganze Boll zum Aufstand rief, das einzige Mittel ge¬
wesen sei, das den Sieg gegen die vereinigte Macht der Kirche, der Neactions-
partei, Oestreichs und Frankreichs garantirt haben würde. Die Klerikalen und
Legitimisten verfehmen ihn als den Erzrevolutivnär, den gefährlichsten Gegner
der altehrwürdigen Mächte in Staat und Kirche. Sie haben wohl das größere
Recht. Beide extremen Parteien fallen gleichmäßig über ihn her, weil er Recht
und Gerechtigkeit mißachtet, schnöder Gewaltthätigkeiten sich schuldig gemacht;
weil er, ein echter Schüler Macchiavellis, ohne Scrupel Freunde und Grund¬
sätze der Erreichung seines Zweckes geopfert habe. Ja selbst aus den Reihen
seiner eignen Partei, des Centrums, wurde mancher vergiftete Pfeil auf den
Führer abgeschossen. Und trotz aller dieser zahllosen erbitterten Gegner war
Cavours Macht in seinem Baterlande so groß geworden, daß einst jemand mit
Recht ausrufen konnte: „Wir haben eine Presse, eine Kammer, eine Regierung,
und dieses alles heißt Cavour!"

Cavour war seinen politischen Grundsätzen nach ein Mann der rechten
Mitte, wie er selbst auszusprechen liebte, ehe ihm Gelegenheit geboten war,
sein politisches Glaubensbekenntnis; in Thaten niederzulegen, „Ich bin im
.jul-re Milieu, „d, h. ich halte mich nicht in einer gleichmäßigen und klugen
Entfernung von den extremen Meinungen, die sich um die Herrschaft streiten,
gewissermaßen in der Mitte dieser Meinungen, um daraus zu schöpfen,


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[0302] -mangelte, verfehlten vollständig ihre Wirkung. Für Wahngebilde der Furcht hatte er weder Sinn noch Muße; die möglichen Folgen seiner Thaten war er stets mit vollem Bewußtsein bereit zu tragen. Als Privatmann hat Cavour wohl nie viele Feinde gehabt. Gesellig, frohsinnig, warmherzig, ohne Haß und Neid, glänzend ohne Prunk, freigebig ohne Ostentation, offen und freimüthig, voll unerschöpflichen Humors, war er bei allen, die ihn näher kannten, von jeher hochbeliebt: Ganzanders als öffent¬ licher Charakter. Cavour hatte nicht das Glück, wie Garibaldi, gleich einem begeisterten Jünglinge einfach dem Zuge des Herzens folgend, die bewundernden Blicke der ganzen Welt auf sich ziehen zu können. Auf stürmischem Meere, an gefährlichen Klippen und Sandbänken vorüber, durch die wilde Brandung mußte er das schwache Staatsschiff oft bei ungünstigem Winde mühselig lenken, häufig genug Wider seinen Willen zu trägeren Stillliegen oder Laviren ge¬ zwungen. Als er es, fast über alle und jede Erwartung mit reicher Beute be¬ laden, in einen trefflichen Hafen, nahe dem letzten Ziele gebracht, traten auf einmal hundert unberufene Tadler auf und wollten zeigen, wie sich der Steuer¬ mann unredlicher Mittel bedient, unnöthige Umwege gemacht, wie er die Mann¬ schaft ganz überflüssiger Weise geplagt und hingehalten habe. Rüstow und die Männer der Actionspartci verwerfen Cavour und sein System, weil er Italien nicht rcvvlutionirt, nicht eingesehen habe, daß die Sturmglocke, welche das ganze Boll zum Aufstand rief, das einzige Mittel ge¬ wesen sei, das den Sieg gegen die vereinigte Macht der Kirche, der Neactions- partei, Oestreichs und Frankreichs garantirt haben würde. Die Klerikalen und Legitimisten verfehmen ihn als den Erzrevolutivnär, den gefährlichsten Gegner der altehrwürdigen Mächte in Staat und Kirche. Sie haben wohl das größere Recht. Beide extremen Parteien fallen gleichmäßig über ihn her, weil er Recht und Gerechtigkeit mißachtet, schnöder Gewaltthätigkeiten sich schuldig gemacht; weil er, ein echter Schüler Macchiavellis, ohne Scrupel Freunde und Grund¬ sätze der Erreichung seines Zweckes geopfert habe. Ja selbst aus den Reihen seiner eignen Partei, des Centrums, wurde mancher vergiftete Pfeil auf den Führer abgeschossen. Und trotz aller dieser zahllosen erbitterten Gegner war Cavours Macht in seinem Baterlande so groß geworden, daß einst jemand mit Recht ausrufen konnte: „Wir haben eine Presse, eine Kammer, eine Regierung, und dieses alles heißt Cavour!" Cavour war seinen politischen Grundsätzen nach ein Mann der rechten Mitte, wie er selbst auszusprechen liebte, ehe ihm Gelegenheit geboten war, sein politisches Glaubensbekenntnis; in Thaten niederzulegen, „Ich bin im .jul-re Milieu, „d, h. ich halte mich nicht in einer gleichmäßigen und klugen Entfernung von den extremen Meinungen, die sich um die Herrschaft streiten, gewissermaßen in der Mitte dieser Meinungen, um daraus zu schöpfen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/302>, abgerufen am 23.07.2024.