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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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wie immer, der Freund seiner Freunde, keinen vergessend, der ihm je nahe
gestanden, aber freilich auch nie, um einen Freund oder Gesinnungsgenossen
zu begünstigen und so dem Wohle des Ganzen zu nahe zu treten. Mit
Recht konnte er von sich sagen (Brief an ig. Marina vom 2. Oct. 1859) "ich
bin gewohnt, Beleidigungen vielleicht allzuleicht zu vergessen, aber Freundschafts¬
beweise schwinden nie aus meinem Gedächtniß und meinem Herzen." -- Die
Seinen liebte er herzlich; mit seinem ältern Bruder, dem als Statistiker und
Nationalvt'onomen nicht unbekannten Marquis Gustav Cavour*), lebte er stets
im besten Einvernehmen, obwohl ihre politischen Ansichten keineswegs dieselbe"
waren. Wie er seine Nichte, die Gräfin Alfieri, schätzte und wie er von ihr
geliebt wurde, bezeugt ihr Bericht über seine letzten Tage (de la Rive, Cavour,
Bd. II. S. 232--51). Der Verlust seines ältesten Neffen, der den Heldentod
bei Goito starb, bewegte sein Herz so tief und schmerzlich, als ob er das eigne
Kind begraben hätte. Wenn- er selbst sich dennoch die Freuden des Familien¬
lebens versagte, so war es, weil sein Vaterland seine Braut und seine Gattin
war, in deren Dienste ihm für eine andere keine Muße und kein Herz mehr
übrigblieb.

Cavours geistige wie seine körperliche Konstitution war eine durchaus ge¬
sunde, er war eine der glücklich organisirten Naturen, bei denen die Harmonie,
die der Mensch oft erst nach schwerem Ringen, öfters gar nicht erreicht, schon
von vornherein wenigstens vorgebildet erscheint. Er kannte keine eingebildeten
Seelenleiden, keine düsteren Zweiselsqualen, kein Mißtrauen gegen sich selbst
und seine Ideale. Jede unklare Gefühlsschwärmerei lag ihm fern: so weit auch
dus Adlerauge seines Geistes den weiten Horizont umfaßte bis zu den erst sich
bildenden Gestalten der fernen Zukunft, so war doch sein Blick wie sein Thun,
wo es zu handeln galt, stets aus das Nächste gerichtet. Was der Augenblick
erschuf, wußte er zu nützen; er baute mit dem Material, das er unter den
Händen hatte, während er doch zugleich eifrig bemüht war, besseres für die Zu¬
kunft vorzubereiten. Das Kleinste war ihm nicht zu klein, es zu benutzen- er
tadelte mit Recht diejenigen, welche ihr Spiel verloren, weil sie die kleinen
Karten nicht genug achteten. Aber er kannte ebensowenig eine unbegrenzte
Ehrfurcht gegen die großen. Das Ziel klar vor Augen, der Mittel sich be¬
wußt, mit scharfem Blicke wählend, von keinem Vorurtheil, aber auch von
keiner ängstlichen Rücksicht behindert, unbeugsam im Entschluß, aber ohne jenen
ungeduldigen Enthusiasmus, der jede andere Bewegung zum Ziele als den Flug
durch die Lust verschmäht und deshalb so oft mit versengten Jtarusflügel "och
weit vom Ziele zu Boden sinkt -- war er stets sicher zu erreichen, was er er¬
strebte. Mit kaltem Blute die Chancen vorher berechnend, hatte er doch zu-



") Gest. am 20. Febr. 18V4.
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wie immer, der Freund seiner Freunde, keinen vergessend, der ihm je nahe
gestanden, aber freilich auch nie, um einen Freund oder Gesinnungsgenossen
zu begünstigen und so dem Wohle des Ganzen zu nahe zu treten. Mit
Recht konnte er von sich sagen (Brief an ig. Marina vom 2. Oct. 1859) „ich
bin gewohnt, Beleidigungen vielleicht allzuleicht zu vergessen, aber Freundschafts¬
beweise schwinden nie aus meinem Gedächtniß und meinem Herzen." — Die
Seinen liebte er herzlich; mit seinem ältern Bruder, dem als Statistiker und
Nationalvt'onomen nicht unbekannten Marquis Gustav Cavour*), lebte er stets
im besten Einvernehmen, obwohl ihre politischen Ansichten keineswegs dieselbe»
waren. Wie er seine Nichte, die Gräfin Alfieri, schätzte und wie er von ihr
geliebt wurde, bezeugt ihr Bericht über seine letzten Tage (de la Rive, Cavour,
Bd. II. S. 232—51). Der Verlust seines ältesten Neffen, der den Heldentod
bei Goito starb, bewegte sein Herz so tief und schmerzlich, als ob er das eigne
Kind begraben hätte. Wenn- er selbst sich dennoch die Freuden des Familien¬
lebens versagte, so war es, weil sein Vaterland seine Braut und seine Gattin
war, in deren Dienste ihm für eine andere keine Muße und kein Herz mehr
übrigblieb.

Cavours geistige wie seine körperliche Konstitution war eine durchaus ge¬
sunde, er war eine der glücklich organisirten Naturen, bei denen die Harmonie,
die der Mensch oft erst nach schwerem Ringen, öfters gar nicht erreicht, schon
von vornherein wenigstens vorgebildet erscheint. Er kannte keine eingebildeten
Seelenleiden, keine düsteren Zweiselsqualen, kein Mißtrauen gegen sich selbst
und seine Ideale. Jede unklare Gefühlsschwärmerei lag ihm fern: so weit auch
dus Adlerauge seines Geistes den weiten Horizont umfaßte bis zu den erst sich
bildenden Gestalten der fernen Zukunft, so war doch sein Blick wie sein Thun,
wo es zu handeln galt, stets aus das Nächste gerichtet. Was der Augenblick
erschuf, wußte er zu nützen; er baute mit dem Material, das er unter den
Händen hatte, während er doch zugleich eifrig bemüht war, besseres für die Zu¬
kunft vorzubereiten. Das Kleinste war ihm nicht zu klein, es zu benutzen- er
tadelte mit Recht diejenigen, welche ihr Spiel verloren, weil sie die kleinen
Karten nicht genug achteten. Aber er kannte ebensowenig eine unbegrenzte
Ehrfurcht gegen die großen. Das Ziel klar vor Augen, der Mittel sich be¬
wußt, mit scharfem Blicke wählend, von keinem Vorurtheil, aber auch von
keiner ängstlichen Rücksicht behindert, unbeugsam im Entschluß, aber ohne jenen
ungeduldigen Enthusiasmus, der jede andere Bewegung zum Ziele als den Flug
durch die Lust verschmäht und deshalb so oft mit versengten Jtarusflügel »och
weit vom Ziele zu Boden sinkt — war er stets sicher zu erreichen, was er er¬
strebte. Mit kaltem Blute die Chancen vorher berechnend, hatte er doch zu-



") Gest. am 20. Febr. 18V4.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/299>, abgerufen am 23.07.2024.