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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Soldaten mit dem des Herrschers verbunden werden. Frankreich bietet in dieser
Beziehung ein reiches Feld des Vergleiches, sowohl in seiner jetzigen Heeres-
verfassung als in denen vergangener Regierungen.

Wenn in jedem Bürger das Gesetz der Gemeinschaft seinen Vertreter findet,
und wenn jeder Soldat sich mit dieser Gemeinschaft eins fühlt, dann ist der
bewaffnete Bürger ein guter, ein disciplinirter Soldat. Die Nichtigkeit diefer
Behauptung lehrt uns der Kampf der alten deutschen Reichsstädte, vor allen
andern geschichtlichen Begebenheiten aber der Kampf der reformieren Religivns-
hecre. Hugenotten und Puritaner haben Heere hervorgezaubert, die zu den best-
disciplinirten der Welt zählen müssen.

Also jede staatliche Verfassung fordert ihre eigne Militärorganisation, von
der politischen Entwickelung des Volkes hängt in großem Maße die Zeitdauer
ab, welche der Soldat bedarf, um disciplinirt zu werden.

Der preußische Staat ist im Uebergange von einem Staat des Einzel-
willens zu einem Verfassungsstaat begriffen. Zu keiner Zeit vielleicht war die
Achtung vor dem Bestehenden so unsicher, der Streit um die Gesetze selbst so
umfangreich, laut und erbittert, die politischen Parteien so egoistisch, und die
Ehrfurcht vor dem Gesetz und der Handhabung desselben so sehr erschüttert.

Und es wird längere Zeit dauern, bis darin wieder Festigkeit eintritt, bis
die Freiheit selbst auch Subordination verleiht und der Einzelne die Pflichten
für das Ganze fest und warm im Herzen trägt. Und deshalb bedarf der Preuße
gerade jetzt, unrein brauchbarer Soldat zu werden, einer gründlichen Zucht in
der Disciplin, und deshalb darf gerade jetzt in den nach dieser Richtung ge¬
stellten Forderungen nicht nachgelassen werden.

Von allen stehenden' Heeren, welche den Anspruch machen eine eigene
kriegerische Kraft zu sein, hat das preußische die kürzeste Dienstzeit bei der Fahne.
Preußen kann diesen Vorzug genießen, weil in Folge der Vertretung aller
Stände die meiste Zucht in seineu Reihen wohnt. Eine Erfahrung, daß in
Folge übermäßiger Disciplin ein Vertuöchern des Organismus eintrete und der
Soldat bei seinem Rücktritt in das Civckverhältniß also die individuelle Schwung¬
kraft verloren habe, ist am gemeinen Soldaten nicht, selbst nicht an der Mehr¬
zahl der zwölf Jahre gedienten Unterofficiere gemacht worden. Ob eine ge¬
nügende Zucht vorhanden ist, hat die Erfahrung noch nicht lehren tonnen, da
die preußische Armee seil dem Jahre 1813 keinen Krieg mit einem ebenbürtigen
Feind geführt und die vollen Anforderungen des Krieges auf ihren Märschen
nicht gefunden hat. Die Ausdauer in dem jetzigen Wintertricg und der schöne,
aber schon im ersten Anlauf vom Erfolg getragene Sturm lassen hoffen, daß
das vorhandene Quantum Disciplin hinreicht. -- Beispiele, daß die Zucht zu
gering gewesen sei, hat die Linieninfanterie in den aufgeregten Zeiten, welche
der Julirevolution 1830 folgten, nicht erlebt, wohl aber 1848 und 49. In


Soldaten mit dem des Herrschers verbunden werden. Frankreich bietet in dieser
Beziehung ein reiches Feld des Vergleiches, sowohl in seiner jetzigen Heeres-
verfassung als in denen vergangener Regierungen.

Wenn in jedem Bürger das Gesetz der Gemeinschaft seinen Vertreter findet,
und wenn jeder Soldat sich mit dieser Gemeinschaft eins fühlt, dann ist der
bewaffnete Bürger ein guter, ein disciplinirter Soldat. Die Nichtigkeit diefer
Behauptung lehrt uns der Kampf der alten deutschen Reichsstädte, vor allen
andern geschichtlichen Begebenheiten aber der Kampf der reformieren Religivns-
hecre. Hugenotten und Puritaner haben Heere hervorgezaubert, die zu den best-
disciplinirten der Welt zählen müssen.

Also jede staatliche Verfassung fordert ihre eigne Militärorganisation, von
der politischen Entwickelung des Volkes hängt in großem Maße die Zeitdauer
ab, welche der Soldat bedarf, um disciplinirt zu werden.

Der preußische Staat ist im Uebergange von einem Staat des Einzel-
willens zu einem Verfassungsstaat begriffen. Zu keiner Zeit vielleicht war die
Achtung vor dem Bestehenden so unsicher, der Streit um die Gesetze selbst so
umfangreich, laut und erbittert, die politischen Parteien so egoistisch, und die
Ehrfurcht vor dem Gesetz und der Handhabung desselben so sehr erschüttert.

Und es wird längere Zeit dauern, bis darin wieder Festigkeit eintritt, bis
die Freiheit selbst auch Subordination verleiht und der Einzelne die Pflichten
für das Ganze fest und warm im Herzen trägt. Und deshalb bedarf der Preuße
gerade jetzt, unrein brauchbarer Soldat zu werden, einer gründlichen Zucht in
der Disciplin, und deshalb darf gerade jetzt in den nach dieser Richtung ge¬
stellten Forderungen nicht nachgelassen werden.

Von allen stehenden' Heeren, welche den Anspruch machen eine eigene
kriegerische Kraft zu sein, hat das preußische die kürzeste Dienstzeit bei der Fahne.
Preußen kann diesen Vorzug genießen, weil in Folge der Vertretung aller
Stände die meiste Zucht in seineu Reihen wohnt. Eine Erfahrung, daß in
Folge übermäßiger Disciplin ein Vertuöchern des Organismus eintrete und der
Soldat bei seinem Rücktritt in das Civckverhältniß also die individuelle Schwung¬
kraft verloren habe, ist am gemeinen Soldaten nicht, selbst nicht an der Mehr¬
zahl der zwölf Jahre gedienten Unterofficiere gemacht worden. Ob eine ge¬
nügende Zucht vorhanden ist, hat die Erfahrung noch nicht lehren tonnen, da
die preußische Armee seil dem Jahre 1813 keinen Krieg mit einem ebenbürtigen
Feind geführt und die vollen Anforderungen des Krieges auf ihren Märschen
nicht gefunden hat. Die Ausdauer in dem jetzigen Wintertricg und der schöne,
aber schon im ersten Anlauf vom Erfolg getragene Sturm lassen hoffen, daß
das vorhandene Quantum Disciplin hinreicht. — Beispiele, daß die Zucht zu
gering gewesen sei, hat die Linieninfanterie in den aufgeregten Zeiten, welche
der Julirevolution 1830 folgten, nicht erlebt, wohl aber 1848 und 49. In


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[0280] Soldaten mit dem des Herrschers verbunden werden. Frankreich bietet in dieser Beziehung ein reiches Feld des Vergleiches, sowohl in seiner jetzigen Heeres- verfassung als in denen vergangener Regierungen. Wenn in jedem Bürger das Gesetz der Gemeinschaft seinen Vertreter findet, und wenn jeder Soldat sich mit dieser Gemeinschaft eins fühlt, dann ist der bewaffnete Bürger ein guter, ein disciplinirter Soldat. Die Nichtigkeit diefer Behauptung lehrt uns der Kampf der alten deutschen Reichsstädte, vor allen andern geschichtlichen Begebenheiten aber der Kampf der reformieren Religivns- hecre. Hugenotten und Puritaner haben Heere hervorgezaubert, die zu den best- disciplinirten der Welt zählen müssen. Also jede staatliche Verfassung fordert ihre eigne Militärorganisation, von der politischen Entwickelung des Volkes hängt in großem Maße die Zeitdauer ab, welche der Soldat bedarf, um disciplinirt zu werden. Der preußische Staat ist im Uebergange von einem Staat des Einzel- willens zu einem Verfassungsstaat begriffen. Zu keiner Zeit vielleicht war die Achtung vor dem Bestehenden so unsicher, der Streit um die Gesetze selbst so umfangreich, laut und erbittert, die politischen Parteien so egoistisch, und die Ehrfurcht vor dem Gesetz und der Handhabung desselben so sehr erschüttert. Und es wird längere Zeit dauern, bis darin wieder Festigkeit eintritt, bis die Freiheit selbst auch Subordination verleiht und der Einzelne die Pflichten für das Ganze fest und warm im Herzen trägt. Und deshalb bedarf der Preuße gerade jetzt, unrein brauchbarer Soldat zu werden, einer gründlichen Zucht in der Disciplin, und deshalb darf gerade jetzt in den nach dieser Richtung ge¬ stellten Forderungen nicht nachgelassen werden. Von allen stehenden' Heeren, welche den Anspruch machen eine eigene kriegerische Kraft zu sein, hat das preußische die kürzeste Dienstzeit bei der Fahne. Preußen kann diesen Vorzug genießen, weil in Folge der Vertretung aller Stände die meiste Zucht in seineu Reihen wohnt. Eine Erfahrung, daß in Folge übermäßiger Disciplin ein Vertuöchern des Organismus eintrete und der Soldat bei seinem Rücktritt in das Civckverhältniß also die individuelle Schwung¬ kraft verloren habe, ist am gemeinen Soldaten nicht, selbst nicht an der Mehr¬ zahl der zwölf Jahre gedienten Unterofficiere gemacht worden. Ob eine ge¬ nügende Zucht vorhanden ist, hat die Erfahrung noch nicht lehren tonnen, da die preußische Armee seil dem Jahre 1813 keinen Krieg mit einem ebenbürtigen Feind geführt und die vollen Anforderungen des Krieges auf ihren Märschen nicht gefunden hat. Die Ausdauer in dem jetzigen Wintertricg und der schöne, aber schon im ersten Anlauf vom Erfolg getragene Sturm lassen hoffen, daß das vorhandene Quantum Disciplin hinreicht. — Beispiele, daß die Zucht zu gering gewesen sei, hat die Linieninfanterie in den aufgeregten Zeiten, welche der Julirevolution 1830 folgten, nicht erlebt, wohl aber 1848 und 49. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/280>, abgerufen am 23.07.2024.