Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

-- vollkommene Aufklärung, was es mit jenem ersten Versprechen auffiel? hat:
entweder ist die Königin sofort bei ruhiger Ueberlegung von >ihrem ehrgeizigen
Plan zurückgekommen oder sie hat die Einwilligung zu jener Heirat!) überhaupt
nur zum Schein gegeben, um dem Tyrannen gegenüber Zeit zu gewinnen und
sich dessen Rache nicht auszusetzen.

V, 3 ist Papier und Tinte, welche Richard verlangt, von der Bearbeitung
in einen Becher Wein verwandelt, den er fordert, dann aber ohne zu kosten
hinstellen läßt und erst nach der Erscheinung der Geister zur Stärkung hinunter¬
stürze. Die Zelte Richards und Richmvnds, welche in Berlin nebeneinander
stehen, erscheinen in Weimar nach einander: es ist einleuchtend, daß beide Me¬
thoden etwas für sich haben, obgleich der Grad der weimarischen Aufstellung
vielleicht nur die geringere Breite der Bühne ist. Die Gcistercrscheinungen selbst
hat man vielfach zu zahlreich und daher durch Wiederholung monoton finden
wollen; aber Shakespeare mußte wohl, was er that, wenn er an das Ende
dieser durch blutige Greuel verwirrenden Laufbahn eine Scene setzte, die durch
Erscheinung der einzelnen Opfer (Prinz Eduard, Heinrich der Sechste, Cla-
rence :c.) das Ganze unmittelbar vor der Katastrophe noch einmal gleichsam
in einem Rcsumv zusammenfaßt und so den Spruch der poetischen Gerechtig¬
keit aufs klarste motivirt. Das Spiel Sehfelds in dieser Scene war sehr ver¬
dienstlich: das sich selbst vrientirende Herumblicken beim Erwachen, die Ver¬
änderung der Gesichtszüge beim Monolog, die körperliche Schwäche in Folge
des geistigen Schreckens, das Straucheln und das letzte Sichzusammenraffen des
gewaltigen SünderLeistcs, der mit aller Energie das Gefühl unterdrückt --
dies alles bildet einen würdigen Schlußstein in dem schönen Gebäude dieser
Festaufführungen.

Und hiermit schließe auch ich diesen zweiten Bericht und fasse mein Ge-
sammturthcil noch einmal kurz zusammen. Die Methode Dingelstedts bei der
Bearbeitung dieser Stücke erscheint mir zu gewaltsam. Es wird viel gestrichen,
umgestellt, verändert; aber das alles ist theils nothwendig durch die Bühnen¬
zweckmäßigkeit geboten, theils leicht zu entschuldigen. Die Interpolationen da¬
gegen, die Einschiebungen eigner Dichtung in Shakespeare, welche in den letz¬
ten Stücken in immer weiterem Umfang sich geltend machen, sind einem Genius
wie Shakespeare gegenüber, so sinnig sie theilweise auch an sich sein mögen,
unbedingt zu verwerfen. Aber trotz dieser Ausstellung bleibt das Verdienst
Dingelstedts. durch seine Bearbeitung manche dieser Stücke zuerst zugänglich ge¬
macht und alle in einer Reihenfolge zuerst dargestellt zu haben, i" seiner Gel¬
tung ungeschmälert. Er hat den Weg zu immer ausgedehnterer Bekanntschaft
mit Shakespeare auch für die Fernerstehenden geebnet: die großen Züge der
shakcspcareschen Tragödie, die markige Handlung, das ergreifende Schicksal,
die tiefe Idee dieser unvergleichlichen Dramen werden auf einen immer weiteren


— vollkommene Aufklärung, was es mit jenem ersten Versprechen auffiel? hat:
entweder ist die Königin sofort bei ruhiger Ueberlegung von >ihrem ehrgeizigen
Plan zurückgekommen oder sie hat die Einwilligung zu jener Heirat!) überhaupt
nur zum Schein gegeben, um dem Tyrannen gegenüber Zeit zu gewinnen und
sich dessen Rache nicht auszusetzen.

V, 3 ist Papier und Tinte, welche Richard verlangt, von der Bearbeitung
in einen Becher Wein verwandelt, den er fordert, dann aber ohne zu kosten
hinstellen läßt und erst nach der Erscheinung der Geister zur Stärkung hinunter¬
stürze. Die Zelte Richards und Richmvnds, welche in Berlin nebeneinander
stehen, erscheinen in Weimar nach einander: es ist einleuchtend, daß beide Me¬
thoden etwas für sich haben, obgleich der Grad der weimarischen Aufstellung
vielleicht nur die geringere Breite der Bühne ist. Die Gcistercrscheinungen selbst
hat man vielfach zu zahlreich und daher durch Wiederholung monoton finden
wollen; aber Shakespeare mußte wohl, was er that, wenn er an das Ende
dieser durch blutige Greuel verwirrenden Laufbahn eine Scene setzte, die durch
Erscheinung der einzelnen Opfer (Prinz Eduard, Heinrich der Sechste, Cla-
rence :c.) das Ganze unmittelbar vor der Katastrophe noch einmal gleichsam
in einem Rcsumv zusammenfaßt und so den Spruch der poetischen Gerechtig¬
keit aufs klarste motivirt. Das Spiel Sehfelds in dieser Scene war sehr ver¬
dienstlich: das sich selbst vrientirende Herumblicken beim Erwachen, die Ver¬
änderung der Gesichtszüge beim Monolog, die körperliche Schwäche in Folge
des geistigen Schreckens, das Straucheln und das letzte Sichzusammenraffen des
gewaltigen SünderLeistcs, der mit aller Energie das Gefühl unterdrückt —
dies alles bildet einen würdigen Schlußstein in dem schönen Gebäude dieser
Festaufführungen.

Und hiermit schließe auch ich diesen zweiten Bericht und fasse mein Ge-
sammturthcil noch einmal kurz zusammen. Die Methode Dingelstedts bei der
Bearbeitung dieser Stücke erscheint mir zu gewaltsam. Es wird viel gestrichen,
umgestellt, verändert; aber das alles ist theils nothwendig durch die Bühnen¬
zweckmäßigkeit geboten, theils leicht zu entschuldigen. Die Interpolationen da¬
gegen, die Einschiebungen eigner Dichtung in Shakespeare, welche in den letz¬
ten Stücken in immer weiterem Umfang sich geltend machen, sind einem Genius
wie Shakespeare gegenüber, so sinnig sie theilweise auch an sich sein mögen,
unbedingt zu verwerfen. Aber trotz dieser Ausstellung bleibt das Verdienst
Dingelstedts. durch seine Bearbeitung manche dieser Stücke zuerst zugänglich ge¬
macht und alle in einer Reihenfolge zuerst dargestellt zu haben, i» seiner Gel¬
tung ungeschmälert. Er hat den Weg zu immer ausgedehnterer Bekanntschaft
mit Shakespeare auch für die Fernerstehenden geebnet: die großen Züge der
shakcspcareschen Tragödie, die markige Handlung, das ergreifende Schicksal,
die tiefe Idee dieser unvergleichlichen Dramen werden auf einen immer weiteren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188838"/>
          <p xml:id="ID_932" prev="#ID_931"> &#x2014; vollkommene Aufklärung, was es mit jenem ersten Versprechen auffiel? hat:<lb/>
entweder ist die Königin sofort bei ruhiger Ueberlegung von &gt;ihrem ehrgeizigen<lb/>
Plan zurückgekommen oder sie hat die Einwilligung zu jener Heirat!) überhaupt<lb/>
nur zum Schein gegeben, um dem Tyrannen gegenüber Zeit zu gewinnen und<lb/>
sich dessen Rache nicht auszusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_933"> V, 3 ist Papier und Tinte, welche Richard verlangt, von der Bearbeitung<lb/>
in einen Becher Wein verwandelt, den er fordert, dann aber ohne zu kosten<lb/>
hinstellen läßt und erst nach der Erscheinung der Geister zur Stärkung hinunter¬<lb/>
stürze. Die Zelte Richards und Richmvnds, welche in Berlin nebeneinander<lb/>
stehen, erscheinen in Weimar nach einander: es ist einleuchtend, daß beide Me¬<lb/>
thoden etwas für sich haben, obgleich der Grad der weimarischen Aufstellung<lb/>
vielleicht nur die geringere Breite der Bühne ist. Die Gcistercrscheinungen selbst<lb/>
hat man vielfach zu zahlreich und daher durch Wiederholung monoton finden<lb/>
wollen; aber Shakespeare mußte wohl, was er that, wenn er an das Ende<lb/>
dieser durch blutige Greuel verwirrenden Laufbahn eine Scene setzte, die durch<lb/>
Erscheinung der einzelnen Opfer (Prinz Eduard, Heinrich der Sechste, Cla-<lb/>
rence :c.) das Ganze unmittelbar vor der Katastrophe noch einmal gleichsam<lb/>
in einem Rcsumv zusammenfaßt und so den Spruch der poetischen Gerechtig¬<lb/>
keit aufs klarste motivirt. Das Spiel Sehfelds in dieser Scene war sehr ver¬<lb/>
dienstlich: das sich selbst vrientirende Herumblicken beim Erwachen, die Ver¬<lb/>
änderung der Gesichtszüge beim Monolog, die körperliche Schwäche in Folge<lb/>
des geistigen Schreckens, das Straucheln und das letzte Sichzusammenraffen des<lb/>
gewaltigen SünderLeistcs, der mit aller Energie das Gefühl unterdrückt &#x2014;<lb/>
dies alles bildet einen würdigen Schlußstein in dem schönen Gebäude dieser<lb/>
Festaufführungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_934" next="#ID_935"> Und hiermit schließe auch ich diesen zweiten Bericht und fasse mein Ge-<lb/>
sammturthcil noch einmal kurz zusammen. Die Methode Dingelstedts bei der<lb/>
Bearbeitung dieser Stücke erscheint mir zu gewaltsam. Es wird viel gestrichen,<lb/>
umgestellt, verändert; aber das alles ist theils nothwendig durch die Bühnen¬<lb/>
zweckmäßigkeit geboten, theils leicht zu entschuldigen. Die Interpolationen da¬<lb/>
gegen, die Einschiebungen eigner Dichtung in Shakespeare, welche in den letz¬<lb/>
ten Stücken in immer weiterem Umfang sich geltend machen, sind einem Genius<lb/>
wie Shakespeare gegenüber, so sinnig sie theilweise auch an sich sein mögen,<lb/>
unbedingt zu verwerfen. Aber trotz dieser Ausstellung bleibt das Verdienst<lb/>
Dingelstedts. durch seine Bearbeitung manche dieser Stücke zuerst zugänglich ge¬<lb/>
macht und alle in einer Reihenfolge zuerst dargestellt zu haben, i» seiner Gel¬<lb/>
tung ungeschmälert. Er hat den Weg zu immer ausgedehnterer Bekanntschaft<lb/>
mit Shakespeare auch für die Fernerstehenden geebnet: die großen Züge der<lb/>
shakcspcareschen Tragödie, die markige Handlung, das ergreifende Schicksal,<lb/>
die tiefe Idee dieser unvergleichlichen Dramen werden auf einen immer weiteren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] — vollkommene Aufklärung, was es mit jenem ersten Versprechen auffiel? hat: entweder ist die Königin sofort bei ruhiger Ueberlegung von >ihrem ehrgeizigen Plan zurückgekommen oder sie hat die Einwilligung zu jener Heirat!) überhaupt nur zum Schein gegeben, um dem Tyrannen gegenüber Zeit zu gewinnen und sich dessen Rache nicht auszusetzen. V, 3 ist Papier und Tinte, welche Richard verlangt, von der Bearbeitung in einen Becher Wein verwandelt, den er fordert, dann aber ohne zu kosten hinstellen läßt und erst nach der Erscheinung der Geister zur Stärkung hinunter¬ stürze. Die Zelte Richards und Richmvnds, welche in Berlin nebeneinander stehen, erscheinen in Weimar nach einander: es ist einleuchtend, daß beide Me¬ thoden etwas für sich haben, obgleich der Grad der weimarischen Aufstellung vielleicht nur die geringere Breite der Bühne ist. Die Gcistercrscheinungen selbst hat man vielfach zu zahlreich und daher durch Wiederholung monoton finden wollen; aber Shakespeare mußte wohl, was er that, wenn er an das Ende dieser durch blutige Greuel verwirrenden Laufbahn eine Scene setzte, die durch Erscheinung der einzelnen Opfer (Prinz Eduard, Heinrich der Sechste, Cla- rence :c.) das Ganze unmittelbar vor der Katastrophe noch einmal gleichsam in einem Rcsumv zusammenfaßt und so den Spruch der poetischen Gerechtig¬ keit aufs klarste motivirt. Das Spiel Sehfelds in dieser Scene war sehr ver¬ dienstlich: das sich selbst vrientirende Herumblicken beim Erwachen, die Ver¬ änderung der Gesichtszüge beim Monolog, die körperliche Schwäche in Folge des geistigen Schreckens, das Straucheln und das letzte Sichzusammenraffen des gewaltigen SünderLeistcs, der mit aller Energie das Gefühl unterdrückt — dies alles bildet einen würdigen Schlußstein in dem schönen Gebäude dieser Festaufführungen. Und hiermit schließe auch ich diesen zweiten Bericht und fasse mein Ge- sammturthcil noch einmal kurz zusammen. Die Methode Dingelstedts bei der Bearbeitung dieser Stücke erscheint mir zu gewaltsam. Es wird viel gestrichen, umgestellt, verändert; aber das alles ist theils nothwendig durch die Bühnen¬ zweckmäßigkeit geboten, theils leicht zu entschuldigen. Die Interpolationen da¬ gegen, die Einschiebungen eigner Dichtung in Shakespeare, welche in den letz¬ ten Stücken in immer weiterem Umfang sich geltend machen, sind einem Genius wie Shakespeare gegenüber, so sinnig sie theilweise auch an sich sein mögen, unbedingt zu verwerfen. Aber trotz dieser Ausstellung bleibt das Verdienst Dingelstedts. durch seine Bearbeitung manche dieser Stücke zuerst zugänglich ge¬ macht und alle in einer Reihenfolge zuerst dargestellt zu haben, i» seiner Gel¬ tung ungeschmälert. Er hat den Weg zu immer ausgedehnterer Bekanntschaft mit Shakespeare auch für die Fernerstehenden geebnet: die großen Züge der shakcspcareschen Tragödie, die markige Handlung, das ergreifende Schicksal, die tiefe Idee dieser unvergleichlichen Dramen werden auf einen immer weiteren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/277>, abgerufen am 25.08.2024.