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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Amen!

Und laß als guten alten Mann mich sterben!
Das ist das Hauptziel eines Muttersegens:
Mich wundert, daß Ihr' Gnaden das vergaß --


bin ich doch kaum zweifelhaft, daß unmittelbar nach Amen! schon mit den
Werten "Und laß" das Bciseitesprechcn zu beginnen hat, da die Ironie
schon in dieser Zeile zu sehr auf der Hand liegt, um verkannt werden zu
können.

Der dritte Act bei Dingelstedt beginnt mit der ,wieder sehr veränderten
Volksheere. Ich übergehe andere theilweise sehr nothwendige Umgestaltungen
und erwähne nur, daß Dingelstedt die bei Shakespeare allerdings etwas brüske
Entfernung des Bischofs, den Gloster nach den Erdbeeren ausschickt, mit den
Worten zu motiviren sucht:


Die Bischofsmütz' sitzt mir zu hoch im Rath.

Sollte aber Gloster nicht vielmehr mit seinem Erdbecrverlaugen seine völlige
Unbefangenheit, die Milde und Heiterkeit, von der gleich nachher die Rede ist,
heuchlerisch haben bemerken lassen wollen, um dann desto unvermutheter hervor¬
zubrechen? Die letzte Scene des Auszugs (Shakespeare III, 4), die Komödie,
wo Lord Buckingham als Vormund der Bürger Gloster die Krone anbietet und
dieser sie sich scheinbar aufdringen läßt, war vortrefflich arrangirt. Man sah
Richard betend zwischen zwei Bischöfen vor einem Altar mit hohen Kerzen: mit
seinem Gebetbuch trat er vor und hielt seine heuchlerische Rede. Beim Abgang
der Abgeordneten sinkt er wieder auf die Kniee. Und das spielte nun Herr
Lehfeld sehr sinnig. Wie er kniend und anscheinend im Gebetbuch lesend der
Deputation nachblickt, dann das Buch zuschlägt und mit frivoler Miene und
Bewegung den Sinn der Komödie darlegt, ist sehr lobenswert!).

Aus dem vierten Act will ich nur die effektvolle Klagescene der drei Frauen
(IV, 4), Margaretha, Elisabeth und Herzogin York (Frau Hettstedt, Frl. Bu߬
ler, Fr. Stör) anerkennend hervorheben.

Eine ziemlich unnöthige Interpolation ist, wie mir scheint, die von Dingel¬
stedt zu Anfang des ö. Akts gemachte. Er läßt dort melden, daß die Prin¬
zessin Elisabeth, deren Hand die mütterliche Schwäche der .Königin Elisabeth
dem Gloster versprochen, dies abgelehnt habe und !>iichmond ihre Hand zu
reichen bereit sei. Das Versprechen der Königin Elisabeth (Shakespeare IV, 4)
klingt allerdings seltsam genug: sie will dem Mörder ihrer Kinder die Hand
ihrer Tochter geben. Aber schon in der folgenden Scene giebt die Botschaft
an Richmond:


Sag ihm, die Königin woll' ihre Tochter
Elisabeth ihm herzlich gern vermählen --

eine Stelle, welche die Bearbeitung freilich, wenn ich mich recht entsinne, wegläßt


Amen!

Und laß als guten alten Mann mich sterben!
Das ist das Hauptziel eines Muttersegens:
Mich wundert, daß Ihr' Gnaden das vergaß —


bin ich doch kaum zweifelhaft, daß unmittelbar nach Amen! schon mit den
Werten „Und laß" das Bciseitesprechcn zu beginnen hat, da die Ironie
schon in dieser Zeile zu sehr auf der Hand liegt, um verkannt werden zu
können.

Der dritte Act bei Dingelstedt beginnt mit der ,wieder sehr veränderten
Volksheere. Ich übergehe andere theilweise sehr nothwendige Umgestaltungen
und erwähne nur, daß Dingelstedt die bei Shakespeare allerdings etwas brüske
Entfernung des Bischofs, den Gloster nach den Erdbeeren ausschickt, mit den
Worten zu motiviren sucht:


Die Bischofsmütz' sitzt mir zu hoch im Rath.

Sollte aber Gloster nicht vielmehr mit seinem Erdbecrverlaugen seine völlige
Unbefangenheit, die Milde und Heiterkeit, von der gleich nachher die Rede ist,
heuchlerisch haben bemerken lassen wollen, um dann desto unvermutheter hervor¬
zubrechen? Die letzte Scene des Auszugs (Shakespeare III, 4), die Komödie,
wo Lord Buckingham als Vormund der Bürger Gloster die Krone anbietet und
dieser sie sich scheinbar aufdringen läßt, war vortrefflich arrangirt. Man sah
Richard betend zwischen zwei Bischöfen vor einem Altar mit hohen Kerzen: mit
seinem Gebetbuch trat er vor und hielt seine heuchlerische Rede. Beim Abgang
der Abgeordneten sinkt er wieder auf die Kniee. Und das spielte nun Herr
Lehfeld sehr sinnig. Wie er kniend und anscheinend im Gebetbuch lesend der
Deputation nachblickt, dann das Buch zuschlägt und mit frivoler Miene und
Bewegung den Sinn der Komödie darlegt, ist sehr lobenswert!).

Aus dem vierten Act will ich nur die effektvolle Klagescene der drei Frauen
(IV, 4), Margaretha, Elisabeth und Herzogin York (Frau Hettstedt, Frl. Bu߬
ler, Fr. Stör) anerkennend hervorheben.

Eine ziemlich unnöthige Interpolation ist, wie mir scheint, die von Dingel¬
stedt zu Anfang des ö. Akts gemachte. Er läßt dort melden, daß die Prin¬
zessin Elisabeth, deren Hand die mütterliche Schwäche der .Königin Elisabeth
dem Gloster versprochen, dies abgelehnt habe und !>iichmond ihre Hand zu
reichen bereit sei. Das Versprechen der Königin Elisabeth (Shakespeare IV, 4)
klingt allerdings seltsam genug: sie will dem Mörder ihrer Kinder die Hand
ihrer Tochter geben. Aber schon in der folgenden Scene giebt die Botschaft
an Richmond:


Sag ihm, die Königin woll' ihre Tochter
Elisabeth ihm herzlich gern vermählen —

eine Stelle, welche die Bearbeitung freilich, wenn ich mich recht entsinne, wegläßt


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[0276] Amen! Und laß als guten alten Mann mich sterben! Das ist das Hauptziel eines Muttersegens: Mich wundert, daß Ihr' Gnaden das vergaß — bin ich doch kaum zweifelhaft, daß unmittelbar nach Amen! schon mit den Werten „Und laß" das Bciseitesprechcn zu beginnen hat, da die Ironie schon in dieser Zeile zu sehr auf der Hand liegt, um verkannt werden zu können. Der dritte Act bei Dingelstedt beginnt mit der ,wieder sehr veränderten Volksheere. Ich übergehe andere theilweise sehr nothwendige Umgestaltungen und erwähne nur, daß Dingelstedt die bei Shakespeare allerdings etwas brüske Entfernung des Bischofs, den Gloster nach den Erdbeeren ausschickt, mit den Worten zu motiviren sucht: Die Bischofsmütz' sitzt mir zu hoch im Rath. Sollte aber Gloster nicht vielmehr mit seinem Erdbecrverlaugen seine völlige Unbefangenheit, die Milde und Heiterkeit, von der gleich nachher die Rede ist, heuchlerisch haben bemerken lassen wollen, um dann desto unvermutheter hervor¬ zubrechen? Die letzte Scene des Auszugs (Shakespeare III, 4), die Komödie, wo Lord Buckingham als Vormund der Bürger Gloster die Krone anbietet und dieser sie sich scheinbar aufdringen läßt, war vortrefflich arrangirt. Man sah Richard betend zwischen zwei Bischöfen vor einem Altar mit hohen Kerzen: mit seinem Gebetbuch trat er vor und hielt seine heuchlerische Rede. Beim Abgang der Abgeordneten sinkt er wieder auf die Kniee. Und das spielte nun Herr Lehfeld sehr sinnig. Wie er kniend und anscheinend im Gebetbuch lesend der Deputation nachblickt, dann das Buch zuschlägt und mit frivoler Miene und Bewegung den Sinn der Komödie darlegt, ist sehr lobenswert!). Aus dem vierten Act will ich nur die effektvolle Klagescene der drei Frauen (IV, 4), Margaretha, Elisabeth und Herzogin York (Frau Hettstedt, Frl. Bu߬ ler, Fr. Stör) anerkennend hervorheben. Eine ziemlich unnöthige Interpolation ist, wie mir scheint, die von Dingel¬ stedt zu Anfang des ö. Akts gemachte. Er läßt dort melden, daß die Prin¬ zessin Elisabeth, deren Hand die mütterliche Schwäche der .Königin Elisabeth dem Gloster versprochen, dies abgelehnt habe und !>iichmond ihre Hand zu reichen bereit sei. Das Versprechen der Königin Elisabeth (Shakespeare IV, 4) klingt allerdings seltsam genug: sie will dem Mörder ihrer Kinder die Hand ihrer Tochter geben. Aber schon in der folgenden Scene giebt die Botschaft an Richmond: Sag ihm, die Königin woll' ihre Tochter Elisabeth ihm herzlich gern vermählen — eine Stelle, welche die Bearbeitung freilich, wenn ich mich recht entsinne, wegläßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/276>, abgerufen am 23.07.2024.