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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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und Georg. Die Bitte um Vertauschung, die Richard bei Shakespeare einfach
mit'den Worten motivirt:


lor ttlostör's Zulcsäom is toe" ominous

hat Dingelstedt durch einige zugesetzte Verse etwa des Inhalts. zwei Gloster
seien schon um Hochverrath gestraft worden, commentirt und auf die Weigerung
der Bitte ihm noch tie Worte in den Mund gelegt: "Ich habe dich gewarnt!"
Ich bin zweifelhaft, ol> diese weitgehende Offenheit den Intentionen des Dichters
und dem Charakter Richards entspricht, wobei ich gleich beiläufig anmerken will,
daß der Vertreter dieser Rolle seine "bei Seite" zu machenden Bemerkungen
und Selbstbekenntnisse, wie mir schien, viel zu hörbar für die Umstehenden
machte. Den Schluß des Acts aber, daß Richard während des Fallens des
Vorhangs dem todten Clifford das Haupt abschlägt, möchten wir Dingelstedt
bitten wieder fallen zu lassen. Diese Schauspiele enthalten wahrhaftig des Grä߬
lichen genug und so viel, daß hier eher eine Minderung als eine Mehrung an
der Stelle zu sein scheint.

Der dritte Auszug beginnt mit dem Fang des Königs (Shakespeare III, 1).
Träumerisch, in der Hand ein Buch, betritt er das ihm feindliche Land: die
Feder, die er in die Luft bläst, das Symbol der Veränderlichkeit des Volks,
nimmt er, ganz passend und ungezwungen, von dem Hut des einen Jägers.
Es folgt dann die Scene mit Lady Grey und Richards Monolog. Nun aber
folgen Auftritte, die gänzlich umgestaltet sind. Die ganzen Vorgänge in
Frankreich, die bei Shakespeare'(III, Z) dramatische Handlung find, hat Dingel¬
stedt als solche gestrichen und in Erzählung verwandelt. Statt der Vorgänge
am französischen Hof ist von Dingclstcdr dann eine ganze große Scene am
Meeresstrand bei Dover eingelegt, wo Margarethe Warwick durch die Mit¬
theilung von der compromittircnden Leichtfertigkeit des Königs und durch Ver¬
lobung ihres Sohnes mit seiner Tochter (auch über ihre eigne Hand sei ja einst
verfügt worden, sagt sie) von Eduard abwendet und auf ihre Seite herüber¬
zieht. Wenn ich von dein von mir festgehaltenen Princip absehe, so muß das
Wirt'ungsreiche dieser fast ganz dem Bearbeiter gehörenden Scene anerkannt
werden: nur die Worte, welche Dingelstedt Margarethen noch i" den Mund
legt, um Warwick zu gewinnen, daß sie immlich gen bereit sei, die Herrschaft
ihm zu überlassen, sie sei ein Weib und habe lange sich nach einer Stütze ge¬
sehnt -- diese Worie erscheinen mir von sehr zweifelhafter poetischer Wahrheit.
Ist Margarethe wirklich herrschensmüdeOder heuchelt sie diese Gesinnung?
Keins von beiden scheint ihrem Charakter zu entsprechen. Die samische Ein¬
richtung war wieder vortrefflich: das zur Begrüßung herandrängende Volk in
seiner Bewegung und dann, als Warwick allein sein will und es zurückweist,
das murrende Zurückweichen desselben -- alles war sehr gut gedacht und
geübt.


und Georg. Die Bitte um Vertauschung, die Richard bei Shakespeare einfach
mit'den Worten motivirt:


lor ttlostör's Zulcsäom is toe» ominous

hat Dingelstedt durch einige zugesetzte Verse etwa des Inhalts. zwei Gloster
seien schon um Hochverrath gestraft worden, commentirt und auf die Weigerung
der Bitte ihm noch tie Worte in den Mund gelegt: „Ich habe dich gewarnt!"
Ich bin zweifelhaft, ol> diese weitgehende Offenheit den Intentionen des Dichters
und dem Charakter Richards entspricht, wobei ich gleich beiläufig anmerken will,
daß der Vertreter dieser Rolle seine „bei Seite" zu machenden Bemerkungen
und Selbstbekenntnisse, wie mir schien, viel zu hörbar für die Umstehenden
machte. Den Schluß des Acts aber, daß Richard während des Fallens des
Vorhangs dem todten Clifford das Haupt abschlägt, möchten wir Dingelstedt
bitten wieder fallen zu lassen. Diese Schauspiele enthalten wahrhaftig des Grä߬
lichen genug und so viel, daß hier eher eine Minderung als eine Mehrung an
der Stelle zu sein scheint.

Der dritte Auszug beginnt mit dem Fang des Königs (Shakespeare III, 1).
Träumerisch, in der Hand ein Buch, betritt er das ihm feindliche Land: die
Feder, die er in die Luft bläst, das Symbol der Veränderlichkeit des Volks,
nimmt er, ganz passend und ungezwungen, von dem Hut des einen Jägers.
Es folgt dann die Scene mit Lady Grey und Richards Monolog. Nun aber
folgen Auftritte, die gänzlich umgestaltet sind. Die ganzen Vorgänge in
Frankreich, die bei Shakespeare'(III, Z) dramatische Handlung find, hat Dingel¬
stedt als solche gestrichen und in Erzählung verwandelt. Statt der Vorgänge
am französischen Hof ist von Dingclstcdr dann eine ganze große Scene am
Meeresstrand bei Dover eingelegt, wo Margarethe Warwick durch die Mit¬
theilung von der compromittircnden Leichtfertigkeit des Königs und durch Ver¬
lobung ihres Sohnes mit seiner Tochter (auch über ihre eigne Hand sei ja einst
verfügt worden, sagt sie) von Eduard abwendet und auf ihre Seite herüber¬
zieht. Wenn ich von dein von mir festgehaltenen Princip absehe, so muß das
Wirt'ungsreiche dieser fast ganz dem Bearbeiter gehörenden Scene anerkannt
werden: nur die Worte, welche Dingelstedt Margarethen noch i» den Mund
legt, um Warwick zu gewinnen, daß sie immlich gen bereit sei, die Herrschaft
ihm zu überlassen, sie sei ein Weib und habe lange sich nach einer Stütze ge¬
sehnt — diese Worie erscheinen mir von sehr zweifelhafter poetischer Wahrheit.
Ist Margarethe wirklich herrschensmüdeOder heuchelt sie diese Gesinnung?
Keins von beiden scheint ihrem Charakter zu entsprechen. Die samische Ein¬
richtung war wieder vortrefflich: das zur Begrüßung herandrängende Volk in
seiner Bewegung und dann, als Warwick allein sein will und es zurückweist,
das murrende Zurückweichen desselben — alles war sehr gut gedacht und
geübt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/272>, abgerufen am 23.07.2024.